Ein 1. Mai «wie früher»
Bei bestem Wetter und guter Laune zog die 1. Mai-Demo am Mittwoch durch die Innenstadt. Im Gegensatz zum letzten Jahr standen dieses Jahr die politischen Forderungen im Vordergrund: «Prämien runter, Löhne rauf».
Es ist ein bunt gemischtes Publikum, das sich an diesem 1. Mai zwischen 10 und 11 Uhr Vormittags beim Messeplatz einfindet: Neben Fahnen der Demo-Organisator*innen und von linken Parteien sieht man Banner von kurdischen Organisationen, Leute spannen die Schnüre am grossen Transparent der Sans Papiers Kollektive, ein Kleinkind tanzt zur Musik aus der Soundanlage, jemand mit Palästina-Flagge über den Schultern bahnt sich einen Weg durch die Menge, der Gewerkschaftsbund verkauft rote Bändeli.
Schon bevor es losgeht, gibt das 1.-Mai-Komitee die Regeln per Lautsprecher durch: Vorne laufen die Gewerkschaften, in der Mitte die politischen Organisationen und hinten die Parteien und der 1.-Mai-Chor. Was der Sprecher in diesem Moment nicht sagt: Der revolutionäre Block muss nach hinten. Und: Die Polizei hält sich im Hintergrund. Vereinzelte Polizist*innen vom Dialogteam stehen am Rande des Platzes und beobachten, ein paar Strassen weiter sitzen sie in schwarzen Kastenwagen – ausserhalb der Sichtweite der Demonstrant*innen. Wasserwerfer und Heli wie letztes Jahr gibt es keine. Es scheint, als wären die Spielregeln im Vorfeld klar abgesprochen.
Bajour hat live von der Demo berichtet. Den Ticker kannst du hier nachschauen:
Auch das 1.-Mai-Komitee gibt sich zuversichtlich: «Wir haben aufgerufen zu einem friedlichen und bunten 1. Mai und wir sind auch zuversichtlich, dass das passieren wird», sagte Komitee-Sprecher und Gewerkschaftssekretär Nicola Goepfert vor Demostart. Er zeigt in Richtung des hinteren Teils des sich formenden Demozugs und ergänzt auf Nachfrage nach dem Umgang mit möglichen vermummten Demonstrant*innen: «Das revolutionäre Bündnis stellt sich hinten an. Das heisst, die Gewerkschaften können wirklich mit ihren Forderungen vorauslaufen, ich glaube, das ist ein wichtiges Signal.»
Sie seien aber keine Kontrollinstanz und hätten auch keinen Einfluss darauf, ob sich jemand «ein Mäskli» anzieht. «Wir können der Demo vorne einen Charakter geben und hoffen, dass sich das bis hinten durchzieht, aber wir können nicht jede einzelne Person an dieser Demonstration kontrollieren.»
Es folgen erste Reden von politischen Organisationen. Vertreter*innen der Sans-Papiers-Kollektive Basel erklären, welche Bedeutung dieser 1. Mai für sie hat: Sie würden für Bildung, Sicherheit und gute Arbeit für alle kämpfen, sagen sie. «Es ist ein Tag, an dem wir alle zusammen auf die Strasse gehen für Themen, die uns das ganze Jahr beschäftigen.»
Wenig später setzt sich die Menschenmenge in Bewegung Richtung Stadtzentrum. Anders als letztes Jahr ist auch die Demo-Route. Nach der mehrstündigen Blockade durch die Polizei führte sie via Bankverein über die Wettsteinbrücke zum Kasernenplatz. Dieses Mal solls auf direktem Weg in die Innenstadt gehen: vom Messeplatz via Claraplatz und Schifflände auf den Barfi.
Der letztjährige 1. Mai beschäftigt die Behörden weiterhin. Noch immer sind Fragen zur damaligen Einkesselung der Demo durch die Polizei offen. Monatelang hat Bajour versucht, dazu Antworten zu finden. Protokoll einer schwierigen Recherche.
Vor dem Polizeiposten an der Clarastrasse bleibt der revolutionäre Block am Ende der Demo stehen. Zwei Vermummte tragen ein Plakat aus der Menge und stellen es an einen Baum vor der Wache. Darauf zu sehen ist das Gesicht von Justiz- und Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann, angeschrieben als «Obeyman». Eine Anspielung auf Sticker eines amerikanischen Künstlers mit der Aufschrift «Obey», was auf deutsch «gehorchen» heisst. Andere lösen sich aus dem Block und werfen Tomaten auf das Banner.
