Bullwinkels Blickwinkel

Eine Lektion in Sachen Realismus

Der Zolldeal mit den USA liegt frisch geschnürt auf dem Verhandlungstisch. Mit ähnlichem Pragmatismus sollte man das Vertragspaket mit der wesentlich wichtigeren Handelspartnerin EU behandeln, ganz ohne rosarote Brille, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

US-Praesident Donald Trump fotografiert auf einem Bildschirm, am Freitag, 8. August 2025, in Duedingen. (KEYSTONE/ Til Buergy)
Er macht sich die Zoll-Welt, wie sie ihm gefällt: Donald Trump. (Bild: KEYSTONE/TIL BUERGY)

Geht es um das Vertragspaket mit der EU, wird die SVP nicht müde zu betonen, wie stark sich die Schweiz dem Staatenverbund unterwerfe und sich – am Ende noch von fremden Richtern – knebeln lasse. Wenn es um die USA geht, kann es der Partei gar nicht unterwürfig genug sein. Denn der Bundesrat ist gerade dabei, sich unter SVP-Anleitung aka Guy Parmelin auf einen Deal mit den USA einzulassen, der keinen Zweifel daran lässt, dass die Eidgenossenschaft klein beigibt. 

Monatelang bettelte die offizielle Schweiz förmlich um eine Anpassung der Zölle, die mit 39 Prozent willkürlich gewählt sind, und jetzt – bitte, bitte – wenigstens auf EU-Niveau (15 Prozent) gesenkt werden sollen. Gesunken ist vor allem jede Form von nationaler Selbstachtung.

Es soll einen Durchbruch geben, angesichts massiver Zugeständnisse. Schweizer Firmen sollen 200 Milliarden Dollar in den USA investieren, die Schweiz soll den Import von umstrittenem amerikanischem Hormonfleisch und «Chlorhähnchen» erlauben, auf eine Digitalsteuer gegen Google und Co. verzichten und die US-Sanktionen gegen andere Länder zu übernehmen. Zusätzlich wird Donald Trump mit goldenen Geschenken umschmeichelt, um seiner geglückten Erpressung noch sowas wie eine persönliche Note zu geben.

Alles im Interesse der Wirtschaft und des Wohlstands des Landes. Das wichtigste Argument: Die Wirtschaft schrumpft bereits wegen des Zollchaos.

Der Reflex, die EU als grosse Heilsbringerin zu stilisieren, liegt gefährlich nahe. Dabei darf nicht ausgeblendet werden, dass auch in den Beziehungen mit der EU nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist.

Bei unseren europäischen Nachbarn, den viel grösseren Handelspartnern als den USA,  besteht nach jahrzehntelangem Lavieren mindestens eine genauso hohe Dringlichkeit, sich zu einigen wie jetzt mit dem Weissen Haus. Doch während es bei Trump schlicht als das notwendige Übel gilt, die Bücklinge zu machen und die Zückerli springen zu lassen, setzt die SVP bei der EU bei zu wenig Entgegenkommen zur Not die Personenfreizügigkeit und den Zugang zum Binnenmarkt aufs Spiel. 

Wer befürchtet, die EU könnte zu viele Vorschriften machen, sollte sich fragen, was die USA jetzt schon machen – allerdings ganz ohne umfangreiches, bilaterales Vertragspaket und im Streitfall ohne «fremde Richter» – sondern einfach mit dem Recht des Stärkeren, der die gerade gesenkten Zölle jederzeit wieder hochfahren wird, wenn die Schweiz nicht spurt.

Es scheint mit Blick auf das unwürdige Spektakel in Washington: Mehr Werbung für das EU-Abkommen kann Guy Parmelin gerade gar nicht machen. Neben den USA wirkt die EU scheinbar immer attraktiver. Und der Reflex, die EU als grosse Heilsbringerin zu stilisieren, liegt gefährlich nahe. Dabei darf nicht ausgeblendet werden, dass auch in den Beziehungen mit der EU nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Sie hat gerade neue Stahlzölle verhängt, die auch die Schweiz empfindlich treffen. Zwar nicht so heftig wie Trumps Zoll-Hammer, aber aufmunternd ist das nicht gerade für die Schweizer Unternehmen. Trumps Protektionismus zwingt die EU zum Handeln, da billiger Stahl aus China nun statt in die USA vermehrt nach Europa kommt. Protektionismus mit Protektionismus bekämpfen.

Im besten Fall beweisen die Verhandlungen mit Trump, dass die Schweiz in der Lage wäre, den gleichen Pragmatismus an den Tag zu legen, wenn es um die EU geht.

Die EU handelt am Ende in ihrem besten Interesse, nicht im Interesse der Schweiz. Das wirtschaftsmächtige, aber kleine Land spürt derzeit seine Abhängigkeit von den Grossen wie schon lange nicht mehr. Im besten Fall beweisen die Verhandlungen mit Trump, dass die Schweiz in der Lage wäre, den gleichen Pragmatismus an den Tag zu legen, wenn es um die EU geht – so formuliert es auch Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter in einer Bajour-Umfrage unter den Basler Parlamentarier*innen zum US-Zolldeal.

Ein wenig Realismus und Akzeptanz der hausgemachten Abhängigkeiten täte allen gut. Es braucht eben nicht nur gute Beziehungen ausschliesslich zu den USA oder ausschliesslich zur EU. Ein Weg als Alleinkämpferin ist schlicht nicht realistisch, wenn man seine wirtschaftliche Stärke nicht aufs Spiel setzen will.

Trump
«Es ist durchaus eine Form von Erpressung»

Die Parlamentarier*innen aus beiden Basel sehen den Zolldeal grösstenteils kritisch, den der Bundesrat mit Trump ausgehandelt hat. Einige wollen ihn bekämpfen, andere wollen die ausgehandelten 15 Prozent nicht gefährden.

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Kommentare

Christoph Nikolaus
22. November 2025 um 15:41

Pragmatismus

Merci Ina für Deinen Artikel. Der so genannte «Zollhammer» zeigt einmal mehr, dass die viel gepriesene «Souveränität» einfach nur theoretisches Wunschdenken ist. Es gibt keine 100% souveränen Staaten, genau so wenig, wie es auch keine absolut freien Individuen gibt. Selbst die ganz Grossen sind gezwungen, internationale Zusammenhänge zu berücksichtigen – die Grossen natürlich deutlich weniger als die Kleinen, wie beispielsweise die Schweiz. Den Kniefall vor King Donald I nehme ich zähneknirschend zu Kenntnis... Ich habe bis zum Ende meiner Berufszeit in einem internationalen Pharmaunternehmen in Bern gearbeitet. Dort wurde der Weltmarkt in drei Regionen eingeteilt: US / Europe / ROW (Rest of the World). Selbstverständlich sollen US und Europe weiterhin wichtige Handelspartner bleiben. Die Schweiz sollte allerdings auch berücksichtigen, dass zwischenzeitlich die Wirtschaftsleistung von ROW grösser ist als die unserer bisher wichtigsten Handelspartner