Schluss Strich?

Das Sex-Gewerbe steht vor einem Strukturwandel. Zeit für moralbelfreite Ansätze und kantonale Hausaufgaben, findet die Co-Leiterin des Stadtteilsekretariats Kleinbasel, Theres Wernli, im Interview.

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Theres Wernli kennt Kleinbasel wie ihre Westentasche und ist ständig im Austausch mit den Menschen in den Quartieren.

Theres Wernli, an der Weber- und der Ochsengasse gehen die roten Lichter aus. Bordelle weichen schicken Wohnungen und Restaurants. Vertreibt Basel gerade die Prostituierten? 

Nein, so sehe ich das nicht. Natürlich – durch die veränderte Nutzung gewisser Liegenschaften konzentriert sich die Toleranzzone momentan in der Webergasse. Früher hat es sich breiter verteilt – in der Bermudabar, im Roten Kater, dort, wo heute der Rote Bär ist. Aber es handelt sich nach wie vor um eine eingetragene Strichzone, die sich seit den 70er-Jahren hält. 

… und jetzt von schicken Restaurants verdrängt wird?

Es liegt an den Hausbesitzern, an wen sie ihre Liegenschaften vermieten. Wenn sich jemand dazu entscheidet, dass ein Bordell in Zukunft einer Beiz weichen muss, dann ist das nun mal so. Ich würde aber eher von einer veränderten Nachfrage sprechen, als von Verdrängung. 

Veränderte Nachfrage – wie meinen Sie das? 

Die goldenen 90er-Jahre, in denen Frauen im Sexgewerbe viel Geld machen konnten, in denen Bordelle zum Nachtleben und Ausgang dazu gehört haben, sind vorbei. Das Angebot ist breiter geworden: Escortservice, Callgirls bis hin zu digitalen Formen der Sexarbeit und zu Tinder. Der Strassenstrich ist eigentlich etwas «Altmodisches», vielleicht ein Auslaufmodell. Gleichzeitig hat sich das gesellschaftliche Verhältnis zu Sex deutlich enttabuisiert und entkrampft. Soziale Medien vereinfachen den Sextourismus ins Ausland wie im Inland.

«Die Sexarbeiterinnen müssen heute vier bis fünf Kunden bedienen, nur um ihre Mieten zu bezahlen.»

Was ist mit der zweiten eingetragenen Strichzone auf dem Wolf? Was läuft dort schief?

Die Kunden fehlen. Deswegen zieht es Frauen dort nicht mehr hin. Der Wolf hatte seine Berechtigung, weil früher dort der Zollumschlag war und Lastwagenfahrer auf dem Areal die Nacht verbracht haben. Das ist nicht mehr so. Es läuft darum nicht mehr. 

Was für einen Einfluss hat Corona?

Corona hat die Attraktivität weiter geschmälert – durch die Erfassung von Kontaktdaten oder die Zertifikatspflicht ist ein anonymer Besuch eines Gastronomiebetriebs im Erotikbereich nicht mehr möglich. Aber auch schon vor Corona befand sich das Modell «Kontaktbar» und Strassenstrich in der Krise.

Bleiben wir beim Ökonomischen. Ist nicht vor allem die Konkurrenz inzwischen zu gross?

Mit der Öffnung zur EU ist die Konkurrenz natürlich gestiegen. Frauen, vor allem aus dem osteuropäischen Raum, reisen in die Schweiz, nach Basel, und arbeiten ein paar Tage oder Wochen in Basel. Diese Möglichkeit in der Schweiz per Meldeverfahren Arbeit zu suchen, nutzen viele Frauen. Salon-Betreiber*innen vermieten den Prostituierten die Zimmer und melden sie bei den Behörden an. Bei Anstieg des Angebotes fallen die Preise. Die Sexarbeiterinnen müssen heute vier bis fünf Kunden bedienen, nur um ihre Mieten zu bezahlen.

Im Bericht zu Prostitution steht, dass die Anzahl angemeldeter Personen im Jahr 2020 im Vergleich zu 2017 drastisch gesunken ist.

Da sehe ich weniger den strukturellen Wandel. 2020 war Corona – da lief drei Monate lang einfach nichts mehr. Die Grenzen waren dicht. 

