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«In Gottes Namen, wir wollen doch nicht das Kreuz vom Hörnli verbannen»

Die Friedhofsverwaltung des Hörnli überlegt, konfessionsneutrale Abdankungshallen einzurichten, Pratteln auch. Für die Riehener SVP ein Zeichen für die «Verdrängung der christlichen Kultur». Was sagen Gläubige dazu?

02/02/22, 04:00 AM

Aktualisiert 02/02/22, 03:13 AM

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Nicht in Gefahr: die Kreuze auf dem Friedhof Hörnli.

Nicht in Gefahr: die Kreuze auf dem Friedhof Hörnli. (Foto: Keystone / Georgios Kefalas)

Die SVP Riehen ist ganz aufgeregt. Sie habe vernommen, dass Kreuze und andere christliche Symbole aus Rücksicht auf Nicht-Christ*innen mittel- und langfristig vom Friedhof Hörnli entfernt würden. «Gegen diese Verdrängung der christlichen Kultur auf dem Friedhof Hörnli» hat die Partei eine Petition lanciert. Der Grund: Der Friedhof Hörnli soll saniert werden, jetzt überlegt sich die Friedhofsverwaltung, die Räumlichkeiten konfessionslos zu gestalten, damit sie für Menschen aller Glaubensrichtungen geeignet sind, auch für Konfessionslose.

Der SVP macht das Sorgen. Doch was halten Gläubige davon?

Freitag, 13:15 Uhr im Kleinbasel. Gläubige verlassen die Kasernenmoschee über die Wendeltreppe. Wir sind hier, um mit Muslim*innen über Friedhöfe und christliche Symbole zu reden. Fallen wir also grad mit dem Kreuz ins Haus und fragen einen Mann: Stört es Sie, dass auf dem Friedhof Hörnli ein Bild Christi oder ein Kreuz in der Kapelle hängt? 

«Sicher nicht. Das Kreuz darf hängen», sagt Engin Kantar. Er ist mittleren Alters und erzählt, dass er ursprünglich aus Zentralanatolien stammt. Er nimmt den Friedhof Hörnli als christlichen Bestattungsort wahr. «Die christlichen Gläubigen akzeptieren uns, und wir akzeptieren sie auch.» Aber, wenn es die Möglichkeit gäbe, einen neutralen Raum zu nutzen, fände er das okay. 

Adnan Catal, 42, ist ähnlicher Meinung. «Man muss tolerant sein», sagt der Schweizer mit türkischen Wurzeln. «Ideal ist’s zwar nicht, wenn dort ein Kreuz hängt. Aber wenn es keine Alternativen gibt, dann ist es so wie’s ist.» Eher stört er sich an der Tatsache, dass auf dem Friedhof keine ewige Grabesruhe gewährleistet werden kann. Nach 20 Jahren können Gräber gemäss Bestattungsgesetz geräumt werden. Wenn der Tag komme, will sich Catal deshalb in der Türkei begraben lassen.

Kurzkommentar

Kurzkommentar

von Andrea Fopp


Zuerst einmal: Ich glaube nicht, dass Jesus mich erlöst. Trotzdem wünsche ich mir weiterhin christliche Symbole in meinem Alltag. Auch auf dem Friedhof. Denn ich bin getauft, mit dem Christentum aufgewachsen, meine Grosseltern haben sich in der Kirche engagiert. Das weckt Kindheitserinnerungen.

Irgendwie gehört das Christentum zu unserer Kultur dazu und wir würden etwas verlieren, wären alle Kreuze, Gemälde und so weiter weg. Nur: Das will ja niemand, wie die Friedhofsverwaltung vom Hörnli selbst sagt. Es geht darum, die Kapellen und so weiter so gestalten, dass man Gemälde oder Symbole von Muslim*innen, Jüd*innen wie Christ*innen bei Bedarf auf- oder abhängen kann.

