Tag der Wirtschaft

Alles für das Wachstum

Guy Parmelin, Magdalena Martullo-Blocher und Christian Lindner vermitteln beim Tag der Wirtschaft einen Vorgeschmack auf die Bilateralen-III-Abstimmung.

Magdalena Martullo Blocher beim Polit-Talk bei der Wirtschaftskammer Baselland. 20. November 2025, St. Jakobshalle
Magdalena Martullo Blocher war der eigentliche Star der Show – das Publikum konnte mit ihrer Anti-EU-Rhetorik viel anfangen. (Bild: David Rutschmann)

Die Zweiklassengesellschaft fängt im Eingangsbereich der Joggelihalle an. Hier trennt ein rotes Absperrband die Garderoben von VIP-Gäst*innen und «Normalo-Gäst*innen» des Tags der Wirtschaft, den die Wirtschaftskammer Baselland wie jedes Jahr als Vernetzungsanlass veranstaltet. 

So viel Vernetzung ist über das rote Absperrband hinweg aber gar nicht möglich. Auf Seite der Normalos wird man mit schokolierten Kaffeebohnen aus einer Kartonschachtel abgespeist, während im VIP-Eingang ein schick gekleideter Mitarbeiter auf einem hölzernen Bauchladen Luxus-Uhren von Oris präsentiert und Willkommens-Tüten der Schmuckfirma AnLu bereit stehen.

Als Bajour-Journalist ist man kein VIP-Gast – akkreditieren konnte ich mich für den «geschlossenen Anlass» (so heisst es in einer Mail) nicht, rein kommt man anscheinend nur auf Einladung der Wirtschaftskammer. Und die Security vermittelt mit freundlich-bestimmten Blicken «Du kommst hier nicht rein», auch wenn ich mich extra in die schickstmögliche Schale geworfen habe (was nicht nötig gewesen wäre – ein älterer Besucher erschien zum Beispiel mit einem «ugly christmas sweater»).

«In Deutschland wurde Lindner ja aus der Politik verscheucht, vielleicht weil er zu kompetent war.»
Student aus Freiburg, der extra wegen Christian Lindner angereist ist.

Als Christian Lindner eintrifft, immerhin der ehemalige Finanzminister Deutschlands, wird die Bitte nach einem Interview am roten Absperrband von einem Medienverantwortlichen erneut abgewiesen. Schade, ich hätte ihn gern nach seinem neuen Job als stellvertretender Geschäftsführer in einem ostdeutschen Autohandels-Konzern gefragt oder wie man Ritter der französischen Ehrenlegion wird.

Lindner ist, obwohl er die deutsche FDP zu einer Kleinpartei geschrumpft hat, immer noch ein Idol junger Liberaler im deutschsprachigen Raum. Zwei Studenten aus Freiburg erzählen dann auch beim Apero (auf der Normaloseite stehen viele KMUler eher verklemmt rum, anstatt sich zu vernetzen), dass sie extra für ihn gekommen sind. «In Deutschland wurde er ja aus der Politik verscheucht, vielleicht weil er zu kompetent war», sagt einer. In Wahrheit hatte Lindners FDP den Ausstieg aus der damaligen Ampel-Regierung über Wochen geplant.

Lindner ist dann auch einer der ersten Speaker*innen auf der grossen Bühne der Wirtschaftskammer. Er dachte zuerst, dass man ihn als «marktwirtschaftliche Stimme» im Programm haben wollte. Doch als er den Titel des Anlasses «Europa bremst – die Folgen für die Schweizer Wirtschaft» erfuhr, wurde ihm klar: «Du bist Repräsentant des abschreckenden Beispiels.»

