Bajour im Homeoffice: Unsere Tagebücher zum 1. Mai
Teamfindung bei Google Hangouts, zerstörte Work-Life-Balance und ist das noch Journalismus? Corona verändert unsere Arbeitswelt. Auch bei Bajour. Wie sehen unsere Tage aus?
Corona verändert unsere Arbeitswelt. Statt Sitzungszimmer gibts Videokonferenzen, statt Work-Life-Balance eine Wirrnis an E-Mails, Kindergeschrei und Telefonaten. Das ist bei uns nicht anders. Zum Tag der Arbeit haben wir für euch aufgeschrieben, wie unsere persönlichen Homeoffice-Situationen aussehen. Schliesslich ist das Private auch politisch – doch lest selbst.
Hansi Voigt: Flucht aufs Land
Das Beste, was wir machen konnten, als sich der Lockdown abzeichnete, war die Flucht aufs Land beziehungsweise in unser Ferienhaus im St. Galler Rheintal. Aber von Ferien kann keine Rede sein. Meine Frau und ich sind, natürlich höchst subjektiv gefühlt, the hardest working people im Homeoffice. Wir stehen morgens um sieben auf, checken beide schon unsere Mails, frühstücken kurz, misten die Hühner, knuddeln die Katzen und verabschieden uns dann herzlich voneinander. Sie geht in den ersten Stock und leitet eine 30-köpfige Radio- und Fernsehredaktion in Zürich. Ich geh in die Stube und kümmere mich um Bajour in Basel.
Die angedachte gemeinsame Mittagspause verpassen wir leider regelmässig. Irgendwas kommt immer dazwischen. Irgendwas ist immer. Meistens sehen wir uns abends erst kurz vor 19 Uhr zum ersten Mal – um festzustellen, dass keiner von uns sich bisher Gedanken zum Znacht gemacht hat. Dann gibts einen kurzen Gang in den Volg oder irgendwas aus dem Corona-Prepper-Regal, und vor allem ein Glas Weisswein. Manchmal gehts allerdings nach acht nochmal weiter. Oft läuft grad ein Gärngschee-Kultur-Livestream, bei dem ich mein Lockdown-bedingt Erspartes per Live-Spende vertätsche. Die drei erwachsenen Kinder sind dort inzwischen auch ab und zu zugeschaltet. Aus Zürich, Bern und Basel. Man trifft sich als Familie im Live-Stream. Wie 2.0 ist denn das?!
Bajour frisst mich jedenfalls grad rund um die Uhr. Und in den wenigen ruhigen Momenten, oder bei der letzten Lektüre der Medien vor dem Einschlafen, kann ich meist gar nicht fassen, was ich bis jetzt in Bezug auf diese schreckliche Seuche für Glück hatte.
«Seit wir bei Bajour nicht mehr alle nebeneinander sitzen, sind wir uns extrem viel näher gekommen.»Hansi Voigt, Chef.
Ich bin zum Beispiel sehr glücklich darüber, dass jetzt alle irgendwie zu digitalen Heimarbeiter*innen geworden sind. Mir entspricht das seit Jahren sehr. Seit wir bei Bajour nicht mehr alle nebeneinander sitzen, sind wir uns extrem viel näher gekommen. Und offener. Dank der Gärngschee-Aktion mussten wir plötzlich sehr viele Leute aus verschiedensten Bereichen einstellen und integrieren. Das ging Ratzfatz, musste aber sein. 15'000 Member in einer Community sind auch eine hohe Verantwortung. Die tägliche Videokonferenz mit fast der gesamten Belegschaft und den vielen Neuen ist sowas wie ein Speed-Integrationsprogramm. Natürlich muss man immer schauen, dass nicht immer die Gleichen (vor allem ich selbst!) reden, aber sonst gibts halt individuelle Nachbehandlung zu offenen Fragen per Telefon.
Es ist nicht ganz einfach, eine Redaktion zu führen und gleichzeitig den Betrieb von Grund auf aufzubauen. Es stellen sich Fragen aus allen Bereichen. Und alle gleichzeitig. Aber Corona hilft auch hier. Denn das gute an unserer vernetzten und völlig transparenten Arbeitsweise bei Bajour ist, dass zum Beispiel alle meine tägliche Überforderung grad in real time miterleben können. Und das Resultat: Alle übernehmen überall Verantwortung und tun ihr Möglichstes, um uns und letztlich auch mir zu helfen. Wir machen alle Fehler, verzeihen uns und lernen daraus. Rasend schnell.
