Wenn Alleinsein krank macht

«Wer einsam ist, wird schneller krank», sagen Studien. Dabei sind es nicht nur ältere Menschen, die unter Einsamkeit leiden – auch junge Erwachsene fühlen sich oft allein. Warum das so ist und was dagegen unternommen werden kann.

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Home Office, Soziale Distanz: Mit der zweiten Welle wird es für viele Menschen einsam. (Bild: Etienne Boulanger/Unsplash)

Dies ist ein Gastbeitrag von tsüri.ch, dem unabhängigen Partnermedium von Bajour.

Wir können uns wohl alle noch gut an die Zeit erinnern, als wir unsere sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzieren mussten, um die Verbreitung des Covid-19-Virus einzudämmen. Das war im vergangenen März. Danach versuchten wir trotz einigen Einschränkungen, den Sommer zu geniessen; trafen Freund*innen auf einen Schwumm in der Limmat oder auf ein Bier an dessen Ufer. Jetzt, wo das Glacé durch die heissen Maronis abgelöst wurde, stehen wir wieder kurz davor, durch einen bundesweiten Lockdown erneut in eine ungewollte soziale Isolation zu rutschen. Mit ihr kommt die Angst vor der Einsamkeit.

Junges Leiden

Das Thema der sozialen Isolation und die gesundheitlichen Folgen davon wurde durch die Pandemie zwar wieder aktueller, die Statistik zeigt jedoch: Bereits im Jahr 2017 fühlten sich knapp 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung über 15 Jahren oft oder manchmal einsam – lange Zeit vor Corona und dem darauffolgenden Lockdown. Die Zahlen des Bundesamtes zeigen, dass vor allem junge Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren davon betroffen sind: Während bei Personen über 65 Jahren jede*r Dritte von Einsamkeit berichtet, ist es bei den jungen Erwachsenen fast jede*r Zweite.

Weshalb ist das so? «Zum einen ist es natürlich eine Definitionsfrage, zum anderen hat Einsamkeit unterschiedliche Ursachen», sagt Thomas Brunner von Pro Juventute, «ältere Personen leiden vor allem darunter, dass die Anzahl der sozialen Kontakte abnimmt, bei den Jungen ist es die unzureichende Qualität der Beziehungen, die zu Einsamkeitsgefühlen führen.» Brunner leitet seit vielen Jahren die Beratungsstelle 147, die Notrufnummer für Kinder und Jugendliche. Gemäss dem Sozialpädagogen hat sich die Anzahl Menschen, die wegen Einsamkeit die Hilfe der Berater*innen sucht, seit Beginn der Pandemie drastisch erhöht.

Gemeinsam, aber einsam?

Das habe auch damit zu tun, dass das Thema Einsamkeit in der Gesellschaft oft nicht mit jungen Menschen in Verbindung gebracht werde: «Objektiv betrachtet sind Jugendliche besser im sozialen Netz integriert als Senior*innen. Bei älteren Personen sind die Gründe des Sich-Einsam-Fühlens auch viel nachvollziehbarer und in erster Linie von äusserer Natur. Bei Jugendlichen sind es hingegen innere Faktoren», so Brunner. Gerade junge Menschen würden Feedback aus dem Freundeskreis brauchen, um ihre eigene Identität definieren und sich in der Gesellschaft einordnen zu können.

Bleibe diese Rückmeldung aus, nage dies nicht nur am Selbstwertgefühl, sondern führe auch zu grossen Selbstzweifeln, erklärt der Sozialpädagoge. «Selbstzweifel, die im schlimmsten Falle die Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz aufkommen lassen.» Glücklicherweise sei aber nicht jede*r Anrufer*in bereits an diesem Punkt angelangt. Bei den meisten helfe es, ihnen einen positiven Blick zu vermitteln und das Problem zu normalisieren.

