Von der Krux, ein guter Fussballvater zu sein
Rauchen, trinken, auf Fehlentscheide schimpfen: Geht das mit dem kleinen Sohn auf der Sitzschale nebenan? Zum heiteren Sinnieren auf dem Bolzplatz lädt heute Didi-Einwechselspieler David Frey.
Mein älterer Sohn wollte schon kurz nach seinem vierten Geburtstag endlich und unbedingt einmal mit mir an einen FCB-Match ins Joggeli mitkommen.
Seit mein Erstgeborener auf der Welt ist, wünsche ich mir, dass er meine Leidenschaft für meinen Herzensclub teilen und nachvollziehen kann. Weshalb genau das so ist, kann ich mir heute noch nicht so richtig erklären. Ein Erklärungsansatz ist vielleicht, dass mein Vater – obwohl selber auch fussballinteressiert – nur sehr wenige FCB-Spiele mit mir besuchte. Ich wurde von meinem damaligen Chor-Götti als FCB-Fan sozialisiert, wofür ich ihm heute noch dankbar bin.
Für mich war eigentlich klar, dass ein Matchbesuch für einen Vierjährigen zu früh kommt. Er verstand den Fussball ja noch gar nicht richtig. Mein Sohn forderte aber sehr klar und bestimmt, dass er jetzt endlich einmal in dieses Stadion will. Da ich meinen Stamm-Sitzplatz im Joggeli auf dem Balkon in der Gegengerade habe und diese Matchpremiere der Saisonauftakt mitten in den Sommerferien gegen den FC Sion war, fand ich es vertretbar, diesen Versuch zu wagen.
Es war mir wichtig, dass das erste Spiel im ehrwürdigen Joggeli ein positives Erlebnis für meinen Erstgeborenen wird. Es sollte anders kommen…
Fragen über Fragen
Bevor wir also ein erstes Mal gemeinsam Richtung Joggeli pilgerten, machte ich mir Gedanken, wie ich mich während dem Match verhalten soll, wenn mein Sohn dabei ist:
Soll ich auf die üblichen Zigaretten verzichten, weil ein guter Vater nicht raucht?
Soll ich darauf verzichten, mein gewohntes Bier zu trinken, weil ich meinem Sohn ein Vorbild sein soll?
Soll ich meine Emotionen zügeln, weil ich die ja auch im Alltag nicht überbordend zur Schau trage und Ausfälligkeiten üblicherweise nicht Teil unserer Erziehung sind?
Ich fragte mich aber auch: Bin ich ein schlechter Vater, wenn ich mich am Match genauso verhalte, wie ich mich normalerweise an einem Match eben verhalte?
«Es ist mir wichtig, meinem Sohn zu vermitteln, dass ein Fussballspiel für mich auch ein Ausbruch aus dem Alltag ist.»
Es wurde mich schnell klar: Es ist mir wichtig, meinem Sohn zu vermitteln, dass ein Fussballspiel für mich auch ein Ausbruch aus dem Alltag ist. Er soll mitbekommen, dass man sich an einem Match durchaus mal gehen lassen, seinen Emotionen freien Lauf lassen und auch mal Ausdrücke verwenden darf, die eigentlich nicht alltagstauglich sind.
Ich bin überzeugt, dass ich deswegen weder ein schlechter noch ein guter Vater bin; ich bin einfach Vater und grosser FCB-Aficionado.
Wir zogen also beide – selbstverständlich in rotblau gekleidet – voller Vorfreude auf unsere gemeinsame Vater-Sohn-FCB-Matchpremiere los Richtung Joggeli. Allerdings erhielt unser Vorhaben noch vor Matchbeginn einen grossen Dämpfer.
Angst vor dem Adidas-Männlein
Mein Sohn entdeckte nach dem steilen Treppenaufstieg zum Stadioneingang eine schwarzes, mit Luft aufgeblasenes Adidas-Männlein, das ihn derart verängstigte, dass er sich kaum mehr davon erholen konnte.
Ich hatte ja mit vielem gerechnet und meinen Sohn auf den Matchbesuch vorbereitet, aber ich habe die Rechnung ohne dieses Adidas-Männlein gemacht. Unter dem offenbar bleibenden Eindruck dieses aufgeblasenen, ganz und gar unnatürlichen Werbemännleins am Stadioneingang und all den sonstigen Eindrücken, die auf meinen Vierjährigen einprasselten, haben wir entschieden, das Stadion in der Pause zu verlassen.
Wir fuhren also beim Pausenstand von 0:0 nach Hause und schauten das Spiel am Fernseher zu Ende – der FCB gewann mit 3:0. Das erste Matcherlebnis fand zumindest vom Resultat her doch noch einen guten Ausgang und wir entschieden, ein Jahr zu warten, bis wir wieder zusammen einen FCB-Match besuchen.
«Wenn ich meinen Sohn heute frage, wie er mein Verhalten während einem Match beschreiben würde, sagt er es mit einem Wort: wild!»
Heute lachen wir darüber. Seit mein Sohn fünf Jahre alt ist, haben wir viele FCB-Spiele besucht und wir geniessen es jedes Mal. Und ich verhalte mich nach wie vor so, wie es auch tue, wenn mein Sohn nicht dabei ist: Ich rauche, ich trinke, ich lasse meine Emotionen zu, fluche, juble, schreie und lege mich – wenn mir mal wieder ein Dauermotzer in den Sitzreihen hinter mir auf den Senkel geht – wenn es sein muss, auch mit anderen Zuschauern an.
Wenn ich meinen Sohn heute frage, wie er mein Verhalten während einem Match beschreiben würde, sagt er es mit einem Wort: «wild»! Wenn ich ihn frage, ob ihn das störe, verneint er dies. Das gehöre halt zu einem Match dazu. Ziel erreicht…!
Der FCB-Samen ist gesät, er scheint zu keimen und zu gedeihen – zumindest bei meinem Erstgeboren. Der jüngere Sohn findet Fussballschauen langweilig, was selbstverständlich völlig in Ordnung ist und den grossen Bruder freut, weil er deshalb öfter dazu kommt, im Joggeli Spiele zu besuchen.
Ob er dann wirklich einmal – so wie ich damals – die Spiele von der Kurve aus schauen und vielleicht sogar ein aktives Mitglied der Muttenzerkurve wird, werden wir sehen. Ich würde mich freuen. Es würde mich mit Stolz erfüllen. Er wird seinen Weg gehen – als eingefleischter FCB-Anhänger oder auch nicht. Irgendwann werde ich als Vater keinen Einfluss mehr darauf haben. Und das ist gut so.