«Der Vorfall überrascht leider nicht»

Seit dem 7. Oktober 2023 steigen die Zahlen antimuslimischer und antisemitischer Vorfälle in der Schweiz. Der abgetrennte Schweinekopf, der Ende August vor einer Basler Moschee gefunden wurde, ist Höhepunkt der Anfeindungen, die Muslime auch in Basel in ihrem Alltag erleben.

Moschee Schönaustrasse Basel
Vor dieser Basler Moschee wurde ein Schweinekopf gefunden. (Bild: Valerie Wendenburg)

Die muslimische Gemeinschaft in Basel ist alarmiert. Der Schweinekopf vor der Tür der Paqja-Moschee in der Schönaustrasse ist eine antimuslimische Tat mit klarer Botschaft, die so viel heisst wie: «Verschwindet von hier». Dieser Ansicht ist Yavuz Tasoglu, Vorstand der Basler Muslimkommission.

Yavuz Tasoglu
«Viele muslimische Menschen in Basel sind einem Alltagsrassismus ausgesetzt, der zu wenig wahrgenommen wird.»
Yavuz Tasoglu, Vorstand der Basler Muslimkommission

Er sagt zu Bajour, der Schweinekopf vor der Moschee sei definitiv nur eine von vielen Anfeindungen: «Diese Tat erregt nun grosse Aufmerksamkeit. Viele muslimische Menschen in Basel sind aber einem Alltagsrassismus ausgesetzt, der zu wenig wahrgenommen wird.» Muslim*innen, die ihre Religiosität sichtbar machen, würden in Basel immer wieder verbal angegriffen, sagt er. «Bedenklich ist, dass viele sich daran gewöhnen und diese Fälle von Alltagsrassismus gar nicht gemeldet werden.» Dies sei seit Jahren der Fall, seit dem 7. Oktober sei die Stimmung aber rauer geworden.

Aida Badeen
«Ich höre immer wieder Geschichten von Alltagsrassismus.»
Aida Badeen, Palästinenserin in Basel

Von antimuslimischem Rassismus in Basel weiss auch die Palästinenserin Aida Badeen, die seit mehr als 50 Jahren in Basel lebt. Sie selbst ist Christin und hat christliche wie auch muslimische Freund*innen. Sie sagt: «Bekannte von mir, die ein Kopftuch tragen, werden auf der Strasse angesprochen und gefragt, was sie überhaupt in der Schweiz machen und warum sie nicht wieder nach Hause gehen.» Angezeigt oder der Polizei gemeldet werden Vorfälle wie diese meist nicht. Das Phänomen ist ihrer Meinung nach nicht neu, tritt aber seit dem 7. Oktober verstärkt auf. «Ich höre immer wieder solche Geschichten von Alltagsrassismus.» Badeen selbst fühlt sich ohne die Sorge über ihre Heimat wohl in der Schweiz. Es belastet sie jedoch, dass sie seit dem 7. Oktober immer wieder auf den Angriff der Hamas angesprochen wird und Stellung beziehen muss. «Das ist sehr unangenehm», sagt sie.

Rooven Brucker
«Aktuelle Zahlen über antimuslimische Vorfälle in Basel gibt es nicht.»
Rooven Brucker, Mediensprecher vom Justiz- und Sicherheitsdepartement

Aktuelle Zahlen über antimuslimische Vorfälle in Basel gibt es nicht. Wie Rooven Brucker, Mediensprecher vom Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt sagt, werden diese Straftaten derzeit noch nicht systematisch erfasst. «Die Kantonspolizei Basel-Stadt verfügt jedoch über eine dedizierte Ansprechperson für die muslimische Gemeinschaft in Basel und steht in engem Kontakt mit Vereinen, Moscheen und Interessengemeinschaften.» Die genannte Ansprechperson erkenne zwar Tendenzen, es werde aber noch keine Statistik geführt. Brucker verweist im Gespräch mit Bajour auch darauf, dass es nach wie vor eine Dunkelziffer gibt, da einige Vorfälle gar nicht gemeldet würden.  