Doch dieses Framing zu bedienen, fällt Lindner auch nicht schwer. Die Wirtschaft der EU stagniere und das sei ein Skandal, das die politische Linke sogar noch begrüsse. De-Growth, also wirtschaftliches «Schrumpfen» zur Ressourcenschonung, kann Lindner wenig überraschend nichts abgewinnen – er sagt sogar, dass «Menschen in Freiheit immer Wachstum produzieren müssen». Und arme Leute könnten ohne Wachstum ja auch ihren wirtschaftlichen Status gar nicht verbessern.

Seine Take-Home-Message: Geopolitische Stärke orientiere sich an wirtschaftlicher Stärke. Wenn Europa der erste klimaneutrale Kontinent sei, aber dafür den Wohlstand und damit die soziale Stabilität geopfert habe, würde niemand folgen wollen. Wenn die EU also mitreden wolle am Tisch der Mächtigen, braucht es wirtschaftliches Wachstum.

Die darbende EU-Wirtschaft ist der rote Faden in allen Vorträgen an diesem Tag. Den Elefanten im Raum – die EU-Rahmenverträge – holt man dann bei einem Streitgespräch auf die Bühne: Zwei Bundesparlamentarier*innen können Gaming-Show-mässig mit Buzzer und Redezeitbegrenzung versuchen, das Publikum zu überzeugen, dass die Rahmenverträge gut oder eben schlecht für KMU seien.

Marianne Binder-Keller, Magdalena Martullo-Blocher und Rainer Maria Salzgeber mit den EU-Verträgen. 20. November 2025, St. Jakobshalle
Moderator Rainer Maria Salzgeber musste hochstapeln: Magdalena Martullo Blocher hat das Vertragspaket mit der EU ausgedruckt mitgebracht. (Bild: David Rutschmann)

Als EU-Gegnerin hat man mit der Bündner Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher die Spitzen-Scharfmacherin der SVP aufgeboten. Sie hat das Populismus-Vokabular ihres Vaters Christoph Blocher, der immerhin das Gesicht des EU-Nichtbeitritts ist, auswendig gelernt. Die 200 Seiten der EU-Verträge hat sie ausgedruckt mitgebracht und verankert damit das sprachliche Bild «KMU wird von Bürokratie erschlagen» in den Köpfen des Publikums.

Dieser rhetorischen Matadora hat man mit der Aargauer Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller eine schwache Gegnerin gegenübergestellt. Sie blättert durch ihre Notizzettel, liest starr ab und wirkt technokratisch, als sie von den Vorteilen eines Rahmenabkommens erzählt. Es wäre nicht schwierig gewesen, eine*n bürgerliche*n (das muss es beim Tag der Wirtschaft eben schon sein) Gegner*in auf Augenhöhe zu finden – die Baselbieter Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter oder den Solothurner FDP-Nationalrat Simon Michel zum Beispiel.

Der Applaus im Publikum bestätigt dann auch vor allem Martullo-Blocher, die ready zu sein scheint für die kommenden anderthalb Jahre Abstimmungskampf bis Juni 2027, wenn die Rahmenverträge voraussichtlich vors Volk kommen.

Christoph Buser
«Der Blick auf die europäische Politik und den aktuellen Vorstand der EU motiviert wenig, wirklich Nähe zu suchen.»
Christoph Buser, Direktor Wirtschaftskammer Baselland

Während bei der europhilen Handelskammer beider Basel an dieser Stelle ein grosser Werbeblock für die EU-Verträge gefolgt wäre, hält der Direktor der Wirtschaftskammer Baselland Christoph Buser an der europakritischen Stimmung im Saal fest. Er formulierte zwar abwägend, aber eine gewisse Skepsis war zwischen den Zeilen zu vernehmen: «Der Blick auf die europäische Politik und den aktuellen Vorstand der EU motiviert wenig, wirklich Nähe zu suchen.»

Das sei kein Aufruf zum Abschotten, «im Gegenteil», sagt er. «Aber wir sollten uns nicht kleiner machen, als wir sind.» Er spricht von der «DNA der Schweiz», dass Föderalismus und Selbstbestimmung dem Land Wohlstand gebracht hätten. Zentralismus von einer «entfernten Instanz» (sprich: Brüssel) hingegen fördere politische Gleichgültigkeit. 

