Teil 1 - Michael: «In meinem Alter will mich niemand mehr»

Armutsbetroffene erzählen, wie sie die Corona-Krise bewältigen. So auch Michael, 69.

bruno-kelzer-LvySG1hvuzI-unsplash Kopie
Wir trafen Michael, der anonym bleiben wollte, vor dem Caritas-Markt in Kleinbasel.

Die Corona-Krise macht vielen Menschen zu schaffen. Doch wie ergeht es jenen, denen jetzt plötzlich das Geld zum Leben fehlt? 

Einer von ihnen ist Michael*, den wir in der Schlange vor dem Caritas-Markt in Basel angetroffen haben, wo Bedürftige für wenig Geld ihre Lebensmitteleinkäufe machen können.

Michael, 69, pensioniert:

«Meine AHV reicht auch mit Zusatz kaum zum Leben. Darum bin ich seit ein paar Jahren selbstständig und stelle Automaten für Beizen auf. Aber damit ist seit ein paar Monaten Schluss. Aus, Ende. Es ist alles am Boden. Ich kriege keine Aufträge mehr. Seitdem vertreibe ich mir meine Zeit zu Hause vor dem Fernseher und gehe jede Woche einkaufen. Öfter sollte ich als Risikopatient – ich habe Zucker und Bluthochdruck – das Haus nicht verlassen. Manchmal helfe ich einer 90-jährigen Frau aus der Nachbarschaft aus, aber das wars auch schon.

«Wäre meine verstorbene Frau noch bei mir, wäre diese Krise viel erträglicher.»
Michael, 69

Ich lebe seit 1953 im Kleinbasel, habe 45 Jahre lang hier gearbeitet. Gelernt habe ich Elektriker, dann war ich lange Chauffeur. Vor dreieinhalb Jahren bin ich in Pension gegangen. Ich hatte mich darauf gefreut, mit meiner Ehefrau den Lebensabend zu verbringen. Wir hatten vor, gemeinsame Reisen und Ausflüge in der Schweiz zu unternehmen. Aber sechs Monate bevor wir beide in Rente gehen konnten, ist sie leider verstorben. Dass sie nicht mehr da ist, ist bis heute sehr schwierig für mich. Wäre sie noch bei mir, wäre diese Krise viel erträglicher. 

Aus erster Ehe habe ich zwei erwachsene Töchter. Die Trennung damals verlief nicht schön und ich habe leider keinen Kontakt mehr zu meinen Kindern. Vor Corona habe ich oft Fussball mit meinen Freunden gespielt. Das geht nicht mehr. Und wir können wegen der Sicherheitsempfehlungen auch sonst nichts miteinander unternehmen. Ich frage mich, wie’s weitergehen wird. Aktuell ist es sehr schwierig für mich, mich um einen neuen Job zu bemühen. Es gibt schlicht keine. In meinem Alter will mich zudem niemand mehr. Meine spärliche Rente ist aber auf Dauer auch keine Lösung.»

*Name von der Redaktion geändert

In einer Serie widmet sich Bajour dem Thema Armut in Basel. Dafür sprechen wir mit verschiedenen Menschen. In unserem nächsten Artikel berichtet Thomas, 47, warum ihm die Krise nur wenig anhaben kann, auch wenn seine Ersparnisse bald aufgebraucht sind.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Buchhandlung Labyrinth

Ina Bullwinkel am 07. Mai 2025

Das Labyrinth muss schliessen

Die Buchhandlung Labyrinth am Nadelberg muss schliessen, das teilt das Team in einer Mail seinen Kund*innen mit. Ein Nachfolgeprojekt am selben Standort sei für September dieses Jahres geplant.

Weiterlesen
Roche Türme

Valerie Wendenburg am 29. April 2025

Standortpaket – innovativ oder unsolidarisch?

Am 18. Mai entscheiden die Stimmberechtigten des Kantons Basel-Stadt über das Basler Standortpaket. Das Q&A gibt einen Überblick über den Inhalt des Pakets und die Pro- und Contra-Argumente.

Weiterlesen
Pro und Contra Standortpaket-2

Elisabeth Schneider-Schneiter am 28. April 2025

Standortpaket: Unser Wohlstand ist keine Selbstverständlichkeit

Unsere Region ist stolz darauf, ein erfolgreicher Innovationsstandort zu sein. Wir alle profitieren davon, schreibt Handelskammer-Präsidentin Elisabeth Schneider-Schneiter. Damit das so bleibe, brauche es das Standortpaket, findet sie. Ein Gastkommentar.

Weiterlesen
Novartis Campus

Franziska Stier am 25. April 2025

Standortpaket: Ein Schlag ins Gesicht

Durch das Standortförderpaket soll Basel für Unternehmen trotz OECD-Steuer attraktiv bleiben. Das sei ein Affront, findet Franziska Stier vom Komitee «Basel für Alle». Die Umverteilung durch das Förderpaket höhle die Idee der globalen Mindeststeuer aus. Ein Gastkommentar.

Weiterlesen
Adelina Gashi

<a href="https://www.trust-j.org/30004" target="_blank"><img src="https://www.trust-j.org/fileadmin/templates/layout/img/trustj-logo.png" width="150" /></a>

Bei Bajour als: Reporterin

Davor: Zürcher Studierendenzeitung, Republik und anderes

Kann: vertrauenswürdig, empathisch und trotzdem kritisch sein

Kann nicht: Still sitzen, es gut sein lassen, geduldig sein

Liebt an Basel: Die vielen Brücken, Kleinbasel

Vermisst in Basel: Das Meer

Kommentare