Die SVP übertreibt also, wenn sie schreibt, es gebe offenbar «Bestrebungen die Kapellen umzubenennen und alles zu entfernen, was auch nur im Geringsten an den christlichen Glauben erinnert». Ihren Grundreflex kann ich nachvollziehen. Die Petition aber nicht: Auch wenn man die eigene (christliche) Kultur pflegt und hegt, kann man ja trotzdem anderen Kulturen ebenfalls die Möglichkeit geben, ihre zu leben.

Foto: Wsieber / Wikimedia Commons

«Es gibt keine Probleme mit den religiösen Symbolen auf dem Friedhof Hörnli», sagt auch Mohammed Tas, Imam und Vereinspräsident der Kasernenmoschee. «Für uns wäre es besser, wenn es im Raum, wo wir beten, kein Kreuz und keine Bilder hat.» Aber nicht, weil christliche Symbole stören, «sondern weil wir uns beim Gebet nur auf Gott konzentrieren müssen» Und das sei am einfachsten, «wenn an der Wand nichts hängt». Muslim*innen richten sich beim Beten nach Mekka aus. Wenn also an einer Wand, die sich nicht direkt in ihrem Sichtfeld befindet, ein Kreuz hängt, wäre das zumindest für Tas kein Thema.

Und sowieso: Nach der rituellen Waschung der*des Verstorbenen wird zwar in Gemeinschaft ein Gebet gesprochen, aber das finde im Normalfall draussen statt, erklärt der Imam. «Abdankungsräume brauchen wir vor allem, wenn das Wetter sehr schlecht ist.» 

Wichtiger wäre aus seiner Sicht eine Verbesserung der Raumsituation für die Waschung der Verstorbenen. Es gibt auf dem Hörnli bisher nur einen Raum und der werde relativ häufig und von verschiedenen Religionsgemeinschaften genutzt, die dazu auch unterschiedliches Equipment brauchen. «Mehr Platz, vielleicht ein zusätzlicher Raum oder so, wäre besser», sagt Tas.

Der Lauf der Dinge

So viel zu den Muslim*innen. Was ist mit den Christ*innen?

Sonntagmorgen, Petersplatz. Der evangelisch-reformierte Gottesdienst ist gerade zu Ende gegangen, die Gläubigen kommen durch das grosse Portal ins Freie. Wir wollen wissen: Wäre es denn für sie schlimm, würden christliche Symbole aus den Abdankungsräumen verschwinden? 

Gabrielle Chiarello wünscht sich einen «gut schweizerischen Kompromiss» bei der Gestaltung der Abdankungsräume. Also zum Beispiel die Hälfte der Räume mit christlichen Symbolen, die andere Hälfte ohne. Sie könne sich aber auch vorstellen, dass grundsätzlich alle Räume neutral gestaltet seien und dann Christ*innen je nach Bedürfnis ein Kreuz aufhängen könnten. «Ich will meinen Glauben niemandem aufdrängen.» 

Es gäbe ja mittlerweile sogar Kirchengebäude, die nicht mehr religiös genutzt werden, sagt sie. Jüngstes Beispiel: die Pauluskirche. «Das ist halt der Lauf der Dinge und das wird auch weiter so sein. Vielleicht ist’s auch gut, wenn wir uns nicht an Äusserlichkeiten aufhängen.» 

Auch Christine Sedano schlägt eine fifty-fifty Lösung vor. «Dann kann jemand, der selber gestalten will, das auch tun.» Geht es nach Sedano sollen aber nicht alle Räume neutral sein. «In der Hälfte der Räume sollen christliche Symbole hängen, das finde ich wichtig.»

«Ich will meinen Glauben niemandem aufdrängen.» 

Kirchengängerin Gabrielle Chiarello

Christian Fröscher, ebenfalls Christ, ist anderer Meinung: «Es hat ja auf dem Hörnli schon einen neutralen Raum, das reicht», findet er. «Der Rest soll genau so bleiben, wie er ist.» Er habe die Petition der SVP unterschrieben und weiterverbreitet. Basel sei eine primär christliche Stadt und das solle auch auf dem Friedhof sichtbar bleiben, so seine Meinung. 

