Wir brauchen einen Unterricht, der alle Weltreligionen thematisiert
Am Karfreitag beginnt der Feiertagsreigen, der sich – für Christ*innen – bis Pfingsten hinzieht. Warum frei ist und wie andere Religionen es halten, ist gerade Kindern oft gar nicht bewusst. Dabei ist ein Grundwissen über verschiedene Religionen essenziell. Ein Kommentar.
An den Feiertagen rund um Ostern komme ich immer ganz schön durcheinander. Ich bin evangelisch-lutherisch aufgewachsen, mein Mann und meine Kinder sind katholisch, beruflich arbeite ich auch für tachles, das Jüdische Wochenmagazin der Schweiz. Welche Feiertage gelten also für mich? Und warum werden sie gefeiert?
Ich würde mich selbst nicht als gläubig bezeichnen, komme aber in meinem Alltag mit verschiedenen Religionen in Berührung. So ist es für mich normal, am Ostermontag und an Auffahrt zu arbeiten, während mein christliches Umfeld bunte Eier sucht oder den Banntag feiert. Dafür habe ich oft an Pessach frei, was meine Grossfamilie skeptisch beäugt. Wer sitzt Ostern schon am Computer und fährt an jüdischen Feiertagen (ebenso wie Dutzende Jüd*innen aus Basel übrigens) in den Europapark, weil es dort dann recht leer ist und man an den Bahnen nicht anstehen muss?
Auf Ostern freuen sich meine Kinder vor allem, weil sie nicht in die Schule und Uni müssen – aber ist ihnen überhaupt bewusst, weshalb?
Ist es noch zeitgemäss, Religionsunterricht seitens der Kirche zu unterrichten?
Meine Tochter geht in die 4. Klasse der Primarschule, sie wird einmal pro Woche von einer Lehrperson der Kirche eine Stunde im Fach Religion unterrichtet. Was sie dort lernt, wird mir als Mutter nicht vermittelt, das Fach zählt nicht zum Lehrplan21. Der kirchliche Unterricht ist freiwillig, ich möchte, dass meine Tochter daran teilnimmt – in der Hoffnung, dass sie ein Grundwissen auch über die verschiedenen Religionen vermittelt bekommt. Aber ich bin skeptisch.
Meine Söhne haben sich erst mit dem Ramadan beschäftigt, als während der Champions League muslimische Fussballer auf dem Platz einliefen, die seit Stunden weder gegessen noch getrunken hatten. Jüdische Feiertage kennen meine Kinder durch Chanukka-Parties bei jüdischen Freund*innen. Sollte es in Anbetracht der verschiedenen Religionen, die in der Schweiz leben, nicht im Lehrplan festgehalten werden, dass den Kindern im Religionsunterricht wichtige Grundlagen aller Weltreligionen vermittelt werden? Ist es noch zeitgemäss, Religionsunterricht seitens der Kirche zu unterrichten?
Es wird klar, dass es in Anbetracht der Weltlage notwendig ist, Gemeinsamkeiten der verschiedenen Religionen zu vermitteln.
Dass es wichtig ist, christliche Werte wie auch Wissen über andere Religionen zu lehren, ist ein Ergebnis unserer Frage des Tages, die wir am Montag gestellt haben: «Müssen wir den kirchlichen Religionsunterricht überdenken?» wollten wir von den Bajour-Leser*innen wissen. Die Mehrheit der mehr als 1100 Personen, die abgestimmt haben, spricht sich dafür aus, den kirchlichen Religionsunterricht ganz abzuschaffen (51 Prozent). 30 Prozent finden, er müsse überdacht werden.
Nur 19 Prozent finden ihn gut, so wie er ist. In der sehr interessanten Diskussion zum Thema wird klar, dass es in Anbetracht der Weltlage notwendig ist, Gemeinsamkeiten der verschiedenen Religionen zu vermitteln. Geht es nach der Bajour-Community, solle der Unterricht aber eben nicht von kirchlichen Vertreter*innen verantwortet werden, sondern von regulären Lehrpersonen.
Im Gegensatz zum staatlich verantworteten und obligatorischen Unterricht über Religionen ist der kirchliche Religionsunterricht freiwillig. Hier macht jeder Kanton sein eigenes Ding. Das wird kritisiert. Expert*innen sehen darin auch einen Grund für den Fachkräftemangel, der derzeit bei den Religionslehrer*innen im Baselbiet herrscht.
Aktuell wird Religion neben dem kirchlichen Unterricht in der Primarschule nach Lehrplan im Fach NMG (Natur, Mensch und Gesellschaft) vermittelt. Das heisst, Religion ist im Lehrplan21 nicht als eigenständiges Fach vorgesehen und läuft neben Themen wie Dinosauriern, der Steinzeit, Waldtieren und dem menschlichen Körper «unter ferner liefen». Leserin Esther schreibt in ihrem Kommentar: «Wir haben damals alle Weltreligionen - notabene bei einem Priester - kennengelernt und so Weltoffenheit und Toleranz gelernt!» Und sie fragt: «Wer soll Kunstwerke aus dem mittelalterlichen Europa lesen können ohne das Wissen der Grundlagen?» Sie appelliert daran, das Fach Religion unbedingt in den Lehrplan zu integrieren.
Und Leserin Samira schreibt, Religion sei in der heutigen Zeit ein grosses Thema und oft auch ein Grund für Krieg: «Ich würde den Religionsunterricht öffnen und ihn nicht nur auf die Christen auslegen. Wir brauchen einen Unterricht, der alle Weltreligionen thematisiert.» Sie hat meiner Ansicht nach recht.
Wissen über Religionen und verschiedene Kulturen zu vermitteln, ist wichtiger denn je.
Schauen wir uns um: Viele Konflikte in der Welt sind religiös motiviert. Um weltpolitische Ereignisse nachvollziehen zu können, ist ein Grundwissen über Religionen essentiell. Der Religionsunterricht soll nicht darauf ausgelegt sein, Kinder zu gläubigen Menschen zu erziehen, es soll vielmehr darum gehen, den Kindern ebenjenes Grundwissen mit auf den Weg zu geben. Damit sie die Beweggründe der Menschen anderer Religionen nachvollziehen können. Bildung bietet auch die grosse Chance, Gemeinsamkeiten zu erkennen.
Wenn allerdings die Kirche zum Religionsunterricht einlädt, wird nicht-christlichen Kindern automatisch suggeriert, nicht wirklich dazuzugehören. Oftmals nehmen sie gar nicht erst teil. Wenn der Religionsunterricht aber als eigenes Fach in den Lehrplan integriert und von Lehrer*innen unterrichtet würde, wäre der Unterricht wertfrei und neutral. Denn Wissen über Religionen und verschiedene Kulturen zu vermitteln, ist wichtiger denn je.
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