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Überall Gewinner*innen: Der BuchBasel-Blog geht dankend ab

Martina Clavadetscher gewinnt den Schweizer Buchpreis. Ebenfalls preisverdächtig: Die Lesung mit Jessica Jurassica und X Schneeberger im Bajour-Büro. Das wars vom Literaturfestival, hier gibts die Highlights zum nachlesen.

Daniel Faulhaber

11/05/21, 03:02 PM

Aktualisiert 11/08/21, 08:28 AM

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An diesem Wochenende geht im Volkshaus am Claraplatz das Literaturfestival BuchBasel über die Bühne. Wir sammeln Beobachtungen und Szenen, suchen das schönste Cover und das beste Autor*innenbild und, natürlich wie immer, die Bar. Viel Spass.

Nicht verpassen: Der Bookstagrammer und Influencer Josia Jourdan begleitet für Bajour das Festival auch auf unserem Instagram-Account. Schau vorbei! Noch ein Hinweis zum Blog: Der neuste Eintrag ist der oberste. Wenn du das Pingpong in der ordentlichen Reihenfolge lesen willst, musst du von unten nach oben lesen.

Strahlende Siegerin: Martina Clavadetscher setzt sich gegen eine dezimierte Konkurrenz durch und gewinnt den Schweizer Buchpreis.

Strahlende Siegerin: Martina Clavadetscher setzt sich gegen eine dezimierte Konkurrenz durch und gewinnt den Schweizer Buchpreis.

Der Höhepunkt des Literaturfestivals BuchBasel besteht traditionellerweise in der Verleihung des Schweizer Buchpreises. Nominiert waren in diesem Jahr die Autor*innen Christian Kracht, Thomas Duarte, Veronika Sutter, Michael Hugentobler und Martina Clavadetscher. Kracht zog sich, wenige Wochen vor der Verleihung, von der Shortlist zurück. Danach wurde Clavadetscher als Favoritin gehandelt und wurde denn auch am Sonntag mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet.

Der BuchBasel-Blog von Bajour gratuliert der Autorin herzlich zu diesem Preis. Josia hatte während des Festivals das Vergnügen, eine Lesung von Clavadetscher zu hören. Wie es ihm dabei erging, zwischen Robotern und Sexpuppen, das liest du weiter unten im Blog.

Auf dem Bajour-Instagram Account findest du heute ausserdem Josias Programmtipps für den Sonntag. Einen guten Bücherherbst, allerseits!

Hat Spass gemacht: Die literarische Soiree mit den beiden aus Bern angereisten Autor*innen.

Hat Spass gemacht: Die literarische Soiree mit den beiden aus Bern angereisten Autor*innen. (Foto: Daniel Faulhaber)

Daniel schreibt...

Zunächst gabs an dieser Lesung für uns Journalist*innen erst einmal gar nichts zu lachen. Als Jessica Jurassica die Lesung eröffnete, wurde rasiert. Journalist*innen kriegen in ihrem Roman «Das Ideal des Kaputten» ordentlich ihr Fett weg, der Medienbetrieb mit seinen – in den Augen der Autorin – faulen Anfragen und der selbstzugeschriebenen Deutungsmacht und dem geheuchelten Interesse wurde Stück für Stück zerlegt und in eine dunkle Ecke der Aufmerksamkeitsökonomie geworfen. Das Publikum hatte Spass, zirka 35 Zuschauer*innen hatten den Weg in den literarischen Bajour-Salon gefunden.

X Schneeberger las aus «Neon, Pink & Blue» und schlug dabei einen ganz anderen, dabei auch kritischen, präzisen Ton an. Aufmerksames Zuhören im Publikum. Dann wurde gelacht. Jurassica und Schneeberger lasen Titelzeilen, die über ihre Werke erschienen und kommentierten zurückgelehnt: «Was für ein Elend.»

Aber um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Der Vibe war durch und durch positiv. Das Publikum kam zum Zug und bestimmte, ab welcher Seite aus den Büchern gelesen wurde. Es gab Rum und Cola und andere Erfrischungsgetränke. Für Bajour sehr schön: Zum ersten Mal seit dem Umzug an die neue Adresse in der Clarastrasse konnten wir einen Anlass live und mit Publikum durchführen. Da kommen wir her: Bajour hat mit einem Podium seine Geschichte begonnen. Da wollen wir weitermachen: Veranstaltungen wie diese, der Austausch mit dem Publikum gehört zur Idee, wie wir als Medium funktionieren wollen.