Politakademie soll Wirtschaftskammer Landrat-Nachwuchs bringen

«Egal, wie die Abstimmung ausfalle», müsse gewährleistet sein, dass möglichst viele Menschen an politischen Entscheidungen teilhaben können. Das ruft die Behauptung von Martullo-Blocher in Erinnerung. Sie geht davon aus, dass man in der Schweiz bei Annahme der EU-Verträge «nur noch in weniger als 5 Prozent der Fälle» abstimmen könnte (was vom Tagi-Faktencheck widerlegt wird)

Gegen politische Gleichgültigkeit hat die Wirtschaftskammer aber direkt einen Masterplan in petto: Buser kündigt eine Politakademie an, in der 25 junge Baselbieter KMUler*innen fit für die Landratswahlen 2027 gemacht werden sollen. Das Ziel ist klar: Die Wirtschaftskammer – der immer wieder bescheinigt wird, an Bedeutung verloren zu haben – will wieder mehr Einfluss im Parlament haben. Für die Gründung dieser Politakademie will man 100 Unternehmen suchen, die sich mit 5000 Franken beteiligen.

Zum Schluss darf dann auch noch Guy Parmelin auf die Bühne der Wirtschaftskammer. Jemanden aus dem Bundesrat hat man eigentlich immer als Gast beim Tag der Wirtschaft. Dieses Mal hat man mit dem SVP-Wirtschaftsminister den Mann der Stunde ausgewählt. Es ist sein erster öffentlicher Auftritt seit dem US-Zolldeal – und entsprechend referiert er dann nicht über Europa, sondern darüber.

Er nutzt seine Zeit, um klarzustellen, dass ihn die 15 Prozent Zoll auch nicht euphorisch machen, aber es besser sei als 39 Prozent. Fast schon hässig wird er, als er sich rechtfertigt für die Konzessionen, die Teil der Absichtserklärung sind (und widerspricht der Annahme, man habe zugestimmt US-Sanktionen zu übernehmen und Chlorhühnchen und Cybertrucks zu importieren). Und er plaudert aus dem Nähkästchen, dass die Schweizer Vertretung der US-Handelsdelegation Schokolade und Fondue mitgebracht hat.

So endet dann auch der Tag der Wirtschaft mit Essen: Im Foyer der Joggelihalle gibt es Häppchen – die VIPs ziehen sich derweil zurück zum von Spitzengastronomen aus der Region gecaterten Dinner.

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David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitik. Way too many Anglizismen.

Kommentare

Werner Pachinger
24. November 2025 um 06:08

Mit Emotionen gegen Sachlichkeit?

Das Streitgespräch zwischen Frau Martullo-Blocher und Frau Binder-Keller zeigte einmal mehr, wie Emotionen einer sachlichen Argumentation gegenüberstanden. Mit emotionsgeladenen Argumenten lässt sich erst mal ein Teil des Publikums – und auch der Wählerschaft – relativ leicht gewinnen. Es fehlte nur noch die Hellebarde, mit welcher der Stapel Papier durchstochen werden sollte. Der Schweiz geht es in erster Linie finanziell gut, weil wir eine starke, international konkurrenzfähige und innovative Wirtschaft haben. Sie profitiert vom Knowhow vieler ausländischer Arbeitskräfte. Das hohe Steuersubstrat aller Firmen und Bewohner ermöglicht bei unserer liberalen Wirtschaftsordnung auch gute Sozialleistungen. Das Abkommen mit der EU wird unserer Wirtschaft erlauben, in den verhandelten Sektoren – bei einem geregelten Streitmechanismus – in der EU weiter erfolgreich tätig zu sein und umgekehrt. Es ist ein Geben und ein Nehmen. «Take it or leave it» – der Bundesrat hat sich richtig entschieden.