Bullwinkels Blickwinkel

Geld als Pflichtfach

Wer was von seinen Finanzen versteht, hat mehr vom Leben. Die Jungfreisinnigen haben einen Vorschlag, der Schule machen sollte, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Wochenkommentar Finanzen Schule Jungfreisinnige
(Bild: Adobe Stock/Collage: Bajour)

Dieser Tage beschäftigen sich viele mit ihrer Steuererklärung. Das macht in etwa so viel Spass wie eine Wurzelbehandlung oder ein Wasserschaden im Keller. Am liebsten würde man einfach davor wegrennen. Woran liegt es? Es kann teuer und kompliziert werden, einige sind unsicher, wie es geht oder haben schlicht kein Interesse, sich näher damit zu befassen. Und viele haben schlicht keine Ahnung und sind bei grundlegenden Finanzfragen aufgeschmissen. Vor allem junge Menschen und Frauen schneiden schlecht ab, wie eine Studie der ZHAW im vergangenen Jahr zeigte. 

Steuern liegen in derselben Spass-Kategorie wie Altersvorsorge. Vor allem junge Leute haben gefühlt noch ein ganzes Leben, sich «später» bzw. gar nicht damit zu befassen. Nicht, wenn es nach den Jungfreisinnigen Baselland geht. Die wollen beides mit Hilfe einer Petition im Unterricht der Sekundarstufe I verankern. «Junge Menschen müssen früh lernen, wie sie ihre Finanzen handhaben, um informierte Entscheidungen treffen zu können», sagen die Jungfreisinnigen – und haben verdammt recht.

Etwa die Hälfte aller Frauen bekommt gar keine Rente aus der Pensionskasse, weil diese nichts ansparen konnten. Die Folge: Finanzielle Abhängigkeit vom Partner oder von der Partnerin oder vom Staat.

Im Lehrplan 21, auf den sich die Deutschschweiz geeinigt hat, ist das Fach Wirtschaft, Arbeit, Haushalt vorgesehen. Den Jungfreisinnigen ist das offensichtlich nicht genug. Im Text zur Petition heisst es, den Schulabgänger*innen würden Entscheidungsgrundlagen sowie das Verständnis für Altersvorsorge fehlen. «Finanzielle Bildung ist fundamental für ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben!», wird Cyril Bleisch, Präsident der Jungfreisinnigen Baselland im Petitionstext zitiert.

Das selbstbestimmte und eigenverantwortliche Leben ist ein wichtiger Aspekt. Gerade für Frauen bzw. Mütter. Frauen arbeiten in der Schweiz besonders häufig in Teil­zeit und verzichten bei viel Care-Arbeit auf einen Lohn und damit auch auf Rente – insbesondere in der 2. Säule. Frauen bekommen hier rund 44 Prozent weniger als Männer. Das ist der Gender Pension Gap, eine Vorsorgelücke. Kennen alle Schüler*innen diesen Begriff? Sie sollten ihn kennen, wenn sie vorhaben, eine Familie zu gründen.

Etwa die Hälfte aller Frauen bekommt gar keine Rente aus der Pensionskasse, weil diese nichts ansparen konnten. Die Folge: Finanzielle Abhängigkeit vom Partner oder von der Partnerin oder vom Staat. Wissen Schüler*innen, dass sie nach einer Pause am besten ein Pensum von mindestens 70 Prozent arbeiten sollten? Nur so ist es laut Pro Familia Schweiz realistisch, im Alter auf eine Rente zu kommen, von der man leben kann. Kein schönes Thema, aber ein existenzielles.

Wer Bescheid weiss über Finanzen, kann im besten Eigeninteresse handeln und zumindest versuchen, für die Zukunft das Beste rauszuholen. Wissen allein reicht natürlich nicht, es müssen auch die Strukturen stimmen.

Es überrascht nicht, dass im aktuellen Schweizer Familienbarometer, das diese Woche erschienen ist, die berufliche Vorsorge ein wichtiges Bedürfnis darstellt und zwar die Absicherung von Teilzeitbeschäftigten und Geringverdienenden sowie die Sicherung des Rentenniveaus. 

Wer Bescheid weiss über Finanzen, kann im besten Eigeninteresse handeln und zumindest versuchen, für die Zukunft das Beste rauszuholen. Wissen allein reicht natürlich nicht, es müssen auch die Umstände und Strukturen stimmen, um z. B. als Mutter wieder in den Beruf zu finden und in die Pensionskasse einzahlen zu können.

Aber Finanzwissen ist auch wichtig, um bei Abstimmungen, bei denen es um Renten, Finanzgeschäfte oder Krankenkassenbeiträge geht, zu verstehen, worum es geht, und was der Entscheid für sich persönlich (im Portemonnaie) bedeutet. Wenn die Jungfreisinnigen mehr finanzielle Aufklärung fordern, sollten die Lehrplan-Verantwortlichen in jedem Fall hinterfragen, ob nicht mehr drinliegt. Informierte Bürger*innen zahlen nicht nur aufs eigene Konto ein.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Gabriel Nigon

Valerie Wendenburg am 04. Dezember 2025

«Ich möchte, dass Basel weiter in der Champions League spielt»

Seit einem halben Jahr präsidiert Gabriel Nigon die LDP. Die «Sonderrolle» der Partei in der Schweiz sei für ihn zugleich «Herausforderung und Privileg». Im Interview zum Jahresrückblick sagt er, dass er das Basler Stadtbild attraktiver machen und Ordnung am Bahnhofplatz schaffen will. Und er appelliert an das Verantwortungsbewusstsein der Basler*innen.

Weiterlesen
Serge Meyer, Interview 24.11.2025

David Rutschmann am 01. Dezember 2025

«Uns ist das Gewicht unserer Stimme bewusst geworden»

Serge Meyer nimmt seine Nicht-Wahl in den Riehener Gemeinderat sportlich. Der Kantonalpräsident der GLP befindet sich seit Amtsantritt im Dauerwahlkampf. Im Interview erzählt er, warum seine Partei im Grossen Rat jetzt geschlossener stimmt – und ob seine Fraktion die eigene Regierungsrätin hängen lässt.

Weiterlesen
Woko Wohnen Familien

Ina Bullwinkel am 28. November 2025

Kindergeschrei oder Investor*innen-Gejammer?

Die Hälfte der Basler Haushalte wird von nur noch einer Person bestritten. Gerade für junge Familien wird der Platz in der Stadt immer unerschwinglicher. Gefordert ist der städtische und der soziale Wohnungsbau, kommentiert Ina Bullwinkel.

Weiterlesen
Ina Bullwinkel Porträt

Das ist Ina (sie/ihr): Nach journalistischen Stationen u. a. in Bremen (Volontärin, Weser-Kurier) und Berlin (Redaktorin am Newsdesk, ntv.de) hat es Ina mitten in der Corona-Pandemie zu Bajour verschlagen. Dank Baseldytsch-Kurs hat sie sich schnell dem Dialekt der Einheimischen angenähert – ihre Mundart-Abenteuer hält sie regelmässig im Basel Briefing fest. Seit April 2023 ist Ina Chefredaktorin und im Wochenkommentar «Bullwinkels Blickwinkel» teilt sie einmal die Woche ihre Meinung zu aktuellen (meist politischen) Themen.

Kommentare