Applaus, die Lichter aus, noch ein paar Biere auf. Draussen wurde geraucht und geredet und das Gelesene besprochen, drinnen gabs noch eine Blitzführung durchs Büro. Dann war auch dieser Abend zu Ende. Morgen um 11:00 Uhr wird im Foyer des Theater Basel der*die Schweizer Buchpreisträger*in gekürt. Hoffentlich sind wir dann schon auf den Beinen. Schön wars, herzlichen Dank an alle die da waren. An alle anderen: Herzliche Einladung aufs nächste Mal.

Abschiedsgrüsse von der Bar. Danke für euren Besuch, Jessica Jurassica und X Schneeberger.

Abschiedsgrüsse von der Bar. Danke für euren Besuch, Jessica Jurassica und X Schneeberger. (Foto: Daniel Faulhaber)

Josia schreibt...

Es ist sehr streng Wasserglaslesung. Zumindest so wie ich es erlebe. Ich vermisse aktive Diskussionen mit dem Publikum, Verantsaltungskonzepte wie die Schaufensterlesungen oder Literatur in Bars. Ich vermisse auch eine Kombination mit anderen Kunstformen - Musik ganz besonders.

Du hast einen literarischen Boxring vorgeschlagen, in dem Streitgespräche und Diskussionen über Bücher geführt werden können. Ich als Techno-Fan wäre begeistert von einer Lesung mit anschliessendem DJ-Set oder wenn ich richtig träume, dann wäre es eine literarische Clubnacht.

Trotzdem hat die BuchBasel ein Konzept von dem ich gerne früher gewusst hätte und das ich mir auch für andere LIteraturevents wünsche. Staffellesungen haben zur Idee in 60 Minuten drei unterschiedliche Autor*innen und ihre Werke vorzustellen. Dabei gibt es keine Moderation, die Autor*innen stellen sich lediglich gegenseitig vor, lesen dann 15 Minuten aus ihrem Werk und stellen sich am Ende eine Frage zu ihrer Arbeit, ihren Werken oder was ihren Kollge*innen sonst auf der Zunge brennt.

Es ist anders, macht Lust auf mehr und ich glaube, da hat die BuchBasel aus den aktuellen Möglichkeiten heraus, versucht das Bestmögliche herauszuholen. Nun freue ich mich auf meine letzte Veranstaltung heute - die Lesung mit X Schneeberger & Jessica Jurassica bei euch im Bajour Büro.

(Foto: Yannick Frich)

Daniel schreibt...

Apropos Wasserglaslesung: Im Bajour-Büro an der Clarastrasse 10 heute Abend um 18:30 Uhr ist Biertrinken erwünscht! Jessica Jurassica und X Schneeberger lesen aus ihren preisgekrönten Büchern «Das Ideal des Kaputten» und «Neon, Pink & Blue» und ich glaub das wird grossartig. Es wird nicht nur gelesen, es wird auch verrissen. Aber andersrum, die Autor*innen halten dem sogenannten LITERATURBETRIEB und seinen hässigen Repräsentant*innen (aka uns) den Spiegel vor.

Der Eintritt ist frei, es gilt eine Zertifikatspflicht. Herzliche Einladung an alle, die hier mitlesen. KOMMET IN SCHAREN.

Die BuchBasel Onepage spezial Edition heisst «Focus Color Italia». Leif Randt hat den Text geschrieben.

Die BuchBasel Onepage spezial Edition heisst «Focus Color Italia». Leif Randt hat den Text geschrieben. (Foto: onepage.li)

Daniel schreibt...

Ich war grad an dieser Veranstaltung, in der es nur im erweiterten Sinn um Literatur ging. In Kürze: Text trifft Gestaltung trifft Haptik trifft Druck. Die Autorin Doris Büchel hat das analoges Literaturmagazin «Edition Onepage» gegründet und zwar aus einem einleuchtenden Grund, wie ich finde:

Büchel: «Ich liebe Texte nicht nur für ihren Inhalt. Manche Sätze sind so schön, dass ich sie nach dem Lesen nicht zwischen Buchdeckeln verstecken und im Regal versorgen will. Ich will sie um mich herum haben. Es gibt Texte, die gehören an die Wand»!