Corona hat krass geholfen, aus einem zerstreuten Haufen an Individualist*innen, in Selbstfindung und ohne grossen Plan, ein verschworenes, ehrgeiziges Team mit klaren Zielen zu machen. Die Homeoffice-Phase kann man aus unternehmerischer Sicht gerne bis St. Nimmerlein fortsetzen. In der körperlichen Wirklichkeit sollte man sich aus meiner persönlicher Sicht noch einmal die Woche bei Bajour treffen. Von mir aus jeweils am Donnerstag zum abschliessenden Donnerstag-Apéro und zum Nachholen der ganzen persönlichen Umarmungen für die vielen erbrachten Extraleistungen. Den Rest der Herzerei und das weitere Team Building schaffen wir in unserer Wohlfühl-Organisation virtuell. Und die Abgrenzerei zwischen Beruf und Privatleben zu dieser bezaubernden und so intelligenten Basler-Medien-Selbsthilfe-Gruppe schaff ich dann auch noch. Aber einfach ist es nicht. An den Wochenenden übe ich das schon. Zum Glück gehts meiner Partnerin aktuell grad ähnlich.
Marguerite Meyer: Im High, trotz Sirenen
Wie es mir seit dem Lockdown geht? Erstaunlich gut. Ich bin in einem High, sozusagen. In «Notfallsituationen» laufe ich zur Hochform auf. Ich habe aber auch ein grosses Glück: Eigentlich hatte ich mich vor einer Weile selbständig gemacht, als Journalistin und Moderatorin. Anfang März fielen langsam alle Moderationsjobs ins Wasser – hier war die Kultur- und Veranstaltungsbranche ein guter Seismograph für das, was auf die Schweiz zugekommen ist.
Dann gabs ein Telefon von Bajour: «Kommst du zu uns?». So fand ich mich Mitte März quasi über Nacht mitten in einem neuen Medium und mit einem neuen Team wieder – auf einer Basler Lokalredaktion von Zürich aus. Die Kolleg*innen habe ich mehrheitlich noch nie «in echt» gesehen – und trotzdem hab ich das Gefühl, Schulter an Schulter mit einem konstruktiven, motivierten Team zu arbeiten in dieser verrückten Zeit. Ich habe gemerkt: Dank der gemeinsamen Video-Redaktionssitzung zwinge ich mich aus dem Bett, dusche und schminke mich wie fürs echte Büro. Ich gebe es unumwunden zu: Das kleine bisschen Eitelkeit ist für mich gerade ein Segen.
Für mich persönlich ist die Situation wirklich nicht schlimm. Ich habe Arbeit und einen lieben Mitbewohner – wir tauschen uns viel aus und tragen uns Sorge, das finde ich wahnsinnig schön. Es fühlt sich ein bisschen wie Familie an. Ohne Kindergeschrei – ich war, glaube ich, noch nie so froh, keine Kinder zu haben. Andererseits kommt dann auch niemand kuscheln. Alles hat seine Vor- und Nachteile.
«Ich war, glaube ich, noch nie so froh, keine Kinder zu haben.»Marguerite Meyer, Blattmacherin.
Als extrovertierter Mensch fehlt mir am meisten, meine Familie und meine Freund*innen umarmen zu können. Und wenn ich die Aussage höre, es stürben «ja nur alte Leute», werde ich richtig wütend. Und sorge mich um meine Eltern, und um meine jungen Freund*innen, die zu einer der Risikogruppen gehören.
In dieser Zeit habe ich die Schweiz zwischendrin verflucht: Sehen wir eigentlich nicht, auf welch hohem Niveau wir manchmal jammern? Mir ist sehr bewusst, dass für viele Menschen die finanzielle Situation keine einfache ist – genug meiner Freund*innen aus dem Kulturbereich stehen gerade vor sehr existenziellen Fragen. Und dennoch muss man sehen, wie viel Hilfe auch die Wirtschaft erhalten hat. Vielleicht lernen wir erst jetzt wirklich, mit Krisen und wirklichen Unsicherheiten umzugehen, wie ein grosser Teil der Welt dies tut. Deswegen nerven mich auch diese neobiedermeierischen Aussagen von einigen Bekannten, man müsse nur das kleine Glück vor der Haustüre finden – ich finde es wahnsinnig schwierig, Familie und Freund*innen im Ausland auf unbestimmte Zeit nicht zu sehen.