Für viele Prostituierte und Bordellbetreiber*innen bedeutete die Pandemie eine existenzielle Krise. Warum fallen Menschen aus dem Sexgewerbe immer noch durch alle Maschen? 

Weil der gesetzliche Rahmen fehlt. Das Drei-Drittels-Modell griff für Bordellbetreiber*innen mit ihren Miet- und Untermietverträgen nicht. Bei den Prostituierten mit Service in der eigenen Wohnung, hatten die Behörden die Räumlichkeiten als Wohnraum und nicht als Arbeitsraum eingestuft. Sie wurden kaum als Härtefälle anerkannt.

«Nur die Sexarbeit zu bewilligen, löst das Problem Frauenhandel und Schlepper nicht.»

Was bedeutete das für die Frauen?

Stillstand. Viele Frauen sind gestrandet. Ausreisen war auch keine Möglichkeit. Mit dem Arbeitsverbot in der Prostitution hatten sie keine Wahl. Also liessen die Vermieter die Frauen teilweise in den Wohnungen unentgeltlich leben. Die Fachstelle für Frauen im Sexgewerbe Aliena hat sie mit Essenspaketen versorgt. Ohne Arbeit hatten sie kaum Geld oder ihnen blieb nur die Illegalität. Die Prostitution in Basel braucht dringend einen Strukturwandel. So wie's früher war und heute noch ist, geht es jedenfalls nicht mehr weiter.

Wie ist es denn jetzt?

Es braucht moralbefreite, legale Modelle. Auch Vermieterinnen und Vermieter werden in Basel wie Salon- und Bordell-Betreibende als Arbeitgebende behandelt: Sie müssen die Frauen aus EU- und Efta-Staaten anmelden, Steuern zahlen, Miete zahlen. Zimmervermietende wehren sich gegen diese Zuschreibung. Sie seien in Wirklichkeit nicht die Arbeitgeber, sondern werden vom Staat dazu gemacht. Sie haben keinen Einfluss auf die Einnahmen der Frauen. Wenn die Frauen die Miete nicht zahlen können, sinken auch ihre Einnahmen.

Gibt es Lösungen für das Problem?

Auch wenn die von den Betrieben oft gewünschte «Prostitutionsbewilligung» für die Sexarbeiterin noch fehlt, würden damit nicht alle bestehenden Lücken geschlossen. Nur die Sexarbeit zu bewilligen, löst das Problem Frauenhandel und Schlepper nicht. Es braucht neben der Bewilligung für die Frauen auch Betriebsbewilligungen. Auch bei Verstössen gegen das Gesetz. Wenn zum Beispiel Frauen mit dem Touristenvisum angestellt werden oder nicht angemeldet werden. Dann müsste stärker durchgegriffen werden können. Bordellbetriebe werden zwar kontrolliert, aber das ganze Tun im Schwarzfeld nachzuweisen, scheint schwierig. So ist der Schutz der Frauen nicht gegeben und der Anreiz nicht weiter im Graubereich zu agieren, fehlt.

Das heisst, Ihrer Meinung nach, wäre die Politik in der Pflicht. 

Richtig. Prostitutions- sowie Betriebsbewilligungen würden Abhilfe schaffen. Einerseits um Frauen zu ermöglichen, selbstständig zu arbeiten und sich abzusichern und andererseits, um ihnen sicherere örtliche Strukturen anzubieten. Betreibende wünschen sich das ja auch: mehr Dialog mit den Behörden, mehr Transparenz. Sie wollen wie alle anderen Gewerbetreibenden behandelt werden. Der Anzug von SP-Grossrätin Kerstin Wenk hat einen Stein ins Rollen gebracht, was ich gut finde. 

Der Kanton soll dem Sexgewerbe Liegenschaften anbieten, wie das Kerstin Wenk fordert?

Sagen wir’s so: Ich finde es eine gute Idee. Und sehe nicht, warum der Kanton bei der Vermietung von Gewerberaum Berührungsängste haben sollte. Aber ich denke, es ist noch zu früh, hier abschliessend zu urteilen. Die Debatte läuft ja noch. 

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Bei Bajour als: Reporterin

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