«Wenn du gar nicht mehr raus kannst, das ist krass»
Benjamins Frau wurde positiv auf COVID-19 getestet. Jetzt ist die ganze Familie in Quarantäne. Der Vater berichtet von Einkaufsreisen über's Telefon und dem verbotenen WC im Haus.
In dieser Reihe portraitieren wir Basler*innen, die sich in Quarantäne oder Isolation begeben mussten – aufgrund von Kontakt mit positiv Getesteten oder positiver Diagnose auf Corona. Alle Angaben basieren auf Telefoninterviews. Alle Namen sind anonymisiert. Alle Personen haben sich über die von Bajour gegründete Facebook-Gruppe «Gärn Gschee – Basel hilft» freiwillig gemeldet, um Einblicke in ihren aussergewöhnlichen Alltag zu geben.
Benjamin* (Name geändert), 52 Jahre, geht schlaftrunken in Richtung WC und merkt in letzter Sekunde: Mist, da darf er ja nicht hin. Er denkt sich: «Eigentlich weisst du’s, doch dann stehst du immer wieder davor.» Jeden Tag das Gleiche. An der Tür hängt ein Zettel: «Mama» – nur Benjamins Ehefrau darf hier rein. Sie wurde positiv auf das Coronavirus getestet.
Um sich nicht anzustecken, muss Benjamin zum anderen Badezimmer eilen. Seine Ehefrau isoliert sich derweil für zehn Tage im Bürozimmer der vierköpfigen Familie. Im Haus betritt sie ansonsten nur das «Mama»-WC und die gemeinsame Dusche. Wenn sie die benutzt hat, muss sie anschliessend das gesamte Bad desinfizieren.
Zirka zehn Tage zuvor bemerkte Benjamins Frau die ersten Symptome. Zunächst Husten, dann Verlust des Geruchssinns. Kurz darauf ging sie zum Testzentrum in Münchenstein, von welchem sie am 30. September den positiven Befund auf COVID-19 bekam. Rückwirkend muss sie sich ab dem 25. September für zehn Tage in Isolation begeben. In den Folgetagen litt Benjamins Frau unter starken grippeartigen Symptomen. Über die Covid-Care-App des Kantons war sie täglich in Kontakt mit dem kantonsärztlichen Dienst und hielt diesen über ihren Gesundheitszustand auf dem Laufenden.
Jetzt ist die Isolation in vollem Gange. Die zwei gemeinsamen Kinder, ein Junge und ein Mädchen, müssen während ihrer Herbstferien ebenfalls zu Hause bleiben. Für Benjamin und den Sohn gilt die Quarantänezeit ab dem 1. Oktober. Das Schlimmste daran: Alle Spielkamerad*innen sind im Ferienlager. Nur nicht zu sehr dran denken! Die Tochter war sogar schon im Lager und musste extra heimkommen. Nun versuchen sie, sich die Zeit in ihrem Haus in Pratteln zu vertreiben: Mit den Häschen im Garten, Fernsehen, Brettspielen mit den Eltern und nicht zuletzt mit dem neuen Modellauto, an dem der Sohn tagelang rumschraubt.
Eine Einkaufsreise durch den Coop
Die Kinder und Benjamin sind negativ getestet worden, zur Sicherheit ist aber die ganze Familie in Quarantäne. Und wie geht’s dem Familienvater – einem gelernten Biologen – mit der Situation? «Erst sind das Virus und die Krankheit so weit weg. Wenn es in der Familie ist, ist es plötzlich so nah. Wenn du gar nicht mehr raus kannst, das ist krass.»
Sobald heutzutage in den Medien eine strenge Ausgangssperre gefordert wird, reagiert Benjamin noch kritischer als schon im Frühjahr, als bereits viele Menschen danach riefen. «Eine offizielle Ausgangssperre gab es bei uns nie. Ich fand das niemals eine gute Idee. Und nach einigen Tagen Quarantäne noch weniger.»
Über die vergangenen zwei Wochen haben Benjamin und Familie sich eine Art Hotel eingerichtet. Er und die Kinder sind bis heute symptomfrei. Für seine Frau wurde gekocht und Essen vor die Tür gestellt. Kleider waschen war nicht nötig, sie hatte genug. Das Essen zu organisieren, sei dagegen aufwendig gewesen. Seine Schwiegereltern und Freunde kauften für sie ein, die Nachbar*innen brachten etwas aus der Bäckerei. Fast jeden Tag hätten sie am Telefon eine Art Einkaufsreise durch den Coop gemacht. Damit die Schwiegereltern auch ja das Richtige einkauften. Die Übergabe der Lebensmittel und von selbstgekochtem Essen verlief stets über meterweite Distanz. Sie haben kurz geplaudert, dann musste die Familie sich wieder zurückziehen.
«Wenn du der Letzte bist, der sitzenbleibt, das ist saudoof!»Benjamin*
Zehn Tage könne man zwar noch aushalten, aber gefühlt sei es doch eine lange Zeit, findet Benjamin. Sein wichtigstes Gegenmittel für die Langeweile: Das Netflix-Abo der Nachbarn. Nur allzu schleppend verlief die Arbeit im Homeoffice: «Es waren nicht meine effizientesten zwei Wochen», so seine Bilanz.
Da die Isolation von Mutter und Tochter bereits früher angesetzt war, müssen es Vater und Sohn jetzt zerknirscht hinnehmen, noch etwas länger in Quarantäne auszuharren. «Wenn du dann, nachdem alle schon aus der Isolation oder Quarantäne raus sind, der Letzte bist, der sitzen bleibt und zu Hause bleiben muss … das ist saudoof!»
*Name geändert.