Was schön ist: Der Bewegungsradius ist kleiner und gleichzeitig grösser geworden. Mich macht ein Distanz-Spaziergang mit einer Freundin im Park nebenan glücklich. Ich freue mich, dass die Tomatensetzlinge spriessen. Ich freue mich über Nachrichten von Freund*innen aus der ganzen Welt, und ich habe noch nie so viele ausländische Medien konsumiert. Wir sind ja eigentlich, trotz geschlossenen Grenzen, mittendrin in der Welt.
Ihr seht: In Problemsituationen fokussiere ich auf die rationalen Fragen. Damit kann ich umgehen. Damit kann ich die Sirenen der Ambulanzen verdrängen, die an manchen Tagen – wenn es wieder mehr Fälle und Tote gibt – vor meiner Haustüre alle paar Minuten Richtung Spital heulen. Die Ratio und die Sonne und der Journalismus – das rückt für mich gedanklich alles in die Verhältnismässigkeit.
Valentin Ismail: Papa on the road, dank Verlobter
Unsere Tochter ist 21 Monate alt. Bis zu den Corona-Massnahmen war sie zwei Tage pro Woche in einer Kita. Seit wir bei Bajour anfangs März mit der Gärngschee-Gruppe und ab Mitte März mit Gärngschee-Kultur-Streams gestartet haben, bin ich ziemlich viel unterwegs.
Bei Stiftungen, Bürobesichtigungen (wir suchen ab September 150-200 m2, Ladenlokal Kleinbasel weischöpis?) in den Stream-Locations oder an einem wechselnden mobilen Büroarbeitsplatz.
Meine Verlobte hat momentan keine fixe Arbeit, die Premiere des Theaterprojekts, bei dem sie involviert ist, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Secondhand-Laden, in dem sie arbeitet, hat geschlossen. Sie übernimmt jetzt die vier bis fünf Tage, an denen ich unterwegs bin und unsere Tochter nicht in die Kita kann. Ich habe wie zuvor einen fixen Tag pro Woche. Das haben wir schon lange vor Corona vertraglich geregelt: mindestens ein Tag pro Woche bin ich Hausmann, mindestens ein Tag pro Woche ist meine Verlobte unterwegs und macht etwas für sich. Aber ohne sie könnte ich diesen Workload nicht meistern.
Das Homeoffice funktioniert bei uns zuhause nur schlecht, zum einen wegen einer schlechten Internetverbindung, zum anderen wegen dem Wohnungsgrundriss, der nur wenig Rückzugsfläche bietet. Mein Arbeitsplatz ist möglich, wo es gerade Strom und eine okay Internetverbindung hat: Für viele ist das eine neue Erkenntnis. Für mich nicht: Ich arbeite seit mehreren Jahren so.
Naomi Gregoris: Mami in Limbo
Ein paar Tage vor Corona fragte mich eine Freundin, wie es mir so ginge als berufstätige Mutter. Grossartig, sagte ich. Ich hatte neu bei Bajour angefangen, mein Freund und ich übernahmen je anderthalb Tage die Kinderbetreuung, den Rest der Woche war unser 5-monatiger Sohn in der Kita. Was anderes war nie in Frage gekommen. «Ich alleine zuhause mit dem Baby, stell dir vor!», rief ich. «Ich würde wahnsinnig werden.»
Mittlerweile sind wir seit sechs Wochen alleine zuhause mit dem Baby. Weil die Kitas geschlossen sind, haben ich und mein Freund die Kinderbetreuung aufgeteilt: Er macht die Morgen, ich die Nachmittage. Ich betreibe akribisches Zeitmanagement: Frühmorgens, wenn ich nach vier Stunden Schlaf zur Morgensitzung an den Computer muss, trage ich zum Beispiel meistens noch meinen Pyjama. Oder keine Hose. Dafür konnte ich vorher noch rasch mit Freund und Kind frühstücken. Am Nachmittag versuche ich das Baby dazu zu bringen, möglichst lange zu schlafen, damit ich nebenbei noch einen Artikel fertig kriegen kann. Oder ich gehe stundenlang spazieren – mit der einen Hand lenke ich den Kinderwagen, in der anderen halte ich das Handy. Schon mehr als einmal haben mich Mitbürger*innen deswegen angeschnauzt. Ich denke dann: Ich leiste hier «systemrelevante» Arbeit, während du mit deinem Elektrobike rumpläuschelst. Manchmal spüre ich ein Ruckeln im Wagen, und schaue am dauervibrierenden Telefon vorbei, direkt in die vorwurfsvollen Augen meines Sohnes. Du Rabenmami.
