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Re(h)gulierung

Wegen diesen Pflänzli soll Bambi sterben

Das Hörnli-Wild macht bekanntlich aus Grabblumen Gehacktes. Deswegen steht ihr Abschuss schon länger zur Debatte. Wir wollten wissen: Sind die Pflanzen dieses Opfer wert? Ein Ausflug in die friedhofsche Flora und Fauna.

06/23/20, 04:48 AM

Aktualisiert 05/25/22, 09:26 AM

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Das Heckenmassaker (Auf dem Bild ist nicht der Täter zu sehen.)

Das Heckenmassaker (Auf dem Bild ist nicht der Täter zu sehen.) (Foto: Christophe Schneider)

Die Rehli sind ein ewiges Thema, dieser Text schon fast zwei Jahre alt. Weil die Bambis die Gemüter immer noch bewegen, schalten wir diesen nicht ganz ernst gemeinten Text wieder auf.

Eiben, die aussehen wie abgeputzte Reisigbesen. Gerupfte Hecken und geköpfte Lilien, Stiefmütterchen oder Rosen: So sieht der Friedhof Hörnli aus, wenn die Rehe drüber sind. Doch nicht jedes Pflänzchen ist dem Reh gut genug: Grüne Efeuteppiche und Gräser vertilgt es zwar mit Genuss. Und auch frische Blumen munden ihm sehr – manchmal sind sie bereits wenige Stunden nach Abdankungen weg!

Doch wenn man sie mal braucht, die Rehe, dann lassen sie einen hängen: bei den Brombeeren, beispielsweise. Damit die wegkommen, borgt die Stadtgärtnerei jeweils extra eine Woche lang Schafe aus. Fazit: Auf wilde Tiere ist kein Verlass. Sie sind da, wohin sie nicht gehören und nehmen, ohne zu geben. Jeden Morgen muss die Stadtgärtnerei die tierischen Tatorte reinigen.

Das Reh ist auch nur ein animalis oeconomica

Das Reh ist halt auch nur ein animalis oeconomica: «Solange wir den Tieren immer wieder frische Pflanzen anbieten, werden sie kommen», sagt Patrick Göpfert von der Stadtgärtnerei. Und mit den bilateralen Verträgen klappt es punkto Rehkontingentierung auch nicht optimal: Vonseiten der Gemeinden Grenzach-Wyhlen, Basel, Riehen spüre der Friedhof Druck, weil diese von Rehen gemieden würden und hier aufgenommen werden müssten, sagt Goepfert. Das haben wir jetzt von dieser Tierfreizügigkeit. Das Paradies für die Auswärtigen (die Reh*innen), die Hölle für die Einheimischen (die Städter*innen).

Oben happy, unten crappy: Begonien vom Hörnli.

Oben happy, unten crappy: Begonien vom Hörnli. (Foto: Christophe Schneider)

Doch jetzt droht die Re(h)gulierung. O-Ton Stadtgärtner Patrick Göpfert: «Wir wollen Biodiversität. Wir wollen Wildtiere auf dem Friedhof. Wir sind stolz auf unsere Rehe. Wir sind stolz auf unsere Flora und Fauna. Aber: Es muss reguliert werden! Wir haben zu lange damit gewartet.» Einige Tiere sollen geschossen werden, so dass es nicht immer mehr werden. Typisch Leistungsgesellschaft, zuerst probiert man es mit Anreizen, dann mit Law and Order.

Es ist aber nicht so, dass es die Stadtgärtnerei nicht mit Kuschelpädagogik versucht hätte. Die Gärtner*innen sprühten etwa Blutmehl auf die Pflanzen, um die Rehe fernzuhalten. Beispielsweise auf junge Eiben – Böcke reiben gerne ihre Hörner daran (was für Machos, die sollen doch ihre eigenen Eiben reiben!). Doch der Regen spülte das Blutmehl weg und das grosse Fressen ging wieder los. Ein Teufelskreis.

Lieber Bajourbabys als Bambipfeffer?

Aber eigentlich hat das Hörnli doch genug Grün und der Kanton Basel-Stadt genug Geld für die morgendliche Tatortreinigung. Liegt es nicht in unserer Verantwortung, auch die Schwächsten in unserer Gesellschaft mitzutragen? Doch, finden Tierschützer*innen und zeigen Solidarität mit den Tieren. Mindestens 80’000 Unterschriften haben sie bereits gegen den Abschuss gesammelt – und konnten die Re(h)gulierung vorübergehend stoppen. 

Welches Horn hat sich an dieser Eibe gerieben?

Welches Horn hat sich an dieser Eibe gerieben? (Foto: Christophe Schneider)

Die Grabbesucher*innen dagegen sind gespalten, es zieht sich ein veritabler Rehpfeffergraben durch das Hörnli. Auf der einen Seite etwa ein Herr mit seinen zwei Söhnen. Er findet es schön, dass die Rehe auf den Friedhof kommen. Man solle sie «sein lassen». Auf der anderen ein älteres Paar aus dem Fricktal, das derartige Überpopulationen aus dem Aargau kennt und eine Regulierung sinnvoll findet. Laut Patrick Göpfert von der Stadtgärtnerei sind es vor allem regelmässige Besucher*innen, die sich an den Wildschäden stören.

Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Am 19. Juli entscheidet der Kanton Basel-Stadt, wie es weitergehen soll.

Hörnli-Facts: Wusstest du's?

1

14'000 Gräber

...müssen im Frühjahr bis Mitte Juli vier Tage die Woche (Mo-Do) allein aufgrund der Rehe kontrolliert werden. Zusätzlich zur wöchentlichen Kontrolle am Freitag.

2

4,5 Stunden täglich

...und zwar von 6.30 bis 11 Uhr sind bis Mitte Juli vier Mitarbeitende an vier Tagen die Woche damit beschäftigt, die Gräber allein aufgrund der Wildschäden zu kontrollieren.

3

3-4 Wochen

...brauchen Blumen auf den Gräbern, um festere Wurzeln zu schlagen. Werden sie vorher abgefressen, war alles umsonst und es müssen neue gepflanzt werden.

4

60'000 Pflanzen

...müssen im Frühjahr und Sommer speziell aufgrund der Rehe hinzugekauft werden. In Franken: 10'000 bis 12'000 Zusatzkosten für die Anschaffung allein, ohne Bepflanzung.

5

Auf 54 Hektar Friedhof

...bewegen sich aktuell 21 Rehe und sieben Kitze. Anzahl steigend. Zum Vergleich: Auf 100 Hektar Wald verteilen sich zehn bis zwölf Tiere: Dies wäre für die Stadtgärtnerei handhabbar.

6

1-3 Kitze

...sterben jährlich auf dem Friedhof eines natürlichen Todes. Vermutlich aufgrund der Überpopulation oder durch Stress wegen den Besucher*innen und den fehlenden Ausweichmöglichkeiten auf dem Friedhof.

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