Warum trans Menschen mehr sind als ihr Körper
Manchmal freut sich Sascha über das Interesse daran, wie das ist, wenn als nicht-binärer Mensch weder «er» noch «sie» zutreffen. Manchmal aber ist Sascha nach einem langen Arbeitstag in der Bar einfach müde und mag keinen neugierigen Fragenkatalog abarbeiten. Eine Erfahrungskolumne aus einer Zeit vor Corona.
18 Uhr, in der KLARA in Basel, ein anstrengender Tag, ich beende meine Schicht eine Stunde zu spät. Ich arbeite in der Schichtleitung an der Bar. «Chef de Bar», heissen wir neu, weil international bitz verständlicher angeblich. Anyway, eine alte Schulfreundin von mir, die in Basel studiert und der ich zuvor einen Ingwer-Sprizz offerierte, weilt in der KLARA. Ich setzte mich mit einem grossen Einsiedlerbier zu ihr und zu ihrer Begleitung. «Sascha! Das ist Marissa und wir haben ganz viele Fragen!» «Wir haben eben gerade darüber gesprochen», fährt sie fort «sagt man jetzt «d’Sascha isch Barkeeperin oder wie genau?». Ich erkläre, geduldig. Ich lächle, bemüht.
«Und wie machst du das eigentlich mit dem WC?»
«Wir haben eine Unisextoilette in der KLARA.»
«Für alle?»
«Also ja, ist egal, genderneutral»
«Aber für alle? Also auch Gäste?»
«Ah, ja. Ja, manche Gäste schnallen die Beschriftung nicht. Ist in Arbeit.»
KLARA IN SUPPORT OF GENDERNEUTRAL TOILETS, steht da. Meine Idee. Bitz Pinkwashing könne man ja machen, zeigen, dass das jetzt die neuen Zustände sind und dass das hip ist, meine ich. Dann machen das vielleicht andere Kafis auch und ich muss mich zum Beispiel im Unternehmen Mitte nicht mehr zwischen Männer und Frauen entscheiden. Das wäre schön.
«Irgendwie ist’s schön, dass du dich interessierst, aber wir werden immer nur auf den Körper reduziert. Also wir trans Menschen.»
«Und wie machst du das eigentlich mit den Gästen? Also wenn sie «Sie» sagen?», wollen Marissa und Belinda wissen. «Die sagen ja meistens eher «du» oder halt Höflichkeitsform. Aber wenn sie mich vergeschlechtlichen… dann schaue ich sie einfach irritiert an. Vor allem wenn ich an dem Tag meinen Schnautz bitz nachschminke. Dann hebe ich gerne eine Augenbraue like seriously? Are you blind?» Marissa und Belinda lachen vergnügt, das ist lustig: Selbstironie.
Melissa studiert Medizin. Darum weiss sie ganz viele Dinge über die Transsexuellen (Note: diese wollen lieber «trans Menschen» genannt werden).
«Einmal habe ich eine ganze Umwandlung gesehen, also von einem Mann, der eine Frau wurde.»
«Oh. Wo hast Du das gesehen?»
«Weisch im Praktikum, am Unispital. Mega krass, was da alles gemacht wird. Die haben den Penis genommen und dann – »
Ich unterbreche Melissa: «Ja, ich weiss wie eine Vaginoplastik bei trans Frauen abläuft. Aber ehrlich gesagt finde ich das gerade ein bisschen zu explizit. Das Ganze. Also irgendwie ist’s schön, dass du dich dafür interessierst, aber weisst du, wir werden immer nur auf den Körper reduziert. Also wir trans Menschen.»
«Aber es geht ja um den Körper.»
«Jaaa, aber nicht nur.» «Denkst du, dass Geschlecht nur von aussen kommt? Also nur konstruiert ist?», fragt mich Marissa.
«Ich denke schon, dass der Grossteil von allem, was wir zu Geschlecht denken, konstruiert ist, ja. Und darum variabel. Also veränderbar –» «Ich weiss, was variabel heisst!», sagt Melissa.