Die Künstlerin Katharina Grosse sprach kürzlich in der ZEIT von Corona als einer Erfahrung ohne Referenz. Für mich trifft das mehrfach zu. Zum einen ist da dieses Virus, ja, scheisse. Nichts mehr wie früher. Zum anderen meine persönliche Situation. Als Mutter, die berufstätig ist, als Berufstätige, die Mutter ist. Als Teil des Bajour-Teams. Für mich alles Erfahrungen ohne Referenz, in die ich mich stürze wie die Turmspringerin ins kalte Wasser. The only way out is through.
«Statt mich in meinen Rollen als Mutter und Berufstätige zu finden, bin ich im Reaktionsmodus – und weiss dabei gar nicht, ob die Figur, die ich dabei abgebe, wirklich ich bin oder eine groteske Corona-Version meiner Selbst.»Naomi Gregoris, Redaktorin
Die Kollegen, die erst seit Bajour mit mir arbeiten, glauben jetzt zu wissen, was ich für eine sei. Eine, die immer auf Slack ist, sehr viel arbeitet, tolle Ideen hat, sich voll einbringt. O-Ton unser Chef. Der mich zweimal im Büro erlebt hat, bevor der Lockdown kam. Und jetzt denkt, ich sei voller Elan, dabei lenke ich bloss sehr erfolgreich vom Babygeschrei ab.
Ich meine das nicht kokett. Statt mich in meinen Rollen als Mutter und Berufstätige zu finden, bin ich im Reaktionsmodus – und weiss dabei gar nicht, ob die Figur, die ich dabei abgebe, wirklich ich bin oder eine groteske Corona-Version meiner Selbst. Die sich nach diesem ganzen Schlamassel wieder verzieht wie ein unheilvoller Dämon, dessen Arbeit getan ist. So sehe ich es nämlich auch: Diese Zeit deckt schonungslos jede Sollbruchstelle in meinem Leben auf, aber birgt auch Potenzial zur Reflektion. Nur leider hab ich viel zu wenig Zeit zum Nachdenken. Ich versuche das Beste daraus zu machen und die Referenzlosigkeit als kreativen Antrieb zu nutzen. Alles neu macht Corona. Das ist sehr anstrengend. Aber wahnsinnig geworden bin ich dabei noch nicht.
Franziska Zambach: Sein Küchentisch ist mein Büro
Ich wohne eigentlich alleine, aber als wir uns entschieden haben, nur noch aus dem Homeoffice zu arbeiten, hab ich ziemlich schnell meine Sachen gepackt und bin zu meinem Freund gezogen. Wir kennen uns noch nicht mal ein Jahr, deshalb hab ich ganz süüferli immer wieder ein Kleidungsstück mitgenommen. Inzwischen bin ich stolze Besitzerin von zwei Tablaren und einer Schublade im Schrank – und ja, da und dort liegen Schuhe, Sonnenbrille, Jacke und paar Bücher von mir. Zum Glück ist er so tolerant.
Für mich war klar, ganz alleine Zuhause kann ich nicht sein. Beim Arbeiten hätt ich zwar meine Ruhe, doch ich brauch den Austausch. Mit dem Temporär-Umzug hab ich jetzt beides. Tagsüber arbeitet mein Freund auswärts. Er musste nicht auf Homeoffice umstellen. Und ich darf seinen Küchentisch zum Arbeitsplatz umfunktionieren. Zum Glück steht der im unteren Stock der zweistöckigen Wohnung. Oben ist das grosse gemütliche Sofa, der Balkon, das Bett, der Fernseher – das Vergnügen. Unten der Küchentisch, auf dem mein Laptop steht – die Arbeit.