Gesundheitsrisiko Einsamkeit

Das Problem Einsamkeit zu normalisieren und die Gesellschaft darauf zu sensibilisieren, darum geht es auch im Programm «Prävention und Gesundheitsförderung im Alter» des Kantons Zürich. «Obwohl Jugendliche gemäss Statistik stark von Einsamkeit betroffen sind, ist die Zahl der sich einsam fühlenden Senior*innen faktisch ebenfalls sehr hoch», sagt die Koordinatorin des Programms, Manuela Kobelt. Mit dem Pensionsalter falle zuerst das Arbeitsfeld weg, später würden auch Todesfälle im Bekanntenkreis massiv zur Vereinsamung beitragen. Im Alter müsse man deshalb «das soziale Umfeld aktiv aufrechterhalten und sich dafür engagieren.» Das Programm, welches 2019 in die Umsetzungsphase gestartet war, soll die Hürden einer sozialen Teilhabe für ältere Menschen möglichst klein halten: «Die Angebote sind teils gratis oder einkommensschwache Personen werden finanziell unterstützt und so ausgelegt, dass auch gehbehinderte oder anderweitig eingeschränkte Senior*innen daran teilnehmen können.»

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Die Hintergründe des Programms sind – wie so oft bei solchen Initiativen – wirtschaftlicher Natur, denn es gibt es einen direkten Zusammenhang von Einsamkeit und gesundheitlichen Problemen. Dies wurde bereits in verschiedenen Studien belegt, wie Kobelt erklärt: «Wenn man sich einsam fühlt, erhöht sich das Stresslevel, was zu einem erhöhten Cortisolspiegel führt. Dies wiederum fördert den Bluthochdruck, was zur Folge hat, dass das Herzinfarktrisiko beträchtlich steigt.» Doch auch die psychischen Komponenten, welche die Einsamkeit mit sich bringt, hätten einen grossen Einfluss auf die Lebensqualität und -dauer von Personen über 65 Jahren, was sich wiederum negativ auf die körperliche Gesundheit auswirken könne, so Kobelt.

Integrativ und partizipativ

Mit Programmen wie solchen des Kantons Zürich zur Gesundheitsförderung im Alter wird versucht, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und Menschen aus ihrer Einsamkeit zu holen. Es gibt aber auch Ansätze, die sich auf anderen Ebenen mit dem Thema beschäftigen: Stichwort Stadtentwicklung. So jung das Phänomen der sozialen Isolation ist, so neu sind auch die Massnahmen dagegen. Sabina Ruff beschäftigt sich seit zehn Jahren damit und berät Städte und Gemeinden unter anderem in sozialräumlichen Fragen und sozialer Nachhaltigkeit. «Fakt ist: Öffentlicher Raum muss vielen Ansprüchen genügen und somit etwas leisten. Es macht keinen Sinn, wenn man eine Sitzbank dort hinstellt, wo kein Bedürfnis dafür ist», so Ruff.

Eine integrative Stadtentwicklung habe deshalb einen gesellschaftlich relevanten Nutzen – auch, oder gerade, weil sie zur sozialen Partizipation anregt. Ruff bestätigt aber auch die Aussage von Sozialpädagoge Thomas Brunner, dass es nicht ausreichen würde, Angebote zu schaffen, sondern, dass diese auch von Fachpersonen betreut werden müssten: «Es geht im Grundsatz darum, dass jemand dazu befähigt wird, Beziehungen so zu leben und zu pflegen, dass sie auch nachhaltig sind. Eine integrative Planung von öffentlichen Räumen soll die Grundlage dafür sein.»

Wipkingen wagt neue Wege

Ein Pilotprojekt im Zürcher Kreis 10 will genau das versuchen. Zusammen mit den Bewohner*innen von Wipkingen sollen im nächsten Jahr kleinere und grössere Projekte umgesetzt werden, die das Leben im Quartier integrativer gestalten. Hinter der Initiative stecken die Vereine NextZurich und Urban Equipe sowie die Stadtentwicklung Zürich. Zwar gehe es bei der «Quartieridee» auch darum, die demokratischen Prozesse näher an die breite Gesellschaft zu tragen, im Kampf gegen die Einsamkeit würden solche Projekte aber ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten, so Sabeth Tödtli von Urban Equipe.

Bis das Projekt in die Umsetzungsphase geht, gilt es jedoch nochmal durchzuhalten. Und damit wir die kommenden Monate überstehen, ohne, dass uns die soziale Isolation verrückt werden lässt, passt auf eure Liebsten auf: Ob ein Telefonat mit dem Grossvater oder FaceTime mit der besten Freundin, beides kann helfen, das Alleinsein wenigstens ein bisschen ertragbarer zu machen.

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