Eine Quarantäne fast wie auf dem toskanischen Hügel

Für das Ehepaar Doris und Gianni Suter ist langanhaltende Zweisamkeit in den eigenen vier Wänden nichts Neues. Auch wenn die Corona-Einschränkungen aufs Gemüt drücken – die Dankbarkeit ist grösser.

Gianni und Doris Suter an ihrem Fenster im Gundeli.
Gianni und Doris Suter sind derzeit in Quarantäne bei sich zu Hause. Seine neuen Bilder zeigt er den Töchtern vom Fenster aus.
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Der Tag beginnt wie immer. Um 6.30 Uhr stehen die beiden auf, sie macht Frühstück, er liest «stundenlang» Zeitung, sie geht zurück ins Bett und liest in einem Roman. «Danach mache ich den Haushalt, aber sehr langsam», sagt Doris Suter. Langsam, damit die Quarantäne nicht langweilig wird? Sie lacht. «Nein, weil ich nicht mehr so schnell bin, ich werde in einem Monat 85 Jahre alt!» Dafür ist sie noch ziemlich fit. Lange Spaziergänge beispielsweise gehören zu ihrem täglichen Programm. Normalerweise. Und jetzt? «Verlasse ich das Haus höchstens für 15 Minuten am Tag und das auch nur für eine Runde um den Block.»

Der Block, den sie meint, steht im Gundeli-Quartier in der Nähe der Pruntrutermatte. Zusammen mit ihrem Mann Hansruedi «Gianni» Suter (86) lebt sie in einer kleinen Parterrewohnung mit Terrasse. Die beiden sind seit bald 66 Jahren verheiratet, vergangenes Jahr empfing sie der Regierungsrat zur Eisenhochzeit im Rathaus. Das waren noch Zeiten! Unbeschwert die Wohnung verlassen können und sorglos durch die Stadt schlendern.

«Ich bin wenigstens nicht allein.»

von Doris Suter

Doch Doris Suter will nicht klagen. «Ich bin wenigstens nicht allein – und wenn ich ehrlich bin, hat sich bis auf die fehlenden Spaziergänge mit meinen Freundinnen für Gianni und mich nicht viel verändert.» Hansruedi heisst für manche Gianni, weil sein richtiger Name für die Menschen in Italien ein Zungenbrecher gewesen wäre. Vor gut 35 Jahren wanderte das Paar mit ihrem kleinen Ersparten in ein altes Miethaus in die Toskana aus, wo es sich mit Arbeiten für wohlhabende Ausländer*innen über Wasser hielt. 2004 kamen sie altersbedingt zurück. An die Zeit «auf dem Hügel» denken sie gerade in diesen Tagen häufig zurück.

Fürsorgliche Töchter

«Damals waren wir oft auch wochenlang daheim», sagt Doris Suter. Im Winter sei kaum Besuch aus der Schweiz gekommen und am Meer und in den Dörfern lief auch nichts. Bloss zum Einkaufen verliessen sie das Haus auch in den kalten Monaten. «Jetzt mache ich nicht mal mehr das, das heisst, fast nicht mehr.»

Den Gang zum Bäcker und zum Quartierlädeli zwei Mal in der Woche lässt sich Doris Suter nicht nehmen. «Ich warte immer, bis niemand mehr im Laden ist und halte Abstand», sagt sie. Die grossen Einkäufe erledigen die zwei Töchter. «Sie lesen uns jeden Wunsch von den Augen ab.» In die Wohnung kommen sie aber nicht, zu gefährlich sei das. «Wir halten jeweils einen Schwatz aus dem Fenster», sagt Doris Suter. Mit den beiden Söhnen telefonieren die beiden oft. Sie sind ebenfalls in Quarantäne.

«Wir halten jeweils einen Schwatz aus dem Fenster»

von Doris Suter

Wenn Gianni wieder eines seiner Bilder fertiggemalt hat, zeigt er es den Töchtern vom Fenster aus. Für ihn hat sich kaum etwas verändert mit Corona, schon vorher blieb er meist daheim und malte. «Wir haben kaum mehr Platz in der Wohnung für all die Kunst», sagt Doris. So gut es den beiden auch geht – die Situation drückt ihnen auf die Stimmung.

«Wir haben keine Angst, zu sterben, fragen uns aber, wie lange das Ganze noch dauert. Zudem denken wir an die Menschen, die allein sind und niemanden haben – nicht nur in der Schweiz.» Die Fernsehbilder aus armen Ländern, in denen die Menschen jetzt auch noch gegen das Virus kämpfen müssen, bereiteten ihr manchmal schlaflose Nächte, sagt sie. «Dann wird mir bewusst, wie gut es uns hier geht und dass wir dankbar dafür sein können.»

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Dieser Artikel ist Teil unserer Serie über ältere Menschen aus der Region in der Quarantäne.

Erschienen ist bis jetzt ausserdem:

Isabelle Villard – über Nacht in der Risikogruppe

Basel Briefing

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