Abgrenzung ist für mich ganz wichtig geworden – und ein geregelter Alltag. Ich hab mich dem Rhythmus meines Freundes angepasst. Ich stehe am Morgen mit ihm auf und versuche am Abend, wenn er nachhause kommt, Feierabend zu machen. Das gemeinsame Öffnen einer Weinflasche hilft da. Sein Rhythmus gibt mir Struktur, die mir fehlen würde, würde ich alleine wohnen.
Ich gehör zu den Glücklichen, denen die Corona-Situation nicht das Leben schwer macht. Eher umgekehrt. Manchmal denke ich, dass ich von diesem Lockdown nur profitiere. Die Beziehung zu meinem Freund hat einmal fast forward gemacht und ich fühl mich ganz wohl an seinem Küchentisch. Einzig meine Arbeitsgspänli fehlen mir, der Austausch mit ihnen kommt definitiv zu kurz. Mit dem allmorgendlichen Videocall kann das einfach nicht abgedeckt werden. Aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau.
Andrea Fopp: Allein im Keller – und endlich glücklich
Mein Fluch ist: Ich bin lieber allein. Und damit bis vor Corona ziemlich aus der Zeit gefallen. Alle schwärmten von shared office spaces und Netzwerken, ich träumte vom Einzelbüro. Während schon die Mitarbeiter*innen der früheren Redaktion nach der Arbeit Feierabendbier und Wochenenden zusammen teilten, flüchtete ich in der Freizeit alleine in den Wald.
Nicht, weil ich meine Kolleg*innen nicht mag. Ich habe sie sogar richtig gern – so warmes-Gefühl-im-Bauch-gern. Und es fällt mir leicht, auf andere Menschen zuzugehen, sie schütten mir häufig beim ersten Kennenlernen ihr Herz aus und wollen meine Freundin werden. Der Chef meint sogar, ich sei die «Seele» des Teams, eine «geborene Chefin».
Aber ich bin kein geselliges Tier, soziale Kontakte laugen mich aus. Gemeinsame Mittagessen meide ich, nach einem Znacht mit dem ganzen Team bin ich erschöpfter als nach einer 12-Stunden-Schicht. Mein ansonsten analytisches Hirn wird zu einem Kompass, bei dem sich die Nadel wie wild dreht. Wenn ein Chef mich loswerden will, muss er nur regelmässige zweitägige Retraiten mit Spiel, Sport und Schlafen im Stroh zwangsverordnen. Dann bin ich weg. Zum Glück gilt das nur für ungesteuerte Gesprächssituationen. Artikel besprechen oder Interviews führen gibt mir dagegen Energie.
«Jetzt ist da dieser Lockdown, an dem alle so leiden. Nur ich passe plötzlich in diese Welt.»Andrea Fopp, Redaktorin.
So eine eigenbrötlerische Persönlichkeit ist nicht gerade gefällig. Mein modus operandi ist, davon auszugehen, dass meine Mitmenschen pikiert bis enttäuscht von mir sind.
Doch jetzt, jetzt ist da dieser Lockdown, an dem alle so leiden. Nur ich passe plötzlich in diese Welt. Meine Tage verbringe ich daheim im Kellerbüro und arbeite mehr und glücklicher als je zuvor. Vor Corona hatte ich ein 60-Prozent-Pensum, jetzt arbeite ich Vollzeit. Zwar ist es nicht so, dass wir im Team weniger Austausch hätten. Wir sind über unseren Bürochat und Videocalls verbunden. Aber bei diesem virtuellen Kontakt bin ich mittendrin und trotzdem alleine.
Nur das mit den Pausen muss ich noch ein bisschen üben. Meine Familie verbringt die Tage einen Stock weiter oben und muss mich manchmal dreimal rufen, bevor ich endlich zu den Mahlzeiten erscheine. Mein Mann ist auf Kurzarbeit. Er und das Kind liegen meistens inmitten von Legos und Bastelzeug auf dem Boden. Die Tochter grümschelet, der Vater hat den Laptop vor sich und aus den Boxen tönt «Madita» von Astrid Lindgren. Zwischendurch geht das Kind mit dem Nachbarsbub im Quartier auf die Schwanzi. Es liebt die Freiheit und will nicht mehr zurück in den Kindergarten.
Ich will auch nicht mehr ins Büro. Bajour ist mein Baby. Aber am liebsten schaukle ich das Baby daheim.
