Ist Jesus für den Klimaschutz, Frau Münsterpfarrerin?

Am 15. Mai lanciert ein breit aufgestelltes Komitee aus linken Politiker*innen und Menschen aus Wissenschaft und Kultur die Basler Klimagerechtigkeitsinitiative. Mit dabei ist auch Münsterpfarrerin Caroline Schröder Field. Wir haben mit ihr über Umweltschutz, Corona und den heiligen Geist geredet.

Münsterpfarrerin
Münsterpfarrerin Caroline Schröder Field glaubt, dass es christliche Pflicht ist, sich um die Umwelt zu kümmern. Foto: Adelina Gashi

Caroline Schröder Field, was macht eine Frau Gottes wie Sie im Komitee für die Klimagerechtigkeitsinitiative*

Vor einiger Zeit war ich auf einer Wanderung auf dem Aletsch-Gletscher. Der Bergführer zeigte uns, wie viel Eis in kürzester Zeit geschmolzen ist, es ist erschütternd. Zwar gehöre ich keiner Partei an, aber ich habe eine Verantwortung der Schöpfung gegenüber und kann mich nicht über sie erheben. Dazu gehört der Mensch, die Tiere, Pflanzen, der Planet, das Universum. Ich weiss, dass das nicht die Sprache der Politik ist, aber ich kann theologisch anknüpfen.

Wir stecken mitten in der Corona-Krise, viele Leute sind auf Kurzarbeit oder verlieren gar ihren Job. Ist das Klima angesichts der drohenden Rezession nicht zweitrangig?

Menschen werden oft von anderen Fragen bedrängt: Habe ich Arbeit? Reicht das Geld? Das kann man nicht klein machen. Trotzdem: Das Klima kann nicht zweitrangig sein. Die Zeit drängt, wir müssen den Point of no return verhindern! Mit allen Entscheiden, die man für die Wirtschaft und wegen des Lockdowns zu treffen hat, muss man mitbedenken, was das für das Klima heisst.

Aber den Klimawandel bremsen heisst den Konsum stoppen. Doch ohne Konsum kein Wachstum und ohne Wachstum keine Arbeitsplätze. Wie kommen wir aus diesem Dilemma?

Die Corona-Krise gibt auch Anlass, uns darauf zu besinnen, was wir wirklich brauchen. Nicht notwendigerweise durch Zwang, aber durch Selbstverantwortung. Dazu kommt, dass Klima-Massnahmen Menschen, die finanziell nicht so gut aufgestellt sind, nicht zusätzlich belasten dürfen. Meine Fantasie ist: Man streicht und baut an anderer Stelle etwas aus. Dadurch wird die Umwelt entlastet, weil es weniger Emissionen gibt, aber auch das Arbeitsleben, weil der mobilitätsbedingte Stress sinkt.

Das klingt gut. Aber was heisst das konkret – wo wollen Sie etwas streichen?

Man muss sich beispielsweise fragen, ob man in Zukunft vermehrt auf Nachtzüge setzt statt auf den Flugverkehr. Oder ob man Solarenergie statt Erdgas nutzt. Aber ich bin keine Expertin auf diesem Gebiet. Dafür haben wir Umweltwissenschaftler*innen und Politiker*innen im Komitee, die sich in diesen technischen Bereichen besser auskennen.

Bürgerliche Politiker*innen aus Basel-Stadt setzen in Umweltfragen, etwa im Verkehr, auf technologischen Wandel statt Verbote. Ist das besser?

Durch Corona haben wir erlebt, dass sehr viele Menschen ziemlich konform mit Verboten gelebt haben. Das lag auch daran, dass ihnen die Gefahr unmittelbar eingeleuchtet hat. Dann werden auch Verbote akzeptiert. Aber wenn die Gefahr nicht einleuchtet, machen Verbote natürlich keinen Sinn. 

«Früher hat man gemeint, der Mensch sei die Krone der Schöpfung. Aber die Krone der Schöpfung ist der Ruhetag, an dem sich alles erholen darf. Auch die Natur.»

von Caroline Schröder Field

Was bedeutet die Initiative konkret für das Leben der Basler*innen: Sollen alle Häuser in Basel in Zukunft Solarstrompanels auf ihren Dächern haben? Dürfen wir in Basel nicht mehr Autofahren? Oder nur noch mit Elektro-Autos?

Der Regierung und Politik wird mit der Initiative eine verbindliche Leitlinie vorgeben. Das kann heissen, dass bestimmte Dinge unerschwinglich werden. Es wird sicher auch Folgen für die Lebensgestaltung und für das Zusammenleben haben.  Aber was wäre die Alternative? Wir sind gefordert, massvolles Konsumieren zu lernen, damit zukünftige Generationen nicht auf alles verzichten müssen. Wir wollen verhindern,  dass die Situation in 30 Jahren unzumutbar wird, nur weil wir zu lange gewartet haben.

Glauben Sie, Jesus ist auf Ihrer Seite?

