Warten oder Sein

Michelle

Das Wasser unter mir glitzerte dunkelgrün. Hin und wieder blitzte es golden oder orangefarben auf, wenn die Sonne im richtigen Moment hinter einer Wolke hervorschaute und ihre Strahlen einen der Kois trafen. Gemächlich trieben sie dahin, ein bisschen ziellos, aber ich war nicht viel besser. Etwas unentschieden sah ich mich um, verliess dann die Brücke und folgte dem Ufer des Teichs bis zu einer Holzbank. Ich liess mich nieder, verschränkte die Arme und warf einen Blick auf meine Uhr.

Schüler*innentexte

Was gibt es im Winter Schöneres, als sich auf wärmende Sonnenstrahlen aus dem Sommer zu besinnen und an seine eigene Jugend zu denken?! Sieben Schüler*innen des Gymnasiums am Münsterplatz, alle um die 18 Jahre alt, haben im Sommer kurze, kreative Texte zum Thema «Verweilen in Basel» geschrieben. 

Dafür haben sie öffentlich zugängliche Plätze in Basel aus Ihren Augen und anhand Ihrer Sinne, Gedanken und Erinnerungen beschrieben. Sie verpacken die Plätze kreativ in Sprache und nehmen die Leser*innen mit in ihre Leben, ihre Sorgen und Wünsche. 

Das Ergebnis ist ein Blick in die Gefühlswelt und die Realität vieler Jugendliche. Gern veröffentlichen wir bei Bajour die Texte.

zu allen Texten

Eigentlich verbrachte ich meine Zeit hier immer mit Warten. Es war ein einfacher Treffpunkt, im Park bei der Tramhaltestelle. Immerhin gab es nur einen grossen Weg, der quer über eine Wiese, vorbei am Altersheim zu der dahintergelegenen Wohngegend führte. Nette Einfamilienhäuser, manche pittoresk, manche ausladend, manche mit Tesla vor der Türe, andere mit Porsche. Eines war so gebaut worden, um möglichst an ein Küstenstädtchen in Griechenland zu erinnern, mit hellblauer Fassade, verschnörkelten weissen Ornamentszäunen und flachem Dach. Man konnte es als zu bemüht, oder als eine willkommene architektonische Abwechslung sehen. Ich selbst war mir noch nicht sicher, auf welcher Seite ich stand.

Die Tramhaltestelle auf der anderen Seite des Parks hiess Zum Park. Fälschlicherweise hatte sich aber irgendwie in den Köpfen der Menschen festgesetzt, dass dies auch der Name des Parks ist. Dabei hatte der einen eigenen Namen: Holderstüdelipark.

Ein frischer Wind streifte mich und der Geruch von Gras wehte vorbei. Gerade fuhr eine Gruppe Jugendliche mit Mountainbikes über die Brücke, in Richtung der südlichen Grenze des Parks, wo ein kleiner Spielplatz stand. Dieser wurde sich geteilt von kleinen Kindern, die am Klettergerüst herumkraxelten und etwas älteren Kindern, die es vorzogen, dort in Ruhe zu rauchen.

Ich wandte mich wieder ab, der Geruch war längst verflogen, nun stieg mir stattdessen der Duft von gebratenen Kartoffeln in die Nase. Ein Blick nach rechts verriet mir, dass sich eine Bewohnerin des Altersheims näherte, gestützt auf einen Rollator, auf dem sie auch ihren Lunchteller platziert hatte. Ich grüsste höflich, als sie an mir vorbeikam, ohne eine Antwort zu erhalten. Ich wusste genau, was jetzt kommen würde. Ich verfolgte ihr Tun weiter, inzwischen hatte sie es auf die Brücke geschafft. Sie liess ihren Rollator stehen, klammerte sich stattdessen mit der einen Hand an das Geländer und nahm sich mit der anderen eineder Kartoffeln vom Teller. Sie holte, so weit es ihre Arthrose zuliess, aus, und warf die Kartoffel in das grüne Wasser. Dort kam sie spritzend auf. Die zweite folgte. Dann die dritte.

Die verursachten Wellen plätscherten unter meinen Füssen gegen das Ufer. Spätestens jetzt waren jeder Fisch und jede Ente mit Verstand in Deckung gegangen, doch die Frau war glücklich. Sie fütterte die Tiere. Sie würde später nochmals kommen, würde ihren Dessert-Jogurt in den Teich schütten, bis eine Pflegekraft sie finden und freundlich aber bestimmt zurück ins Haus geleiten würde. Die junge Frau würde mir ein wissendes, vielleicht auch entschuldigendes Lächeln schenken, und ich würde abwinken. Der Teich gehörte mir nicht, und es brachte der Frau Freude.

Der Park war ein Ort des Kommen und Gehens, des nur kurzen Verweilens, des Spazierens. Eigentlich verdiente er mehr Aufmerksamkeit. Er erzählte unzählige Geschichten zugleich. Und in diesem Moment erschien eine Gestalt am Parkeingang, die ich sofort erkannte, die mir zuwinkte. Ich erhob mich, um ihr entgegenzugehen, raus aus dem Park. Wie jedes Mal nahm ich mir vor, irgendwann mal hier hinzukommen, um nicht zu Warten, sondern zu sein.

Und wie jedes Mal würde ich das nicht tun, sondern eine kurze SMS senden, Zum Park um 16:00?

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