Die Idee der Edition Onepage ist einfach. Autor*innen verschiedener Gattungen liefern Texte. Inhalt: Carte Blanche. Ein*e typografische Gestalter*in, im aktuellen Fall Ronnie Fueglister, giessen diesen Text in ein Plakat. Oder ein Bild? Text und Gestalt geben am Schluss ein Gesamtpaket, in dem sich beide Teile ergänzen – ohne dass die Ästhetik den Inhalt überdeckt oder vice versa. Das bedeutet, dass die Texte eben schön anzuschauen, aber auch gut zu lesen sein sollen.

Das klingt jetzt, während ich das aufschreibe, ein bisschen nerdy, merke ich. Und ja, es ging auch sehr technisch zu und her im Unionssaal, etwa wenn der Gestalter Fueglister über die «matte Qualität des UV-Lack auf dem Plakat» sprach, mit dem die «heitere Oberflächlichkeit des Textes besonders treffend abgebildet werden sollte». Der Text zu dieser Onepage BuchBasel special Edition stammt übrigens, surprise, von Leif Randt. Ich häng dir hier noch ein paar Beispiele früherer Onepage Editionen in den Blog, damit du dir ein Bild machen kannst.

Zwischendurch hab ich mich schon gefragt: Ist es nicht schrecklich eitel, Texte wie ein Kunstwerk an die Wand zu hängen? Aber vielleicht hat das auch mit unserer eingeschliffenen Lesart zu tun: Texte wie Bücher und Zeitungen liegen ja in der Regel auf dem Tisch. Bilder an der Wand. Einen «horizontalen Wert» im ästhetischen Sinn kriegen Bücher eigentlich erst, wenn man sie in grosser Zahl ins Bücherregal stapelt. Dort, sind wir ehrlich, stehen sie die meiste Zeit auch nur für den Show-Effekt.

Da kann man den Text ja gleich aufhängen. Das ist vom Entertaining-Gedanken her irgendwie konsequenter, als wenn der Blick des Publikums zwecks Name-Catching nur über die Buchrücken streift.

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Aber hey, Josia, wir sind die ganze Zeit voll nett und positiv hier. Gibts auch irgendwas, was dir an dieser BuchBasel-Ausgabe 2021 nicht so passt? Einen Punkt hast du schon angesprochen. Ich finds auch schade, dass es in diesem Jahr keine Satelliten-Veranstaltungen an anderen Orten als dem Volkshaus gibt. Das hat bestimmt mit der Pandemie zu tun, schon klar, ein Schutzkonzept für Aussenstationen wär kompliziert geworden. Aber ich finds insgesamt schon sehr streng back to Wasserglaslesung, was wir hier erleben

«Ein verlorener Sohn»

«Ein verlorener Sohn» (Foto: Onepage.li)

«Nothing ever happens»

«Nothing ever happens» (Foto: Onepage.li)

«Der Frühling ist gekommen»

«Der Frühling ist gekommen» (Foto: Onepage.li)

Josia schreibt...


Sag mal, hast du dieses Jahr den Buchpreis verfolgt? 

Ich habe dieses Jahr keines der Bücher gelesen und auch sonst eher weniger verfolgt, wer da wirklich nominiert worden ist. Nun sitze ich in der Lesung der nominierten Autorin Martina Clavadetscher zu ihrem Shortlist-Roman «Die Erfindung des Ungehorsams». Ich habe mich spontan für diese Veranstaltung entschieden, du sitzt gerade in einer Veranstaltung zu Gestaltung. Wie erlebst du das Publikum? Was nimmst du aus der Veranstaltung mit?

Ich erlebe in der Buchpreis Lesung das erste Mal an der BuchBasel ein grösstenteils älteres Publikum und das obwohl es in Clavadetschers Buch um Sexpuppen, Programmieren und Maschinen geht. 

Ich find's spannend. Ob ich das Buch lesen würde, weiss ich nicht, aber den literarischen Input mag ich. 

Josia schreibt...

Hey Daniel, ja ich bin erholt und freu mich auf den heutigen Tag. Allegro Pastell sorgt wirklich für Diskussionsmöglichkeiten und ich finde die unterschiedlichen Standpunkte sehr spannend. Einen literarischen Boxring fände ich sehr spannend.