Jesu berühmteste Rede ist die Bergpredigt, in der er den Menschen eine neue Lebenshaltung zumutet. Dort spricht er von den Vögeln des Himmels, die nicht säen und nicht ernten und doch vom himmlischen Vater ernährt werden. Er spricht von der Sonne, die Gott über Gerechten und Ungerechten aufgehen lässt. So sehr er sich um Menschen kümmerte, hat er doch auch die Natur gesehen, hat mit ihr gelebt und in seinen Gleichnissen aus ihrem Reichtum geschöpft. Insofern glaube ich, dass ein Einstehen für unseren natürlichen Lebensraum durchaus im Sinne Jesu ist.

Sie glauben also, es ist christliche Pflicht, sich um die Natur zu kümmern. 

Ja. Im ersten Kapitel der Bibel, in der Schöpfungsgeschichte, bekommen die Menschen einen besonderen Auftrag. Sie sollen Sorge tragen für ihre Mitgeschöpfe. Früher hat man gemeint, dieser «Herrschaftsauftrag» sei ein Freibrief zur Ausbeutung. Früher hat man auch gemeint, der Mensch sei die «Krone der Schöpfung». Aber die Krone der Schöpfung ist der siebte Tag, der Sabbat – im Christentum der Sonntag: Der Ruhetag,  an dem sich alles erholen darf. Nicht nur der Mensch, sondern auch die Natur. Diese Erholung ist eine so aktuelle Botschaft!

Suchst du die Atheist*in in der Kirche?
Lass uns zweifeln.

Auch Exponent*innen der mächtigen Klimawandel-Leugnerfraktion in den USA würden sich als gläubig bezeichnen und glauben, Jesus auf Ihrer Seite zu haben.

Es gibt Leute, die der Bibel die Verheissung einer neuen Schöpfung entnehmen und daraus ableiten, die «alte» Schöpfung müsse vergehen.  Ja, es gibt apokalyptische Texte in der Bibel. Aber wenn ich in dieser Welt gut lebe, wie viele von uns es ja tun, wenn ich Familie habe, Zukunftspläne und so weiter, dann passt das Desinteresse an der gegenwärtigen Schöpfung einfach nicht dazu. Übrigens stosse ich mich an der Formulierung «Jesus auf seiner Seite zu haben».  

Weil Jesus für alle da ist?

Jesus ist auf allen Seiten. In dem Augenblick, wo wir versagen, ist er auch auf unserer. Aber nicht in dem Sinn, dass er sagt: «Alles was du machst und alles was du sagst, ist richtig». Er ist nicht der Gewährsmann unserer Überzeugungen.

Kommen sich Ihr Pfarramt und Ihr Engagement für die Initiative nicht in die Quere?

Das wird sich zeigen. Es ist meiner Ansicht nach von theologischem Wert, mit und vor anderen Menschen für die Schöpfung einzutreten, ihr Anwalt zu sein.  Deswegen denke ich, ist mein Engagement verträglich mit meinem Amt. 

Hand aufs Herz: Was nützt es, in Basel weniger Treibhausgase auszustossen, angesichts des globalen Klimaproblems?

Basel hat im Februar des letzten Jahres den Klimanotstand ausgerufen. Wenn das sinnvoll war, dann ist auch die Initiative sinnvoll. Wenn man den Sinn einer Handlung in Frage stellt, weil man sich selbst für zu klein hält, ist Resignation die Folge. Das kann ja wohl nicht die Alternative sein. Wenn es uns gelingt, hier klimapolitisch einen guten Weg zu finden und dabei die Bevölkerung mitzunehmen, kann Basel-Stadt im Vergleich zu anderen Städten eine Pionierrolle übernehmen. 

Fürchten Sie sich denn vor dem Klimawandel?

Nein. Dank der Klimajugend ist nach einer längeren Zeit der politischen Lethargie etwas im Aufbruch, was sich meiner Ansicht nach deutlich unterscheidet von allen Nationalismen und Rassismen. Es ist ein Herzschlag zu spüren, gemeinsame Werte und die Bereitschaft, sich dafür einzusetzen.

*Die Klimagerechtigkeitsinitiative: Klare Ziele, offene Massnahmen

Basel soll im Kampf gegen den Klimawandel mit gutem Beispiel vorangehen. Das will das Komitee der kantonalen Klimagerechtigkeitsinitiative. Ihre Forderung: Der Kanton soll dazu beitragen, dass sich das Klima gemäss Klimaabkommen von Paris nicht um mehr als 1.5 Grad Celsius aufheizt – andernfalls drohen globale Stürme, Hungersnöte und Migrationsströme. Der erste Schritt für Basel-Stadt gemäss Initiative: Die Treibhausgasemmissionen bis 2030 auf Netto Null bringen. Welche Massnahmen es im Detail braucht, lassen die Initiant*innen offen. Sie fordern «innovative» und «gerechte» Lösungen, welche nicht nur die bestrafen, die ohnehin schon finanziell und sozial schlechter gestellt seien.

Hinter dem Unterfangen stecken linke Politiker*innen, Gewerkschaften, Umweltwissenschaftler*innen und Leute aus der Kultur. Darunter sind der Grüne Grossrat Thomas Grossenbacher, Ex-Nationalrat Rudolf Rechsteiner (SP) oder BastA!-Nationalrätin Sibel Arslan, aber auch Parteilose wie die Architekt*innen Andreas Wenger oder Barbara Buser.

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