Vom TV-Container zum Fussballrasen

Vor zwanzig Jahren verbrachte Olivier Kapp 71 Tage im «Big Brother»-Container. Freund*innen fand er da keine – die warteten auf dem Spielfeld. Heute ist er ehrenamtlich Präsident des FC Nordstern. Was treibt ihn um?

fcnordstern

Olivier Kapp ist auf den ersten Blick ein ziemlich normaler Basler Bürger. Der 51-Jährige arbeitet als Jurist bei einem grossen Pharmaunternehmen in Basel, ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. Seit einem Jahr ist er ausserdem ehrenamtlicher Präsident des FC Nordstern, um den es hier gleich gehen wird.

Doch es gibt auch noch ein anderes Kapitel in Olivier Kapps Geschichte, das wir hier auf keinen Fall auslassen wollen: Er war ganz vorne dabei, als vor zwanzig Jahren Schweizer Mediengeschichte geschrieben wurde.

71 Tage Container

Am 3. September 2000 zog Olivier Kapp mit neun anderen Personen in einen Wohncontainer in Glattfelden bei Zürich. «Big Brother» war in der Schweiz angekommen. Dani Fohrler und Karin Lanz moderierten für den Privatsender TV3 die Sendung und kürten nach 106 Tagen (fun fact am Rande: Heute reichen schlappe zwei bis drei Wochen Durchhaltevermögen, um bei «Promi Big Brother» den Titel zu holen) totaler Kameraüberwachung Daniela zur Siegerin des Fernsehexperiments. Eine 29-jährige, alleinerziehende Mutter, die 150'000 Franken Siegesprämie abholte und eine CD mit dem Namen «Count to ten» veröffentlichte.

Olivier Kapp musste den Container nach 71 Tagen verlassen und veröffentlichte keine CD.

«Es war eine Superzeit», erinnert er sich. Im Gegensatz zu vielen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern sah er in «Big Brother» kein Sprungbrett für eine musikalische oder schauspielerische Karriere. Für ihn war es «eine tolle Lebenserfahrung und ein spannendes Experiment». Trotz engem Zusammenleben hätten sich im Wohncontainer aber keine engen Freundschaften entwickelt.

«Es war eine Superzeit.»
Olivier Kapp zu seinen 71 Tagen im «Big Brother»-Container.

Seine Freunde fürs Leben fand Kapp woanders: Als Junior trat er beim Ballsportclub Olympia Basel (heute BCO Alemannia Basel) gegen das runde Leder. Freunde waren es denn auch, die ihn vor rund 20 Jahren als Goalie zu den Senioren des FC Nordstern holten. Hier erlebte Kapp seine sportlichen Highlights, wie er schmunzelnd erzählt: Mit den Nordstern-Veteranen gewann er zweimal den Basler Cup.

«Der Fussball hat mir in meinem Leben extrem viel gegeben», erzählt Kapp. Um sich bei seinem Herzensclub zu revanchieren, entschied er sich 2019, das Präsidentenamt zu übernehmen. Keine leichte Aufgabe.

Denn der FC Nordstern befindet sich sportlich an einem historischen Tiefpunkt.

Traditionsverein ganz unten

Die erste Mannschaft des Clubs spielt aktuell in der 4. Liga. Tiefer als in die 5. Liga kann ein Fussballclub nicht fallen. Das ist bitter für den Traditionsverein, der 1901 gegründet und hinter dem FC Basel und den Old Boys der drittälteste Club der Stadt ist. Die Blütezeit erlebten die Rot-Schwarzen nach dem Bau des Rankhof-Stadions 1924 mit drei Vizemeistertiteln in den 1920-Jahren und zwei Cupfinal-Teilnahmen, die aber 1935 und 1939 jeweils gegen Lausanne mit Niederlagen endeten.

