Station 4: Die Basler Mission – eine ambivalente Rolle
Jeden Tag gehen wir an Gebäuden in Basel vorbei, die in der Geschichte der Sklaverei und des Kolonialismus eine Rolle spielten. Was passierte hinter diesen Mauern? Wer lebte und arbeitete da? Wir spazieren durch die Stadt und machen Halt beim Spalentor – in der Missionsstrasse.
Paul und Fritz Sarasin leben ein aufgeschlossenes Leben, doch ihre Familien gelten als sehr konservativ. Sie bestimmen das politische Leben des damaligen Basels mit – und ihr Einfluss reicht noch weiter: So sitzt der Vater von Paul, Karl Sarasin, auch im Leitungsgremium der Basler Mission. Wie geht diese mit der Sklaverei um?
Wir lassen das Faeschhaus und die Spitalstrasse hinter uns, gehen hoch zum Spalentor und biegen ein in die Missionsstrasse. Gut hundert Meter stadtauswärts steht leicht zurückversetzt ein spätklassizistischer Grossbau – ein stattliches Gebäude, das zur Zeit seiner Erbauung einsam aus der ländlich-idyllischen Umgebung ragt. Darin befindet sich heute die Mission 21.
Das Ziel: Unrecht wieder gut machen – funktioniert nur mässig
Wir schreiben das Jahr 1815. Gerade hat sich Christophe Bourcard, dessen Firma sich am Sklavenhandel beteiligte, in Frankreich das Leben genommen. In seiner Heimatstadt Basel wird die Evangelische Missionsgesellschaft gegründet. Das Ziel: Bauern in nicht-abendländischen Kulturen das christliche Leben näherzubringen. Und ausserdem: das Unrecht, das Menschen durch den Sklavenhandel erleiden, wiedergutzumachen. «Auf jedem eurer Schritte sollt ihr keinen Augenblick vergessen, wie übermütig und schändlich seit Jahrhunderten die armen N*** fast durchgängig von Menschen, die sich Christen nennen, behandelt werden», mahnt Mitbegründer Inspektor Blumhardt im Jahr 1816.
«Sobald die Sklaven von Riis getauft seien, sollten sie frei kommen, aber nicht früher.»Magdalena Zimmermann, Vizedirektorin der Mission 21
Ein klarer Auftrag, doch bei der Umsetzung gibt es Probleme. Die ab 1828 nach Westafrika entsandten Missionare sterben praktisch alle an Tropenkrankheiten. Und der einzige Überlebende verhält sich ambivalent: Andreas Riis. Der Missionar kauft sich in Ghana eine Plantage – und zu deren Bewirtschaftung: Sklaven. Als die Basler Mission davon erfährt, geht sie gegen Riis vor.
«Riis hat das Komitee in einem Brief wissen lassen, er habe Sklaven freigekauft und verwende sie nun auf seiner Plantage. Sobald sie getauft seien, sollen sie frei kommen, aber nicht früher», erzählt Magdalena Zimmermann, Vizedirektorin der Mission 21, in der die Basler Mission vor knapp 20 Jahren aufgegangen ist. «Das Komitee in Basel ist damit überhaupt nicht einverstanden. Sklavenbesitz, auch zeitlich befristet, ist unmöglich und eine Taufe unter Zwang ist gegen die Prinzipien der Mission.» Nach einer Anhörung durch das Komitee wird Riis 1846 schliesslich entlassen.
Eine Untersuchung zeigte: 23 Mitarbeitende der Basler Mission hielten insgesamt 247 Sklav*innen.
Doch Riis ist nicht der Einzige. Eine Untersuchung ein paar Jahre später fördert zutage, dass 23 Mitarbeitende der Basler Mission insgesamt 247 Sklav*innen halten. Bei den meisten handelt es sich um Katechet*innen, wie Zimmermann betont, also einheimische Mitarbeitende, welche für die Missionsarbeit zentral sind.
Abhängigkeitssysteme hielten Sklaverei am Leben
Es zeigt sich bald, dass die Basler Mission nebst Tropenkrankheiten und nicht-konformen Missionaren auch mit strukturellen Problemen zu kämpfen hat. Der Begriff der Sklaverei, wie ihn die Missionsleitung in Basel versteht, ist stark vom transatlantischen Sklavenhandel geprägt – eine zu einseitige Sicht. «Die Missionare merkten vor Ort, dass die sozialen Abhängigkeitssysteme davon zu unterscheiden sind», sagt Magdalena Zimmermann. «Bald machten sie die Erfahrung, dass, wenn sie einen ‹Haussklaven› freikauften, dieser sehr oft wieder einen neuen ‹Herrn› suchte, damit er Unterkunft und Lebensunterhalt gesichert hatte.»
Zu diesem Schluss kommt auch der Historiker Peter Haenger in seiner Dissertation Sklaverei und Sklavenemanzipation an der Goldküste. «Die lokalen sozialen Strukturen erwiesen sich als zu resistent und zu tief verwurzelt, als dass sie mittels eines Dekretes aus Basel einfach hätten verändert werden können», konstatiert er.