Ich schwitze, mein Einsiedler Bier ist leer. Ich merke, dass ich schon betrunken bin. Ich bin viel zu müde, der Tag war anstrengend, die letzten Tage waren es. Viele Gäste. Wie vielen Menschen begegne ich eigentlich am Tag? 300? Und dann in einer Woche? 2100? Zu viele Menschen, zu viele Geschlechter, die ja doch vor allem zwei sind: Männer und Frauen. Und sie sind so selbstverständlich. Und ich bin so unselbstverständlich. Ich hasse mich für mein Selbstmitleid.
«Ich gehe eine Zigarette rauchen», sage ich.
«Oh wow! Du stopfst die IMMER noch! So wie damals in der Kanti, als du noch Tiffany warst!». Belindas blaue Augen sind weit aufgerissen. Ihr Mund auch. Schöne weisse Zähne, alle gerade. Ich sollte nicht mehr rauchen, bald sind meine gelb. Dann bin ich vielleicht bald eklig und fertig ist mit transomeness.
«Belinda, ich mags imfall nicht, wenn man meinen alten Namen sagt.», sage ich stehend und klopfe die Zigarette auf meinem Daumen. «Ich schreibe gerade für Bajour, nächste Woche kommt der erste Teil
, da schreibe ich auch darüber. Ich schicks dir dann.»
«Ich hätte eigentlich einfach gerne gehört, was du jetzt so machst, Belinda.»
Belinda ist nicht einverstanden, dass sie meinen alten Namen nicht mehr sagen solle: So hätte ich nun mal geheissen damals. Das sei doch eine Erfolgsgeschichte, dass ich diesen Prozess von Tiffany zu Sascha gemacht hätte. Da könne ich doch stolz drauf sein!
Nach meiner Zigarette sage ich: «Hey, es tut mir Leid, ich hab viel zu spät gemerkt, dass ich gar keine Energie für diese Fragerei hab. Ich hätte eigentlich einfach gerne gehört, was du jetzt so machst, Belinda, aber das ist mir grad zu viel.»
Ich wünschte, ich hätte das gesagt. Stattdessen machte ich den beiden Vorwürfe, dass ihre Fragerei unsensibel sei, ich war aggressiv, ich liess sie nicht ausreden, ich erhob mich und verliess den Tisch.
Manchmal habe ich keine Energie. Zum Beispiel meine Wäsche zu waschen nach einem anstrengenden Arbeitstag. Oder mir etwas Ausgewogeneres als Pasta mit Fertigsauce zu machen. Oder Fragen zu trans zu beantworten. Wut und Vorwürfe sind nicht nice; meistens meinen es die Menschen gut, das haben auch Belinda und Melissa gesagt, dass sie’s gut meinten.
Liebe Leser*innen: Falls Sie jemals von einer Person angeschnauzt werden, die irgendeiner minorisierten Gesellschaftsgruppe angehört, während Sie’s gerade gut meinten: Die Person hat es wahrscheinlich auch nicht böse gemeint. Und vielleicht ist es gerade nicht der richtige Zeitpunkt, so viele Fragen zu stellen :-)
Das war Teil II unserer Serie «Ich bin Sascha»,
Hier geht es zum Teil I: Weil Sascha auf dem Ultraschallbild kein Zipfeli hatte, wurde Sascha bei der Geburt zu einem Mädchen gemacht. Heute lebt Sascha non-binär und erklärt, warum «er» oder «sie» nicht auf Sascha zutreffen.
Die Fotos dieser Serie sind Arbeiten der freiberuflichen Fotografin Anne Gabriel-Jürgens. Sie lebt und arbeitet in Zürich und Hamburg und begleitet Sascha für ein Langzeitprojekt mit dem Titel «Outbetweeninside». Die Fotografin beschreibt die Arbeit als visuellen Dialog mit Sascha. Alle Bilder dieser Artikelserie sind Teil dieser Zusammenarbeit.