Jahrzehntelang war der Club bis 1943 eine feste Grösse in der Nationalliga A. In den späten 1970er-Jahren kehrte Nordstern kurz ins Oberhaus zurück, bevor 1982 nach dem Abstieg in die NLB der kontinuierliche Niedergang einsetzte (einen spannenden Beitrag zur Geschichte des FC Nordstern gibt es im Fussballmagazin Zwölf)

Der FC Nordstern in der Nationalliga A? Tempi passati. Olivier Kapp erteilt Träumen einer Rückkehr von Nordstern in den Spitzenfussball eine Absage. Das ist im heutigen Fussball nur mit solider Arbeit, aber ohne finanziellen Effort nicht mehr möglich.

«Unsere Mitglieder sind die Basis des Vereins.»

Kapp möchte den Verein wieder stärker bei den Menschen in der Stadt verankern. In seiner einjährigen Amtszeit kann er erste Erfolge vorweisen. Er traf sich in den letzten Monaten mit unzähligen ehemaligen Spielern (u.a. Ruedi Zbinden) oder Sympathisanten zum Austausch. Die Zahl der Passivmitglieder erhöhte sich so von 20 auf 70 Personen.

Finanziell steht der Club auf soliden Beinen. Er ist schuldenfrei. Für die Saison 2020/21 ist aber bei einem Aufwand von rund 170'000 Franken ein Defizit von rund 10-20'000 Franken budgetiert. Sponsor*innen zu finden sei extrem schwierig. «Wir sind finanziell auf unsere Mitglieder angewiesen. Sie sind die Basis des Vereins», sagt Kapp.

Gute Junior*innenen werden abgeworben

Rund 400 Mitglieder zählt der FC Nordstern. 250 davon sind Junioren. Das ist eine hohe Zahl und eine gute Grundlage für den Aufbau einer starken ersten Mannschaft. Könnte man meinen. Die Realität sieht anders aus. «Das Abwerben von guten Junioren durch andere Vereine ist für Nordstern ein grosses Problem», erzählt Kapp. Es sei deshalb praktisch nicht möglich, eine starke erste Mannschaft mit eigenen Junioren aufzubauen.

Aus diesem negativen Kreislauf (keine erfolgreiche erste Mannschaft = gute Junioren wechseln den Club) auszubrechen, wird in der Wahrnehmung von Olivier Kapp immer schwieriger. Die Verpflichtung von Verstärkungen für die erste Mannschaft scheitere auch oft an den finanziellen Forderungen, erklärt Kapp. «Wir können und wollen den Spielern keine Löhne zahlen», stellt Kapp klar und wundert sich, dass bereits auf 4. Liga-Niveau Geld eine Rolle spielt.

«Wir können und wollen den Spielern keine Löhne zahlen.»

Trotz Konkurrenz vor allem im Juniorenbereich ist das Verhältnis zu den anderen regionalen Fussballclubs gemäss Kapp gut. Man tausche sich untereinander aus und pflege einen freundschaftlichen Umgang. Über den FC Basel hingegen kann Kapp nur den Kopf schütteln. Er kann nicht verstehen, dass der FCB keinen engeren Kontakt zu den regionalen Fussballclubs pflege.

Als es vor wenigen Wochen zu einem Austausch zwischen der FCB-Führung und Vertretern von regionalen Fussballclubs kam, stellte Kapp die Frage, weshalb der FCB keine Freundschaftsspiele gegen regionale Teams veranstalte oder den Austausch von FCB-Stars mit Junioren fördere. Die FCB-Führung zeigte sich darauf interessiert und versprach, das Anliegen intern zu prüfen. Kapp bleibt aber skeptisch, ob es zu einer Annäherung kommt: «Das glaube ich erst, wenn es soweit ist».

Vor zehn Jahren trafen der FC Nordstern und der FC Basel zum letzten Mal in einem Freundschaftsspiel aufeinander. Der Favorit setzte sich standesgemäss mit 7:1 durch. Es war das 121. Duell der beiden einstigen Rivalen und wohl für lange Zeit das letzte. Fussballgeschichte wird in Basel schon lange nicht mehr auf dem Rankhof geschrieben. Nordstern-Präsident Olivier Kapp braucht das Scheinwerferlicht der grossen Bühne aber auch gar nicht: «Der FC Nordstern ist heute in erster Linie ein Verein, der Kindern Freude am Fussball und an der Bewegung vermitteln will».

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