Wer zahlt Mamas Rente?
Die vier zusätzlichen AHV-Milliarden havarieren die Glaubwürdigkeit des Bundes und seiner Prognostiker*innen. Sie bieten aber auch eine gestalterische Chance – zugunsten der benachteiligten Mütter, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.
Eigentlich ist es ja eine gute Nachricht, dass der Bund sich verrechnet hat: Vier Milliarden Franken weniger Defizit allein im Jahr 2033 sind eine unverhoffte Erfrischungskur für das austrocknende AHV-Kässeli. Aber richtig freuen kann sich niemand. Für den Bund ist der Rechenfehler nicht nur peinlich, er beschert ihm ausserdem ein Glaubwürdigkeitsproblem. Für kommende und für vergangene Abstimmungen. Die Vorwürfe reichen von Stümperei bis Irreführung.
Ganz oben auf der Empörungspalme sitzen die linken Frauen, die sich bei der Abstimmung um die Erhöhung des Frauen-Rentenalters betrogen fühlen und Beschwerde einlegen respektive eine Wiederholung der Abstimmung aus 2022 fordern. Diese wurde mit 50,5 Prozent sehr knapp angenommen. Auch weil im Wahlkampf mit dramatischen Zahlen bzw. dem alten, höheren Defizit argumentiert wurde. Die Einführung des höheren Rentenalters für Frauen hätte also – aus unmittelbarer Liquiditätsbetrachtung – später eingeführt werden können. Und vielleicht sogar müssen.
Der Bund muss einen Weg finden, vertrauenswürdige und belastbare Zahlen zu präsentieren.
Abstimmungswahlkampf heisst immer auch Zahlenwettkampf. In Talkrunden oder bei Voten im Parlament können sie Eindruck hinterlassen und mitunter Angst machen – Zahlen lügen nicht, sollte man meinen. Und welchen Zahlen sollen die Stimmbürger*innen trauen, wenn nicht denen des Bundes? Bei allen folgenden Abstimmungen zur Rente wird künftig ein Zweifel mitschwingen. Für die direkte Demokratie, mit ihrer auf einer vermeintlichen Faktenbasis fussenden Meinungsbildung, ist das eine schwierige Situation.
Der Bund muss einen Weg finden, vertrauenswürdige und belastbare Zahlen zu präsentieren – oder sie klar und ausdrücklich als grobe Schätzungen präsentieren. Alles andere ist Augenwischerei. Und zusätzlich muss klar sein, dass nicht nur finanzielle Prognosen eine Rolle spielen, sondern auch andere Fragen: Wie existenzsichernd soll die Rente gestaltet sein und was nimmt die Gesellschaft dafür in Kauf? Wenn es keine Erhöhung des Rentenalters gibt, muss anderswo angesetzt werden, etwa bei höheren AHV-Beiträgen, der Mehrwertsteuer oder der Verteilung von Reich nach Arm durch höhere Vermögens- oder Erbschaftssteuern. Die Bürgerlichen dürften dafür ideologisch alle Daumen nach unten biegen, doch irgendwie muss die Rechnung am Schluss aufgehen.
Wir müssen realistisch sein: Irgendwann muss das Rentenalter nach oben angepasst werden, vermutlich nicht nur für Frauen.
Keine Frage, ein Defizit gibt es weiter, auch mit vier Milliarden mehr in der Reserve. Das Minus fällt einfach geringer aus. Kein Grund, Räppli zu schmeissen. Immerhin die 13. AHV wäre damit zum Teil finanziert. Wir erinnern uns – diese vier Milliarden pro Jahr für die 13. AHV wurden unlängst quasi als das Ende des direktdemokratischen Wegs bejammert. Wir müssen aber realistisch sein: Irgendwann muss das Rentenalter nach oben angepasst werden, vermutlich nicht nur für Frauen. Die höhere Lebenserwartung zwingt die Gesellschaft dazu – wenn man weiterhin davon ausgeht, dass die Jüngeren die Rente der Älteren verdienen müssen.
Trotzdem muss diskutiert werden, ob die Sanierung der Rentenkasse pauschal über das Frauenrentenalter der richtige Weg ist. Wer Kinder bekommt, saniert langfristig die AHV für die Allgemeinheit, wird aber persönlich zu oft abgestraft. Linke Politikerinnen forderten im Gegenzug mehr Kompensation. Dass Mütter Abstriche bei der Karriere oder auch bei der Selbstverwirklichung machen, gilt als naturgegeben und als wenig umstritten (anders als bei Vätern).
Solange die AHV nicht ausgleicht, was Müttern in der 2. und 3. Säule fehlt, geht die Rechnung nicht auf.
Wie sie später, z. B. nach einer Scheidung, ihre Altersvorsorge finanzieren sollen, müssen sie selbst schauen – im Sinne der Eigenverantwortung. Sagen wir es so: Gemeinsam eine Familie zu gründen, bedeutet eine finanzielle Bürde, nicht nur im Hier und Jetzt, sondern auch für die Altersvorsorge der Frau, weil häufig sie es ist, die weniger erwerbsarbeitet oder berufliche Chancen zugunsten der Familie auf Eis legt.
Vielleicht wären die vier Milliarden hier aus gesellschaftlicher Sicht am zukunftsträchtigsten investiert. Denn solange die AHV nicht ausgleicht, was Müttern in der 2. und 3. Säule fehlt, geht die Rechnung nicht auf. Mit oder ohne Rechenfehler.