Jetzt sind sie weg
Bettlerin Bianca wurde ausgeschafft, wir haben sie in Rumänien besucht. Auch sonst sind weniger Roma unterwegs. Politiker*innen haben unterschiedliche Erklärungen dafür.
Er sass immer in der Freien Strasse, der Rumäne mit dem verletzten Bein. Dann war er plötzlich weg. Ebenso wie die junge Frau mit dem bunten Rock und dem Schild: «Bitte Essen für mein Kind». Vor einem Jahr waren Bettler*innen in Basel noch omnipräsent – in den Medien und auf der Strasse...
Ein knappes Jahr später sieht man zwar da und dort noch Bettler*innen in der Stadt. Ein Grossteil von ihnen scheint aber verschwunden zu sein. Die Zeit, in der Basler*innen alle paar Meter angesprochen wurden, scheint vorbei zu sein. Einige von ihnen wurden ausgeschafft. Unter anderem mit Hilfe des im September 2021 teilrevidierten Übertretungsstrafgesetz. Aggressives und aufdringliches Betteln ist seither verboten. So zum Beispiel auch Bianca, die wir in Rumänien besucht haben.
Bianca bettelte in Basel um Geld, bis sie im April nach Saint-Louis ausgeschafft wurde. Wie geht es ihr jetzt in Rumänien? Und was wurde aus der zugesicherten Basler Hilfe für die Roma vor Ort?
Auch die Kantonspolizei Basel-Stadt «stellte in jüngster Vergangenheit fest, dass sich weniger Personen aus Rumänien in der Stadt aufhalten und betteln», wie es auf Anfrage heisst. Die Anpassungen in der Gesetzgebung hätten, wie erwartet, zu einem «besseren Nebeneinander» von Bettelnden und Besucher*innen in der Stadt geführt, konstatiert die Kapo.
Ein Kommen und Gehen
SVP-Grossrat Joël Thüring nimmt das anders wahr. Zwar habe sich die Situation in Basel seit September 2021 entspannt: «Die Bettelverbote werden grösstenteils eingehalten.» Doch will er eine wiederkehrende Verschärfung des Problems in Wellen beobachten. Einen möglichen Grund dafür sieht er darin, dass immer wieder neue Bettler*innen herkommen, die die Regeln noch nicht kennen.
SP-Grossrat Pascal Pfister findet es hingegen einleuchtend, dass sich mal mehr, mal weniger Menschen aus Rumänien hier aufhalten. «Schliesslich dürfen sie ja nur drei Monate bleiben. Es ist ein Kommen und Gehen.»
Zwar gibt er Thüring recht, dass es nach wie vor Bettler*innen in der Stadt gebe. Aber: «Die Situation hat sich seit September 2021 eingependelt. Das ist gut so, denn das aufdringliche Betteln kratzte an der Toleranzgrenze der Bevölkerung.»
Pfister, der Sozialdemokrat, sieht aber auch eine gewisse Regulierung durch den Markt. So analysiert er: «Wenn es zu viele Bettler*innen gibt, machen sie sich gegenseitig die Einkommensquelle kaputt. Deswegen glaube ich, dass nicht nur die Gesetzesrevision dazu führte, dass nun weniger gebettelt wird.» Er findet aber nicht, dass die Situation seit letztem Herbst wieder angezogen hat.
Hilfe braucht es vor Ort
In einem Punkt sind sich die beiden Grossräte einig: Hilfe wird vor Ort benötigt.
Thüring findet, es trage nicht zur Lösung des «Problems der rumänischen Bettlerbanden» bei, wenn man sie hier gewähren lasse. «Das ist ausserdem ein schlechtes Signal für deren Kinder. Es ist nachhaltiger und menschlicher, es zu verbieten.» Es gelte aber nicht: Aus den Augen, aus dem Sinn. Den Menschen müsse mit konkreten Projekten vor Ort geholfen werden. «Deswegen sollte das Geld dafür auch gesprochen werden», sagt er.
2022 schlug die Basler Regierung die Bewilligung von 1,16 Millionen Franken sowie einen Nachkredit von 290’000 Franken für die Hilfe in Rumänien vor.
Aktuell befindet sich der Ausgabenbericht in der Kommissionsberatung, dessen Traktandierung im Grossen Rat im Herbst erwartet wird.
SVP-Grossrat Thüring sieht die Verantwortung aber auch bei der EU. «Rumänien ist ein EU-Land. Die EU sollte das Problem also auch lösen. Wir in der Schweiz haben unsere eigenen Probleme. Aus diesem EU-Problem wurde ein Problem für Basel, weil die linken Parteien das Betteln erlaubten.»
Pfister sieht dies anders: «Wir leben alle in einer Welt – und die Schweiz ist ein Teil davon. Das Problem der Roma ist in ganz Europa präsent. Es ist eine Bevölkerungsgruppe, die weniger privilegiert ist und vielfach diskriminiert wird. Deswegen sollten konkrete Projekte vor Ort gefördert werden.»
Fazit: Die Wirkung des Teilverbotes ist nicht zu leugnen. Ob die Hilfe vor Ort auch wirklich dort ankommt, wo sie das Betteln in Basel präventiv verhindert, wird sich in Zukunft zeigen. Alexander Ott, Berner Polizeichef und viel zitierter Bettelexperte, sagte vor rund einem Jahr zu Bajour, man könne das Problem weder mit einem Bettelverbot aus der Welt schaffen, noch die Ursache mit mehr Entwicklungsgeldern beheben.
«Man müsste auch zugeben, dass wir in der Schweiz ein Niedriglohnsegment beschäftigen, von dem wir alle direkt oder indirekt profitieren», betonte er und sprach sogar von «einer breit akzeptierte Art von Ausbeutung der Arbeitskraft. Ob es hier nun um den Spargelstecher aus Osteuropa handelt, der für die Ernte in die Schweiz reist und für einen Hungerlohn Knochenarbeit leisten muss, zu der kein Schweizer bereit wäre oder ob es sich um ausländische Putzkräfte handelt, die keinem Gesamtarbeitsvertrag unterstehen». Über dieses Problem spreche aber niemand gerne.
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