Sabrina Stäubli: Pausenzwang mit Schnurrlis
Früher habe ich es immer vermieden, von zuhause aus zu arbeiten. Musste ich mal am Wochenende etwas für die Arbeit erledigen, bin ich dafür ins Büro gefahren. Die Trennung von Arbeit und Privatleben war mir wichtig. Lieber habe ich Nachtschichten im Büro geschoben, um Dringendes, was sich über den Tag oder die Woche angestaut hat, zu Ende zu bringen, anstatt den Laptop mit in die eigene Stube zu nehmen. Das ist nun seit Mitte März komplett anders.
Mein Büro ist neu unser Esstisch und mein Arbeitsweg dauert nicht mal mehr eine Minute. Lustigerweise bin ich morgens trotz dieser Zeitersparnis genau gleich im Stress wie sonst auch. Mein Ego lässt es mir nicht zu, ungeschminkt und zerzaust vor der Kamera für den täglichen Videocall mit dem Team zu erscheinen. Ich bin einfach kein Morgenmensch; jede Minute Schlaf koste ich aus und denke dabei immer: «Dann dusche ich einfach bizzli kürzer», aber das klappt dann meistens nicht wie geplant.
Seit Corona arbeitet mein Mann ebenfalls im Homeoffice. Er hat unser Büro, das «Puffzimmer», in Beschlag genommen und geniesst es zwischendurch mit Kollegen eine Runde Fifa zu gamen. Das Zimmer hat deshalb auch ein eigenes Wlan und trägt den bezeichnenden Namen «Man Cave». In meinem Reich (dem ganzen Rest der Wohnung) tummeln sich noch unsere zwei Katzen Aladdin und Darli. Sie geniessen unsere hohe Präsenzzeit zu Hause und holen sich gerne und oft Streicheleinheiten ab oder kommen gwundrig mit in die Küche in der Hoffnung, dass für sie etwas dabei rausspringt.
«Kein Workaholic zu werden ist eine echte Herausforderung für mich.»Sabrina Stäubli, Geschäftsleitung.
So kann ich dem Homeoffice-Zwang in dieser surrealen Corona-Zeit doch einiges Gutes abgewinnen. Nicht nur, dass ich meinen Mann und unsere Samtpfoten viel mehr sehe, auch kochen und essen wir deutlich mehr zusammen als vorher. Das zwingt mich, die nötigen und wichtigen Pausen im Arbeitsalltag einzuhalten. Sonst würde ich mich wahrscheinlich gar nicht vom Stuhl wegbewegen und mich irgendwann nur todmüde ins Schlafzimmer rollen.
Kein Workaholic zu werden ist eine echte Herausforderung für mich. Dabei darf ich mich überhaupt nicht beklagen, denn arbeitstechnisch läuft bei Bajour gerade unglaublich viel Positives. Aber ich freue mich jetzt schon wie ein kleines Kind auf die Zeit, wenn ich wieder einen Arbeitsweg habe und ganz besonders, wenn ich meine Familie und Freunde wieder umarmen darf.
Samuel Hufschmid: Zerreissprobe im Kinderhaushalt
Zunächst ist da totale Überforderung. Meine Freundin und ich arbeiten gemeinsam 130 Prozent, sie 60, ich 70 Prozent. Damit das klappt, hatten wir bis Corona die Unterstützung von unseren Grosseltern, die zwei komplette Tage abgedeckt haben. Nun geht die Rechnung schlicht nicht mehr auf, zumal wir beide beruflich gerade eher überdurchschnittlich viel zu tun haben. Was also tun, wenn nicht genügend Zeit da ist für all die bezahlten und unbezahlten To-Dos, die zwei Berufe, eine drei- und eine sechsjährige Tochter, ein Haushalt und ein über Airbnb vermietetes Zimmer mit sich bringen? Ganz einfach, früher beginnen (ich mach jeden zweiten Tag um halb fünf das Basel Briefing) und/oder länger arbeiten und/oder am Wochenende arbeiten.
Hierfür ist Homeoffice Fluch und Segen. Ich finde es gnadenlos effizient. Viele Aufgaben können in Stakkato erledigt werden, das heisst häppchenweise, wenn die Kinder beispielsweise gerade 20 Minuten zusammen spielen. Es ist aber auch gnadenlos omnipräsent, gerade, wenn gerade so viele spannende Sachen passieren wie bei Bajour. In all meinen anderen Jobs wäre ich nicht bereit gewesen, praktisch 24/7 erreichbar zu sein und zu reagieren.