Asmaa Dehbi
«Es wird nicht genug gegen antimuslimischen Rassismus getan.»
Asmaa Dehbi. Diplomassistentin am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft an der Uni Freiburg

Fakt ist aber: Der muslimische Rassismus ist seit dem 7. Oktober angestiegen. Wie die Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) aufzeigt, wurden im Jahr 2023 rund 24 Prozent mehr rassistische und antisemitische Vorfälle gemeldet als im Vorjahr. Den Grund dafür sieht die EKR im Nahostkonflikt. Asmaa Dehbi, Diplomassistentin am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft an der Uni Freiburg, verweist auf eine Studie zur Schweiz und dem Nahostkonflikt. Darin geben 44 Prozent der Befragten an, negative oder sehr negative Gefühle gegenüber Muslim*innen zu haben. Auf die Frage, wie Muslim*innen diese Vorbehalte im Alltag zu spüren bekommen, sagt sie: «Die meisten rassistischen Vorfälle ereigneten sich im Bildungsbereich, am Arbeitsplatz sowie im öffentlichen Raum.»

Verfschärfte Debatten

Spezifisch für den antimuslimischen Rassismus würden hinsichtlich der Art der Vorfälle jedoch keine Angaben vorliegen. Aus ihrer Sicht aber wird der antimuslimische Rassismus in der Schweiz nicht ausreichend wahrgenommen. «Es wird auch nicht genug dagegen getan», sagt Dehbi. «Einerseits ist das Bewusstsein für die Existenz von antimuslimischem Rassismus gestiegen. Diese zunehmende Sensibilisierung habe zu einer differenzierteren Auseinandersetzung geführt, weil die Vielfalt der Rassismuserfahrungen von Muslim”innen in den Blick genommen würde. 

«Andererseits haben sich die politischen und medialen Debatten verschärft. Sie sind komplexer und polarisierter geworden. Während in einigen Kreisen die Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus gefordert wird, gibt es gleichzeitig populistische Bewegungen, die antimuslimischen Rassismus dafür nutzen, um politisch zu mobilisieren», merkt Dehbi an. 

Mustafa Nasar
«Die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten prägen unsere Gesellschaft stark.»
Mustafa Nasar, Assistent am Seminar für Nahoststudien an der Uni Basel

Auf den Schweinekopf vor der Basler Moschee angesprochen betont Mustafa Nasar, Assistent am Seminar für Nahoststudien an der Uni Basel, dass der Fall erst abschliessend beurteilt werden könne, wenn die Täterschaft ermittelt sei. «Der Vorfall an sich überrascht mich aufgrund der aktuellen Stimmung aber leider nicht», sagt Nasar. Er verweist darauf, dass es seit «9/11» immer wieder verschiedene Phasen von Muslimfeindlichkeit in auch in der Schweiz gegeben habe und das Phänomen an sich daher gar nicht neu sei. «Positiv ist, dass heutzutage mehr darüber gesprochen wird und daher auch mehr Vorfälle gemeldet werden.» 

Muslimische Minderheit

Klar ist für ihn, dass die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten unsere Gesellschaft stark prägen, weil sie intensiv diskutiert werden. Aber auch das sei nicht immer möglich: «Das Thema bewegt hier viele Menschen in unterschiedlichen Bereichen. Wir haben auch im Zuge der Uni-Besetzungen in Basel gesehen, dass sich Akademiker*innen gerne zum Nahostkonflikt positionieren würden, aber Angst vor Repressalien haben.»

Wichtig ist Nasar zu erwähnen, dass die muslimische Gemeinschaft weltweit extrem vielfältig ist. In der Schweiz bildet die Albanisch sprechende Gemeinschaft die grösste muslimische Gruppe. Sie ist aber innerhalb der Muslime weltweit eine kleine Minderheit. «Diese südosteuropäische Gemeinschaft hat historisch gesehen mit dem Nahost-Konflikt nichts zu tun. Ebenso wie auch Jüdinnen und Juden müssen sie sich aber nun für die Geschehnisse im Nahen Osten rechtfertigen und Anfeindungen erleben, was absurd ist.»

Meldestelle in Basel

Bist du von antimuslimischem Rassismus betroffen? Dann kannst du dich an das Netzwerk Antirassismus in Basel wenden. Dabei handelt es sich um ein Pilotprojekt im Kanton Basel-Stadt, welches Betroffene rassistischer Diskriminierung zur Seite steht und sie gezielter und nachhaltiger erreichen möchte. 

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Valerie Wendenburg

Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Senior-Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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