Mehr als die Hälfte sind konfessionslos

Anja Bandi beschwichtigt: «Man meint jetzt, alle Kreuze sollen abgeräumt werden. In Gotts Name, wir wollen doch nicht das Christentum vom Friedhof verbannen, auf keinen Fall.» Anja Bandi ist Leiterin des Friedhofs Hörnli. Zusammen mit der Koordination für Religionsfragen in Basel-Stadt hat die Friedhofsverwaltung letztes Jahr angesichts der bevorstehenden Sanierung einen erweiterten Runden Tisch der Religionen einberufen. Ziel sei, früh genug die verschiedenen Bedürfnisse abzuholen, sagt Bandi, «damit wir nicht an den Wünschen der Nutzer*innen vorbei sanieren». Die BaZ hat darüber berichtet und die Diskussion angestossen.

Anja Bandi: «Unser grosses Ziel ist es, den Leuten zu helfen, möglichst gut durch die absolute Ausnahmesituation eines Trauerprozesses zu kommen.»

Anja Bandi: «Unser grosses Ziel ist es, den Leuten zu helfen, möglichst gut durch die absolute Ausnahmesituation eines Trauerprozesses zu kommen.» (Foto: zVg)

Die Gestaltung der Abdankungsräume sei eines von vielen diskutierten Themen, sagt Bandi: «Wir bekommen immer wieder Anfragen, ob’s für Abdankungen auch religionsneutrale Räume auf dem Hörnli gibt». Die Gründe dahinter seien verschieden und keineswegs nur religiös. Es gebe zum Beispiel auch Leute, die die jetzigen Bilder zu schwermütig finden. «Unser grosses Ziel ist es, den Leuten zu helfen, möglichst gut durch die absolute Ausnahmesituation eines Trauerprozess zu kommen.» 

Weitere Themen bei den jetzigen Abklärungen sind Aufbahrungsräume, Grabarten und eben auch die Infrastruktur für die Waschungen. Auch wenn Tas und die befragten Männer bei der Kaserne nicht stellvertretend für alle Muslim*innen sprechen können, Friedhofsleiterin Bandi bestätigt: «Seit ich hier arbeite haben sich bei mir oder bei meinen Mitarbeitenden noch nie Muslim*innen über Kreuze beschwert.»

An den Runden Tisch wurden allerdings nicht nur Gläubige, sondern gezielt auch Konfessionslose vertreten. Laut der offiziellen Religionsstatistik gehört über die Hälfte der Basler Bevölkerung dazu.

In Pratteln kein Problem

Der Friedhof soll so gestaltet werden, wie’s für möglichst viele Personen stimmt, sagt Bandi. Zudem gebe es, wie Fröscher richtig feststellt, bereits heute einen Raum mit neutraler Gestaltungsmöglichkeit. Dies sei bereits in den frühen 90er-Jahren diskutiert worden, erklärt Bandi. Daraus resultiert ist das heutige Erscheinungsbild der Kapelle 1: «Es hat zwar ein Kreuz, das immer drin steht. Aber man kann es entfernen, auch kurzfristig.»

Allen Wünschen vollkommen zu entsprechen, wäre nicht realistisch, das weiss auch Bandi. «Wir können nicht für jede Religion und jede Weltanschauung etwas haben, das ist klar. Aber wir wollen eine gute Grundbasis bieten, die allen eine Gestaltung nach ihren Vorstellungen ermöglicht.»

Was in Riehen für Diskussionen sorgt, scheint in Pratteln kein Problem zu sein. Auf dem Friedhof Blözen werden die christlichen Symbole aus der Abdankungshalle entfernt oder zumindest mobil gemacht, so dass man sie, wenn gewünscht, wegstellen kann. Das haben die zuständige Friedhofskommission und die Gemeinde gemeinsam entschieden. Dieser Entscheid ist unumstritten.

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Transparenz-Hinweis:

Michelle Isler ist Praktikantin bei Bajour und arbeitet daneben bei der unabhängigen Informationsstelle INFOREL, Information Religion.

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