Allgemein hoffe ich, das wir nächstes Jahr wieder mehr Vielfalt bei den Veranstaltungskonzepten der BuchBasel haben werden. 

Ich sitze gerade in einem Gespräch zu «Autorinnen* im Literaturbetrieb» und find die Einblicke interessant. Das Publikum der BuchBasel ist durchschnittlich eher weiblich, das Organisationsteam ist weiblich und trotzdem herrscht weiterhin eine Ungleichheit. Gerade wenn es um Honorare, Verlagsvorschüsse und Preise geht, fehlt es an Transparenz. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das Männer öfter höhere Gagen einfordern können und dabei auch ernst genommen werden, während Frauen noch darum kämpfen überhaupt literarisch ernst genommen zu werden. Das wird auf diesem Podium diskutiert.

Ich selbst lese viel mehr Literatur von weiblich gelesenen Personen und achte mich darauf eine hohe Diversität in meinem Bücheregal vertreten zu haben. Trotzdem beobachte auch ich, all die Punkte, die erwähnt werden. Buchkritiken im klassischen Feuilleton sind oft nicht so sehr inhaltsbezogen. Sondern es geht in Interviews und Porträts oft um Äusserlichkeiten anstelle der künstlerischen Arbeit und Texte. So finden sich auch patriarchale Strukturen im Literaturbetrieb. 

Im Gespräch werden Lösungen gesucht. Die Autorin Tabea Steiner plädiert dafür, hinzuschauen, zu analysieren und dann zu reflektieren, wie Vielfalt geschaffen werden kann. Wenn immer wieder die gleichen «grossen Autoren», vorrangig Männer, eingeladen werden und ihnen die Bühne gegeben wird, kann kaum eine Veränderung stattfinden.  

Die Soziologin und Geschlechterforscherin Andrea Zimmermann stimmt dem zu. Auch sie ist dafür, dass weiterhin Analysen gemacht werden, Statistiken erhoben werden und Biografien von Autorinnen untersucht werden. Sie und die Autorin Nicole Seifert fordern auch eine grössere Transparenz im Begriff Qualität und welche Bücher und Autorinnen gefördert, veröffentlicht und in den Medien auf welche Art sichtbar gemacht werden. 

Ich finds wichtig, dass die BuchBasel diesem Thema Raum gibt und habe das Gespräch zwischen den vier Frauen als Bereicherung erlebt.

Simon Morgenthaler und Valentin Herzog am Lektor*innentisch.

Simon Morgenthaler und Valentin Herzog am Lektor*innentisch. (Foto: Daniel Faulhaber)

Daniel schreibt...

Gerade gesehen: Im Innenhof des Volkshauses haben heute zwei Lektoren ihren Tisch aufgebaut. Coole Idee: Besucher*innen, Passant*innen, wer auch immer gerade will, kann hier ein Manuskript abgeben. Zwei Seiten Text, das kann irgendwas sein, ein angefangener Roman, eine Schreibübung, irgendwas eben. Die Lektoren schauen sich das an und geben später ein professionelles Feedback.

Ich finds eine schöne Idee, in dieses Festivaltreiben auch eine praktische Nische einzubauen für alle, die noch nicht auf der Bühne sitzen. Es braucht kein Eintrittsticket für den Innenhof des Volkshauses, nur ein Zertifikat. Falls es da draussen unentdeckte Talente gibt: Packt diese Chance, besucht die Lektoren!

Noch einmal Leif Randt. Kluge Leute hassen dieses Buch.

Noch einmal Leif Randt. Kluge Leute hassen dieses Buch. (Foto: Daniel Faulhaber)

Daniel schreibt...

Guten Morgen Josia, ich hoffe du hast dich erholt? Ich muss noch zwei Sätze von gestern Abend erzählen, weil ich, noch bevor ich deinen Fan-Boy-Blogeintrag zu Leif Randt gelesen habe, wieder einmal in einen dieser Leif-Randt ich-hasse-ihn-ich-liebe-ihn Boxkämpfe verwickelt wurden. Also nicht wortwörtlich, mit Fäusten oder so, aber im Innenhof des Volkshauses flogen nach der Lesung schon die Fetzen.