Wobei wir längst da sind, wo Homeoffice unangenehm, ja sogar ungesund wird. Die Trennung von Beruf und Privatleben ist aufgehoben, es gibt keinen Heimweg zum Abschalten, die Arbeit ist immer nur einen Druck aufs Smartphone entfernt. Wobei ich beim letzten Punkt bin, den Ansprüchen. Normalerweise ist es so, dass mein Chef über mich verfügen kann, wenn im Terminkalender Arbeit steht. Doch was, wenn sich das durchmischt? Die Kinder wollen das, die Kollegin hat via Slack ein dringendes Anliegen und der Abfall müsste auch rausgestellt werden? Für den Zustand mittendrin gibt es ein schönes Wort: Zerreissprobe.
Daniel Faulhaber: Zweifel am Ranztisch
Seit Corona sitze ich wieder an diesem winzigen angeranzten Tischchen in meinem Zimmer und hacke unmutig in die Tasten. Den Tisch kenn ich gut, an dem hab ich schon damals, als ich keinen Job hatte, viel Zeit verbracht. So gesehen ist das nichts Neues. Ich sollte auch nicht sagen, dass der Tisch angeranzt ist, weil sonst gibts Zoff mit meiner Mitbewohnerin, die hat ihn mir geliehen. Und meine Mitbewohner*innen lesen alles, was ich schreibe.
Warum das Basel Briefing immer so formuliert sei, als wären die Empfänger*innen breiweiche Teletubbies, wollen sie manchmal wissen, noch vor dem Frühstück. Oder warum jetzt dieses Interview. Mit ausgerechnet denen Fragen. Man hätte doch. Danke für den Konjunktiv, Person mit Meinung, die zufällig mit mir unter einem Dach wohnt, denke ich dann. Bitte mehr gute Ratschläge aus der Pufferzone meiner Realität.
Ich liebe meine Mitbewohner*innen. Ohne sie wäre das hier alles sehr schlimm.
Verändert hat sich ausser dem Ort der Arbeit für mich wenig. Ich telefoniere und tippe und kleistere die sozialen Netzwerke zu mit hübsch zubereiteten Posts, genau wie zuvor. Manchmal klingelt der Postbote. Manchmal holen die vom Tiefbauamt den Müll. Ich denke dann an meinem Tischchen und mit ruhenden Fingern auf der Tastatur über ein paar Privilegien nach, die ich als ok ausgebildeter, gutverdienender, am Laptop arbeitender, kinderloser Boi insgesamt habe.
«Diese Schönschreiberei, während da draussen einiges vor die Hunde geht, das ist doch irgendwie widerlich.»Daniel Faulhaber, Redaktor.
Dann ekle ich mich vor dem Schreiben. Das klingt jetzt seltsam, aber wir sollen ruhig ehrlich sein, hiess es, also das ist die Wahrheit: Ich ekle mich vor der Schreibarbeit und dem Formulieren, dabei lag mir immer was am Formulieren. Ich kanns nicht so protokollarisch, das ist nicht so meins. Aber diese Schönschreiberei, während da draussen einiges vor die Hunde geht, das ist doch irgendwie widerlich. Dann «bildet man das ab» oder «fasst das in Worte» oder «gibt dem eine Stimme», aber wer zum Geier bin ich und wärs jetzt nicht auch ok einfach mal still zu sein.
Am Mittwoch ist neuerdings mein grosser Tag. Dann darf ich abends die Konzerte bei Gärngscheekultur anmoderieren. Ich bin immer sehr nervös. Aber das macht mir richtig Spass, also das Drumherum, auch das Nervössein. Da spüre ich mich irgendwie, da bin ich dann ziemlich bei mir. Was ich auch sehr geniesse: Dass wir dort etwas kreieren, etwas Schaffen, von dem wir denken, es sei schön und macht den Leuten da draussen wirklich eine Freude. Ist das noch Journalismus?
Vielleicht nicht so à la vierte Gewalt. Ich denke noch drüber nach, aber glaube: Ja, das ist Journalismus. Aus dem kann etwas Neues entstehen. Ich freu mich drauf.