Während im revolutionären Block an dieser Stelle und wenig später am Claraplatz Reden über Polizeigewalt und den Krieg in Gaza gehalten werden, verschwindet der übrige Teil der Demo aus der Sichtweite. Auf dem Weg zum Marktplatz fackeln vereinzelt Pyros und Feuerwerk.
Die Filiale der UBS ist der nächste Halteort. An den runtergerollten Storen hängt ein Zettel, dass die Bank wegen der Kundgebung geschlossen bleibt. Über einen Lautsprecher wird die UBS – und generell der Finanzplatz – wegen ihrer Rolle in der Klimakrise kritisiert. Nach den Worten folgen die Taten: Zwei Vermummte besprayen die Filiale, andere schmeissen mit Farbbehältern auf das Gebäude. Dann ist fertig Vandalismus, via Falknerstrasse trifft man am Barfüsserplatz auf den Rest der Demo, die schon fleissig am ausruhen, essen und feiern ist.
Der revolutionäre Block verabschiedet sich denn auch mit einem letzten Knall von der Demo – Feuerwerk schiesst vom Dach des BVB-Häuschens in die Luft. Am Fest der «bürgerlichen Regierungsparteien» – gemeint sind SP und Grüne – wollen sie nicht teilnehmen. An der Laune gegenüber ändert das nichts: SP-Politiker*innen zapfen Bier, nebenan hat sich eine lange Schlange vor dem Gözleme-Stand gebildet und von der Bühne sprechen verschiedene Gewerkschaftsvertreter*innen zur Menge.
«Der 1. Mai ist mehr als ein Feiertag», sagt Lucien Robischon, Co-Präsident des Gewerkschaftsbunds. «Er ist ein Zeichen für den Kampf und die Errungenschaften der Arbeiterbewegung weltweit. Ein Tag, an dem wir für bessere Arbeitsbedingungen, aber auch Themen wie Lohngleichheit und die Gleichstellung aller Geschlechter kämpfen.»
Es könne nicht sein, dass die Ausgaben für Miete und Krankenkassenprämien «steigen und steigen». Unterstützende Buhrufe aus dem Publikum. «Nur wenn wir solidarisch sind und gemeinsam kämpfen, können wir einen echten Wandel bewirken», ergänzt kurz darauf Joël Lier, ebenfalls Co-Präsident des Gewerkschaftsbunds. Er verweist auf den «historischen Sieg» bei der Abstimmung zur 13. AHV-Rente, der gezeigt habe, dass «wir als Kollektiv eine grosse und weitreichende Kraft besitzen.»
Dass die Basler*innen so zahlreich auf den Barfi gekommen sind, werten die Veranstalter*innen denn auch als Zeichen der Solidarität. «So viele Menschen sind hier, auch viele Kinder, die Leute geniessen diesen Tag», sagt auch Mustafa Atici zu Bajour. Er steht hinter dem SP-Zelt und schüttelt ununterbrochen Hände, schliesslich ist heute sein erster Tag als Regierungsrat. Hat er das Gefühl, der 1. Mai als Feier- und Demotag könne etwas bewirken? «Heute stand das Motto Krankenkassenprämien und Löhne im Vordergrund, das ist nichts Neues, aber die Menschen machen sich durch diese Solidarisierung heute auch nochmals für diese Themen stark.» Dieses «gute Signal» bekomme man an diesem Tag mit.
Positiv ist auch die Bilanz der Kantonspolizei: Sie blicke auf einen positiven Einsatz zurück, schreibt sie in einer Medienmitteilung. «Rund 2000 Personen demonstrierten friedlich durch die Basler Innenstadt.» Die im Vorfeld getroffenen Absprachen und die Auflagen der Kantonspolizei seien «von den Bewilligungsnehmern» eingehalten worden. Zu «weiteren Sachbeschädigungen» neben der Farbe an der UBS-Filiale sei es nicht gekommen.
Der erwähnte Zwischenfall trübt auch die Stimmung von Nicola Goepfert nicht. «Wir müssen uns darauf fokussieren, dass der 1. Mai insgesamt friedlich war. Das ist, was zählt.» Und die anwesende Bevölkerung wirkt ebenfalls zufrieden: Sie feiert ausgelassen und bei bestem Wetter in den Nachmittag hinein. Fragt man nach einem persönlichen Fazit, hört man mehrmals den gleichen Satz: «Das ist wieder ein 1. Mai wie früher.»