Ich habe wirklich einige Freund*innen, die ich sehr führ ihre Klugheit schätze, die dieses Buch von Leif Radt, Allegro Pastell, für ein dummes Stück arroganten Mist halten. Sie sagen, das Milieu, in dem das Buch spielt sei eklig elitär, sie hassen die Figuren für ihre Namen und ihre Attitüden. Sie sagen, der Autor sei ein Snob, der seine eigene cremefarbige Latte Macchiato-Biografie in zwei Figuren gegossen hat und alle Grossstadtkids aller Städte rasten aus vor Freude, weil sie genau dieselben Latte Macchiato-Biografien haben.

Was mich wirklich fasziniert ist, dass diese wie gesagt klugen Leute, die Doppelbödigkeit dieses Buchs mit seiner wahrhaft ekligen Erlebnistopografie nicht erkennen. Ich finde, gerade weil alles so allegro pastell ist, gerade weil es so schauerlich zeitgeisty ist, gerade deswegen ist das Buch natürlich kritisch. Es nimmt diese Welt hopps, das Buch ist keine Affirmation. So zumindest lese ich das. Auf jeden Fall hatte ich schon oft mächtig Streit wegen diesem Buch und wie an der Lesung gestern zu hören war, gingt es nicht nur mir so.

Salomonische Zeitdiagnose von Literaturpapst Faulhaber: So lange wir uns dermassen über ein paar bedruckte Seiten zoffen, so lange sind wir immerhin noch lebendig.

Ps: Wie ich so drüber nachdenke wäre das auch ein tolles Konzept für die BuchBasel: Im Innenhof des Volkshauses ein Boxring aufzustellen, wo sich das aufgebrachte Publikum mit diametal unterschiedlichen Meinungen nach den Lesungen abreagieren kann. Was hältst du davon? Stell dir vor, es wird Lyrik gegeben und nachher stehen Dichter und Zuschauerin im Ring und lassen die Fäuste fliegen. Wie Schachboxen, das gibts ja auch. Ich fänds gut.

Allegro Pastell in mein Ohr.

Allegro Pastell in mein Ohr. (Foto: Daniel Faulhaber)

Josia schreibt...

Daniel, zu deiner Frage. Ja, ich glaube Zärtlichkeit ist politisch. Ich glaube aber auch, dass ich nicht in der Lage bin, dies weiter zu erläutern.Dafür hat Şeyda Kurt ja ihr Buch geschrieben.

Auch Leif Randt greift die Liebe in seinem Buch auf. Wie er in der Lesung erklärt hat, streift auch sein Buch politische Aspekte und das schon allein durch den Fakt, das «Allegro Pastell» ein Gesellschaftsroman ist. Gleichzeitig meint er, könne man es auch als flache Geschichte lesen, die ein bestimmtes, elitäres Millieu beschreibt. Fair.

Ich habe mich schon lange auf diese Veranstaltung gefreut. «Allegro Pastell» habe ich mir bereits zwei Mal von dem Autor als Hörbuch vorlesen lassen (was ich übrigens nur empfehlen kann) und die Geschichte rund um Jerome und Tania hat mich, wie viele andere, bewegt und zum Nachdenken angeregt. Die Genialität mit der Randt schreibt, fasziniert mich und umso begeisterter war ich, dass er selbst ähnlich denkt und redet wie die Protagonist*innen seines Romans. Mit einer feinen Ironie, der Fähigkeit über sich selbst zu lachen und seine Figuren so zu beschreiben, als wären sie real existierende Figuren (vielleicht sind sie es ja auch irgendwie).

Ich habe mich wie ein Fanboy, inspiriert von diesem Autor und seiner Arbeit gefühlt und als ich anschliessend noch kurz mit Leif Randt gesprochen habe, hätte ich ihn am liebsten stundenlang ausgefragt und mit ihm über Literatur und Sprache diskutiert. Stattdessen habe ich ihm, genau wie übrigens Şeyda Kurt, Mareike Fallwickl als Autorin empfohlen und mache dies nun auch dir, liebe*r Leser*in. Wenn dir Allegro Pastell gefällt, lies Mareike Fallwickl.

Diese Lesung hat mich glücklich gemacht. Literatur ist genial, Leif Randt mein aktuelles Idol und ich werde «Allegro Pastell» ganz bestimmt noch einmal von ihm vorlesen lassen. Daniel, ich freue mich auf den nächsten BuchBasel-Einsatz morgen und bin gespannt, welche Autor*innen uns erwarten.

