Drogensüchtige ja, aber nicht vor meiner Haustüre
Im Kleinbasel wird der öffentliche Raum immer kleiner. Doch Belebung darf nicht zur Verdrängung unerwünschter sozialer Gruppen führen, ohne dass Alternativen geschaffen werden, kommentiert Valerie Zaslawski.
Wenn man heute am Rheinuferweg entlangspaziert, kann man sich kaum mehr vorstellen, was sich hier vor 40 Jahren abgespielt hat: eine offene Drogenszene, die an die Zustände am Zürcher Platzspitz erinnerte, breitete sich aus. Verwahrloste Menschen spritzen sich Heroin und Süchtige handelten mit Kleinmengen an Drogen. Niemand, der nicht wirklich musste, ging hier lang. Das ist dieser Tage anders. Nachdem Basel in der Drogenpolitik während vieler Jahre als Pionierin glänzte und sich darüber hinaus auch die Wasserqualität des Rheins verbesserte, platzt die Promenade mit jedem Jahr mehr aus allen Nähten; der Fluss lädt zum Schwimmen ein und die vom Kanton ausgeschriebenen Buvetten reihen sich aneinander so weit das Auge reicht. Mit Tischen und Stühlen bis auf den letzten freien Zentimeter (den Corona-Massnahmen sei Dank) laden sie am Uferweg zum Verweilen ein. Niemand möchte die alten Zeiten zurück, aber die neuen bringen auch ihre Herausforderungen mit sich – Platzangst ist dabei die harmloseste.
So geht es mit dem Konzept der Belebung des öffentlichen Raums auch immer um soziale Kontrolle. Das mag durchaus sinnvoll sein, denn wo sich viele Menschen aufhalten, passiert in der Regel weniger. Grundsätzlich gibt es wenig Grund, über die Mediterranisierung in Basel mit seiner lebhaften Riviera zu klagen; mehr südliche Leichtigkeit täte uns allen gut. Doch das Ganze hat (mindestens) einen Haken: So scheint mit dem letzten zugestellten Rasenstück auch die Erinnerung zu schwinden, dass es zwischen damals und heute auch mal ohne Tische und Stühle schön war, zum Beispiel an der legendären Florabeach. Auch wenn man die Buvetten nicht missen will: Es ist eine Tatsache, dass es in dieser Stadt immer weniger Orte gibt, an denen man einfach sein kann, an denen man nicht dazu verleitet wird, den Durst oder Hunger für (viel) Geld zu stillen.
Zuletzt schafften es besorgte Boulespieler*innen am Rheinufer in die Schlagzeilen, weil sie Angst haben, von der geplanten Kaserne-Gelateria verdrängt zu werden: Sie befürchten eine Beschränkung ihres sozialen Treffpunkts. Aber auch der Keck-Kiosk weiter oben an der Klybeckstrasse am Eingang zum Kasernenareal, der nun von der Parterre Gruppe betrieben wird, sorgt für rote Köpfe, weil Musiker*innen, die dort früher Konzerte spielten, sich durch den Lebensmittelshop (und Infopoint) verdrängt fühlen. Auch er soll gemäss den Betreiber*innen der sozialen Kontrolle dienen.
Drum sei die Frage erlaubt, wie viel öffentlichen Raum man den Menschen noch wegnehmen will? Kommt hinzu, dass immer weniger Menschen im öffentlichen Raum willkommen scheinen. Oder anders gesagt: Seit nun zwei Jahren sucht man im Kleinbasel nach Lösungen, um der Drogenproblematik Herr zu werden. Dabei beteuern alle, sich um ein Miteinander zu bemühen. Es ist einfach zu behaupten, der öffentliche Raum sei für alle da. Und auch Süchtige hätten hier Platz. Vor der Haustür haben will sie dann aber niemand. Dasselbe gilt für die Jugendlichen, die sich nachts neuerdings auf dem Matthäusplatz rumtreiben sollen.
