Station 3: Faeschhaus – Fritz und Paul Sarasin oder Erfolg dank Kolonialismus
Jeden Tag gehen wir an Gebäuden in Basel vorbei, die in der Geschichte der Sklaverei und des Kolonialismus eine Rolle spielten. Was passierte hinter diesen Mauern? Wer lebte und arbeitete da? Wir spazieren durch die Stadt und machen Halt an der Spitalstrasse.
Wir wandern vom Rümelinsplatz zur Spitalstrasse und stehen nun dort, wo sich bis vor Kurzem das Corona-Testzentrum des Universitätsspitals befand. Auf der Strassenseite gegenüber fällt, inmitten von modernen Bauten, ein Haus aus der Zeit. Das hölzerne Eingangstor wird von einem goldenen Wappen geziert und daneben hängt eine Klingelschnur, mittels derer Besucher sich anmelden.
Neben dem Haus ein Zaun, üppig-golden verziert auch er, der einen eleganten Garten beherbergt. Kunstvoll geschnittene Buchshecken reihen sich an Rosenbäumchen und aus der Mitte ragt ein Springbrunnen, der fürs Erfrischungsgefühl sorgt.
Fritz und Paul Sarasin: Cousins und Liebende
Es ist das Faeschhaus. Hier trifft sich Ende des 19. Jahrhunderts die naturwissenschaftliche Szene der Schweiz. Auf drei Etagen befindet sich das Sammelsurium der Cousins Fritz und Paul Sarasin. Sie sind 1896 von Forschungsreisen nach Basel zurückgekehrt und nutzen das Haus als Arbeits- und Wohnort.
So erfolgreich ihr Weg schliesslich ist, so unkonventionell ist er zur damaligen Zeit und so sehr müssen sie dafür kämpfen. Der Lebensentwurf von Fritz und Paul Sarasin stehe im Widerspruch zum konservativen Patriziat in Basel, konstatiert der Historiker Bernhard Schär, dessen Dissertation «Tropenliebe» sich den Gross-Cousins widmet.
Der Vater von Fritz Sarasin ist Bürgermeister von Basel, der Vater von Paul einer der reichsten Seidenbandfabrikanten der Stadt. Auf den Söhnen lastet die Erwartung, das Familienerbe weiterzutragen, sich standesgemäss zu verheiraten. Doch sie entziehen sich.
Ihr Interesse auf Expeditionen gilt nicht nur Pflanzen und Tieren, sondern auch den Menschen: Sie begutachten und vermessen sie.
Die Cousins verlassen Basel zu Studienzeiten, um ihr Leben der Naturwissenschaft zu widmen. Es zieht sie nach Sri Lanka, damals Ceylon, britische Kolonie. Auf die Insel Celebes, heutiges Sulawesi, niederländische Kolonie. Oder nach Berlin, wo sie ihre Fundstücke untersuchen. Sie nehmen an verschiedenen grossen Expeditionen teil, organisieren diese auch, investieren viel Geld. Ihr Interesse gilt dabei nicht nur Pflanzen und Tieren, sondern auch den Menschen, den Ureinwohner*innen. Sie begutachten sie, vermessen sie, untersuchen sie.
«Primitive Völker» als Forschungsobjekte
Zu ihren Lebzeiten gerät die Unterdrückung von Menschen und insbesondere die Sklaverei zunehmend in Kritik. Doch was für ein Menschenbild haben die Sarasins selbst? «Die Sklaverei wurde in den 1860ern in den niederländischen Kolonien abgeschafft. An ihre Stelle trat aber die Zwangsarbeit auf Plantagen, die von sogenannten ‹Kulis› ausgeführt wurde», sagt Bernhard Schär. «Die Sarasins ‹mieteten› für ihre Forschungsreisen ebenfalls solche ‹Kulis›.
Etliche davon starben unterwegs oder danach an Krankheiten. Das nahmen die Sarasins in Kauf. Als konservative Protestanten glaubten sie zwar, dass alle Menschen von Gott ‹geschöpft› seien, aber auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen stünden. Es war klar, dass die ‹primitivsten Völker› wie etwa die ‹Veddas›, die sie in Sri Lanka studierten, als Forschungsobjekte zu dienen hatten.»
Ein Gedichtband – oder der Versuch eines Coming-outs
Fritz und Paul Sarasin leben fast 40 Jahre lang Seite an Seite. Ein Paar, das sich liebt. In Momenten, die sie nicht zusammen verbringen können, schreiben sie sich Briefe, beinahe täglich. Paul Sarasin verfasst Gedichte. Sein Gedichtband, der 1893 erscheint, trägt die innige Widmung „Meinem treuen Freunde Fritz Sarasin in herzlicher Liebe zugeeignet“.
Bernhard Schär wertet die Veröffentlichung als Versuch eines Coming-outs. Ein Coming-out, das scheitert. Nach scharfer Kritik, in erster Linie aus dem konservativen Elternhaus, zieht Paul den Gedichtband schliesslich zurück. Die Liebe der beiden Cousins passt weder in die damalige Zeit noch zu ihrer sozialen Herkunft. Doch im Faeschhaus in Basel können sie relativ unbeschwert miteinander leben und arbeiten – auch, weil sie sich als Wissenschaftler mittlerweile etabliert haben.
Diesen Erfolg verdanken sie dem Kolonialismus. „Der europäische Kolonialismus rief einen enormen Bedarf an wissenschaftlichem Wissen hervor“, sagt Bernhard Schär. „Alle Kolonialmächte heuerten zum einen Forscher aus jenen Teilen Europas an, die erst spät eigene Kolonien errichteten, oder gar nie: typischerweise Deutschland oder die Schweiz. Zum anderen boten die europäischen Kolonialreiche auch Karrierechancen für reiche junge Männer aus Deutschland oder der Schweiz, um exklusive Projekte zu verfolgen und sich später eine Karriere in der Heimat zu sichern. Aus diesem Grund ist die Wissenschaftsgeschichte der Schweiz eng mit dem kontinuierlichen und strukturellen Bedarf der Kolonialmächte nach Erforschung ihrer Kolonialreiche verbunden.“
Fritz und Paul halten zueinander, bis Paul 1929 stirbt. Oder, wie er selbst es in einem Gedicht, das F. S. gewidmet ist, beschreibt: […]
Du bleibst mir treu in den seligsten Stunden / ich hab als Glücklichster dich gefunden / Du wirst auch in schlimmen nicht mich verlassen / Du Stern meiner Nacht, nie wirst du erblassen.
Buchtipp: Bernhard C. Schär: Tropenliebe. Schweizer Naturforscher und niederländischer Imperialismus in Südostasien um 1900
Der Bajour-Spaziergang «Neue Augen auf die Stadt» beleuchtet verschiedene Basler Schauplätze des Sklavenhandels und des Kolonialismus. Die Autorin Simone Krüsi ist Germanistin, Ethnologin und Balkanwissenschaftlerin.
Die nächste Station unserer Serie führt uns zum Spalentor und... der Basler Mission.