Şeyda Kurt (rechts) ringt um einen neuen Begriff für das Nahesein zwischen Menschen. Die Lesung im Unionssaal moderierte Anna Chatzinikolaou.

Şeyda Kurt (rechts) ringt um einen neuen Begriff für das Nahesein zwischen Menschen. Die Lesung im Unionssaal moderierte Anna Chatzinikolaou. (Foto: Daniel Faulhaber)

Daniel schreibt...

Ich sag dirs gleich wie's ist, Josia, ich hab das Buch von Şeyda Kurt ziemlich lange nicht gelesen, weil ich erstmal beobachten wollte, in welche Richtung sich dieses literarische Happening entwickelt. Muss ich das lesen, weil alle über «Radikale Zärtlichkeit» reden, oder ist das in zwei Monaten wieder vorbei? Ich hab mir den Text dann als Hörbuch auf Spotify vorlesen lassen und ich muss sagen:

Das war eine gute Entscheidung.

Ich fand auch die Lesung mit Şeyda Kurt heute richtig gut. Der Unionssaal war dermassen voll, hinten haben sie Extrastühle rankarren müssen, hast du gesehen? Mich hat beeindruckt, wie gradlinig sich Kurt ausdrückt. Aus meiner Sicht sagt sie zusammengefasst: Dieser mit tausend Bedeutungsebenen vollgepumpte Wortballon «Liebe» muss endlich zerplatzt werden. Er tut immer so vielsagend, aber eigentlich ist «Liebe» nur noch eine leere Patrone auf dem SCHLACHTFELD IRRLICHTERNDER BEZIEHUNGEN. Entschuldige, ich entgleise. Kurt sagt es so:

«L-I-E-B-E. Diese fünf Buchstaben legen sich wie ein bedeutungsschwangerer Vorgang aus Blei über meine Gefühle.»

Sie plädiert für eine Ethik der radikalen Zärtlichkeit. So wie ich das verstanden habe, ist das weniger statisch und festgefahren als Liebe sondern eine Form stetiger Aushandlung von Zuneigung. Die muss sich nicht durch Nähe oder Sex oder Schwärmerei oder all diesen Codes ausdrücken, sondern die kann eben neu gemacht sein. Radikale Zärtlichkeit ist auch politisch. Zum Beispiel darum, weil sie eine Kritik formuliert an der romantischen Liebe.

Die Moderatorin wollte am Anfang allerhand wissen zum politischen Gehalt von radikaler Zärtlichkeit. Da hab ich kurz gedacht, uff, muss jetzt auch noch die Zuneigung politisch aufgeladen werden? Muss wirklich alles alles durch die politische Brille gelesen werden?

Ketzerische Frage an dich, Josia. Wie siehst du das? Ist Zärtlichkeit politisch?

Josia schreibt...

Klar, ich bin 18 (morgen werde ich 19 omg Hilfe haha) und gehe aktuell noch ans Gymnasium in Muttenz. Ansonsten arbeite ich als Journalist und Influencer. Da Bücher schon immer meine Leidenschaft waren, habe ich schon früh angefangen darüber zu schreiben und zu versuchen andere Menschen von meinen Lieblingsbüchern zu begeistern. Instagram ist dynamsich, vielfältig und perfekt um ganz unterschiedliche Menschen zu erreichen - uns verbindet die Liebe zu Büchern. Darum bin ich da mitunter am aktivsten unterwegs.

Josia Jourdan in Action

Josia Jourdan in Action (Foto: Daniel Faulhaber)

Daniel schreibt...

In einem früheren Leben (bis vor drei Jahren) habe ich mal Germanistik studiert. Meine Masterarbeit drehte sich um Formen digitaler Literaturkritik und darum bin ich immer interessiert, wenn irgendwo neue Spielformen eines Austauschs über Bücher auftauchen. Josia Jourdan ist mir aufgefallen, weil er drüben auf Instagram ordentlich Welle macht für gute Literatur. Ein waschechter Bookstagrammer.

Ich hab Josia gefragt, ob er für Bajour von der BuchBasel berichten will und jetzt sitzt er hier, im Volkshaus, und verdaut sein kleines ~Streitgespräch mit Eva Illouz.