Wo, bitte, sollen sie denn hin? Oder anders gefragt: Wie erreicht man denn so ein Miteinander? Oder zumindest ein einigermassen friedliches Nebeneinander?
Es ist höchste Zeit, Angebote und Perspektiven auch oder gerade für junge Menschen im Kleinbasel zu schaffen. Anita Treml, Präsidentin der Interessengemeinschaft Kleinbasel (IGK) hat im Interview mit Bajour beklagt, dass beispielsweise der Kasernenplatz nicht belebt genug sei, dabei habe die Messe nun während der Art erst gerade wieder gezeigt, wie Belebung gehe. Treml könnte sich hier eine mobile Skater-Ecke oder gar ein Fussball-Feld vorstellen, irgendwas, was der Jugend Freude macht und sie davon abhält, im Wohnquartier Feuer zu legen.
Und was die Drogensüchtigen betrifft: Hier hat man am Hafen mit der blauen Paula ein lobenswertes Gartenprojekt gegen Stigmatisierung ins Leben gerufen. Auch auf der Dreirosenanlage hat man jetzt, da der Rheintunnel vorerst nicht kommt – für ihn wäre ein gemeinsamen Ort draufgegangen (Ersatzflächen hin oder her) – vorbildlich gezeigt, dass ein Mit- oder eben Nebeneinander nicht immer Verdrängung bedeuten muss. So wurden neue Bänkli geschaffen, nachdem andere abgebaut wurden, weit weg vom Spielplatz, wo die Kinder sich aufhalten, um vulnerable Gruppen zu schützen – und gleichzeitig Drogensüchtigen die Möglichkeit zu geben, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten. Bleibt zu hoffen, dass die Sitzgelegenheiten auch Verwendung finden. So oder so aber gilt: Bitte mehr Experimentierfreude!
Denn: Man kann den Menschen nicht immer nur Möglichkeiten nehmen, man muss ihnen auch neue geben – und zwar an jenen Orten, die vielleicht nicht ganz so sensibel sind wie ein Spielplatz, aber sich auch nicht irgendwo in der Pampa befinden. Ein Mit- und Nebeneinander heisst, auch mal Kompromisse einzugehen und sich dafür in den Hintern zu zwicken. Am Ende ist der Grat zwischen Belebung und Verdrängung schmal. Und auch wenn es manchmal zu leicht dahingesagt wird, ist es wahr: Der öffentliche Raum gehört allen – und er darf nicht immer kleiner werden. Die Gesellschaft trägt eine Verantwortung, darin auch den sozial Schwächeren ihren Platz zuzugestehen.
In Basel bereiten sich Fachleute und Quartiere auf eine mögliche Ausbreitung von Fentanyl und anderer synthetischer Opioide vor; in dem vom Drogenproblem besonders betroffenen Kleinbasel ist man auf der Hut. Die neue Arbeitsgruppe «synthetische Opioide» betreibt im Kanton ein Drogen-Monitoring und befasst sich mit Behandlungsformen – auch, um den öffentlichen Raum im Falle einer Opioid-Krise zu entlasten. Denn: Zustände wie in den USA, wo Fentanyl-Tote in den Strassen liegen, will hier niemand. Wenn wir davon ausgehen, dass Wohnen zentral ist, um Stabilität zu erreichen, ist dies ein Faktor um eine offene Szene zu vermeiden. An unserem nächsten Drogenstammtisch, den Bajour gemeinsam mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel organisiert, fragen wir: Wie unterstützt das Gesundheitsdepartement die Institutionen im Wohnbereich bei Konflikten in der Nachbarschaft? Und: Ist das Gesundheitsdepartement für eine allfällige Opioid-Krise gewappnet?
Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht nötig.
Dienstag, 23.9.2025 19-20.30 Uhr Rheinfelderhof Hammerstrasse 61 4058 Basel
Moderation: Martina Rutschmann