«Das Spektrum dieser Abhängigkeiten war breit.»Veit Arlt, Zentrum Afrikastudien Uni Basel
Doch wie sind diese Strukturen, die viele Einheimische in Abhängigkeitsverhältnisse zwingen, überhaupt entstanden? «Das Spektrum dieser Abhängigkeiten war breit», sagt Veit Arlt vom Zentrum für Afrikastudien der Universität Basel. «Da war zum Beispiel die Versklavung von Kriegsgefangenen, die komplett von ihren Familien, respektive Gesellschaften getrennt wurden. Sie wurden aber nicht einfach nur als Arbeitskraft verdingt, sondern auch in ein neues Gesellschaftsgefüge integriert. Sie waren zwar abhängig von ihrem neuen Herrn, waren aber auch Teil seiner erweiterten Familie, was essentielle Sicherheit und Schutz bedeutete. Solche Personen und ihre Nachkommen konnten durchaus innerhalb dieser Familienstrukturen aufsteigen und sogar erben.»
Weit verbreitet ist gemäss Arlt an der damaligen Goldküste auch das sogenannte «Pawning», eine Art Schuldknechtschaft: Ein Schuldner stellt dem Kreditor als Sicherheit oder Gegenleistung seine eigene Arbeitskraft oder die eines Familienmitglieds zur Verfügung – ein Abhängigkeitsverhältnis also, das temporärer Natur ist.
Die Lösung? Sklav*innen konnten sich «freiarbeiten»
Derweil entbrennt in der Basler Mission ob dem ungelösten Problem ein Streit: Während die eine Seite weiterhin die umfassende Abschaffung der Sklaverei fordert, fürchtet die andere Seite, ein Verbot würde Sklavenhalter*innen von einem Beitritt zur Mission abhalten und so deren Wachstum bremsen. Das Basler Haus entscheidet sich 1862 für eine Übergangslösung: Sklav*innen müssen binnen zwei Jahren freigelassen werden, die Sklavenbesitzer werden allerdings für den Verlust entschädigt. Wo die Mission diese Entschädigung nicht übernehmen kann, müssen die Sklav*innen selbst dafür aufkommen – bis sie sich «freigearbeitet» hatten, dauert es gut vier bis fünf Jahre.
Zurück an der Missionsstrasse. Hier lässt man heute auch einen kritischen Blick auf die Vergangenheit zu. «Viele internationale Forschende verschiedener Disziplinen arbeiten die Missionsgeschichte kritisch auf», betont Vizedirektorin Zimmermann. Besonders wichtig sei diese Aufarbeitung für die Wissenschaftler*innen aus denjenigen Ländern, in denen die Basler Mission gearbeitet hat. So hätten etwa ghanaische Historiker*innen viel an der Geschichte der Basler Mission in Ghana geforscht.
«Bis in die 1980er-Jahre waren die Geistes- und Sozialwissenschaften stark von einem pauschalisierenden Diskurs geprägt.»Veit Arlt
In der Tat sei genau diese Verschiebung hin zur Aufarbeitung in den betroffenen Ländern zentral, meint auch Veit Arlt. «Bis in die 1980er-Jahre waren die Geistes- und Sozialwissenschaften stark von einem pauschalisierenden Diskurs geprägt, wurde schwarz-weiss gezeichnet. Nur wenige Wissenschaftler*innen verloren sich in Archive von Institutionen, die Teil des kolonialen Systems waren, wie zum Beispiel die Basler Mission.»
Neue Perspektiven – weg vom Schwarz-Weiss-Narrativ
Doch im gleichen Zuge, wie diese Institutionen verurteilt werden, verkommen die afrikanischen Gesellschaften zu Opfern von europäisch dominierten Prozessen. «Als ich in den späten 80er-Jahren als Student der Uni Basel an den faszinierenden Blockseminaren zur Geschichte Afrikas teilnahm, war dies Teil einer kontinuierlichen Öffnung des Diskurses», betont Arlt. «Indem wir die Quellen im Missionsarchiv gegen den Strich lasen, vermochten wir neue Geschichten und afrikanische Perspektiven zu entdecken und so auch die Handlungsmacht von Afrikaner*innen zu würdigen.»
Eine Öffnung des Diskurses für neue Perspektiven also, für afrikanische Perspektiven oder zumindest für solche, die nicht länger auf das zu kurz greifende eurozentristische Täter-Opfer-Narrativ angewiesen sind. Perspektiven, die den afrikanischen Gesellschaften jene Deutungsmacht zugestehen, die ihnen zusteht – gerade auch in Bezug auf die Kolonialgeschichte.
Der Bajour-Spaziergang «Neue Augen auf die Stadt» beleuchtet verschiedene Basler Schauplätze des Sklavenhandels und des Kolonialismus. Die Autorin Simone Krüsi ist Germanistin, Ethnologin und Balkanwissenschaftlerin.