Gute Güte, ich weiss ja nicht, ob ich mich getraut hätte, die Star-Soziologin direkt nach ihrer Lesung anzusprechen und mit Kritik an ihrer Haltung zu J.K. Rowling zu fronten. Josia scheint da aus anderem Holz geschnitzt zu sein. He Josia, magst du dich kurz vorstellen? Wer du bist und wie du dazu gekommen bist, auf Instagram mit Literatur aufzutreten?

Eva Illouz im Unionssaal des Volkshauses im Kleinbasel. Ganz zum Schluss wurde die Lesung noch kontrovers.

Eva Illouz im Unionssaal des Volkshauses im Kleinbasel. Ganz zum Schluss wurde die Lesung noch kontrovers.

Josia schreibt...

Ich bin überrascht, wie voll der Saal um 14 Uhr ist. Noch überraschter bin ich, wie gross die Alterspanne ist. Wenig überrascht bin ich, das ein Grossteil des Publikums weiblich ist (trotzdem sind auch einige Männer im Publikum).

Sex und Kapitalismus scheint wohl ein breites Publikum anzusprechen. Mich interessiert trotzdem, was all diese unterschiedlichen Menschen dazu bewegt hat, diese Veranstaltung zu besuchen. 

Werden dadurch anschliessend Gespräche mit Freunden und Bekannten zu dem Thema geführt? Ist es ein Weg sich selbst zu reflektieren und unsere Gesellschaft besser zu verstehen? 

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Dann, gegen Ende der Veranstaltung, diese Aussage. Ich bin schockiert! Eva Illouz kommt am Ende ihrer Lesung auf ein kontroverses Thema zu sprechen, nämlich J. K. Rowlings transphobe Aussagen der vergangenen Monate. J. K. Rowling, für die, die das nicht wissen, ist die Autorin der supererfolgreichen Harry Potter-Reihe.

Ich kann hier nicht den ganzen Streit um Rowlings problematische Aussagen über menstruierende Menschen nachzeichnen, aber setze zum Weiterlesen gerne diesen Link. In aller Kürze: J.K. Rowling hat in einem Tweet einen Artikel in einem Magazin kommentiert, der von «Menschen, die menstruieren» sprach. Rowlings Kritik zielte darauf ab, dass diese «Menschen, die menstruieren» nicht einfach als Frauen bezeichnet werden. Queerfeministische Stimmen warfen Rowling vor, Transmenschen mit dieser Sprachkritik unsichtbar zu machen. In den Sozialen Medien brach eine heftige Debatte los.

Eva Illouz sagt am Ende ihrer Lesung, sie sähe in der Aussage Rowlings keine transphobe Haltung. Das Publikum im Unionssaal sieht dies unkritisch und applaudiert lautstark.

Ich sehe die Aussage kritisch, sie hat mich, wie gesagt, schockiert...

Es ist ein unbefriedigender Abschuss der Veranstaltung mit Eva Illouz. Ich will das nicht so stehen lassen und gehe mit Illouz ins Gespräch. Ich erkläre ihr, warum ich es problematisch finde, Rowling als nicht transphob zu bezeichnen. Denn es gibt durchaus Personen, die menstruieren und sich nicht als Frau, sondern zum Beispiel als trans Mann oder nicht-binäre Person identifizieren. Illouz hört aufmerksam zu. Es ist ein gutes Gespräch.

Sie erklärt mir, dass sie die Fakten rund um den Fall nicht kannte, sich wirklich nur auf die Aussage bezog, dass der Begriff Frauen weiterhin verwendet werden soll. Wir haben uns dann verabschiedet, aber Illouz kommt später sogar nochmals auf mich im Foyer des Volkshauses zu. Sie bedankt sich für den Hinweis und das Gespräch. Sie sagt, sie wolle sich besser informieren und in Zukunft Rowling und Aussagen dergleichen aus ihren Auftritten auslassen.


Ich freue mich über die Reaktion. Sie zeigt mir, dass selbst Star-Autor*innen, nicht perfekt sind und ich bin froh, mit ihr in den Dialog gegangen zu sein.


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Die Buch Basel findet natürlich auch in den Sozialen Netzwerken statt.

Hippel di hoppel

Hippel di hoppel

Unser Fauli hüpft leichtfüssig durch die Buch Basel – wie ein Reh durchs Hörnli. In Bajour-Söckli.

Gibt's hier!

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