Das bürgerliche Endspiel

FDP und SVP wollen die Pandemie für beendet erklären, doch das Virus hält sich nicht daran. Lösungsvorschläge kommen nur von links und den Bürgerlichen bleibt nichts anderes, als aufzuwiegeln und mit peinlichem Pathos «Diktatur!» zu schreien. Ein WOZ-Kommentar.

Politik Streit

Dieser Artikel ist zuerst am 4. März 2021 in Die Wochenzeitung WOZ erschienen. Die WOZ gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz. Hier kannst du die WOZ abonnieren und hier unterstützen.

__________

Wird uns das Coronavirus fehlen, wenn es in ein paar Monaten von der Impfung neutralisiert worden sein wird? In einer sehr spezifischen Ausprägung vermutlich schon: als Wahrheitsserum für die Politik.

Da können die FDP und die SVP noch so lange die Pandemie für beendet erklären – das Virus wird sich kaum daran halten. Jeder Schutzschild, der mit dem üblichen rhetorischen Bombast von der Eigenverantwortung und der zurückgewonnenen Freiheit runtergenommen wird, ist dann einer, der fehlt, um eine weitere Welle von Tod, Angst und Leid zu bremsen.

Und diese baut sich ja schon im geltenden Setting auf: Die Entspannungsphase ist vorbei, die Reproduktionsrate steigt in den meisten Kantonen wieder an. Damit setzt das exponentielle Wachstum wieder ein, und wie schnell das zu einer unkontrollierbaren Lage führt, zeigte sich im letzten Herbst.

«Das Virus lässt das ideologische Fundament von SVP und FDP erodieren.»

Die wissenschaftliche Taskforce hat diese Entwicklung ziemlich exakt vorausgesehen. Wenig erstaunlich, dass sie gerade jetzt zum Schweigen gebracht werden soll. Bürgerliche Politiker*innen um FDP-Präsidentin Petra Gössi wollen sie stummschalten, weil deren wissenschaftlicher Blick auf die Dinge angeblich zur Verunsicherung in der Bevölkerung führt.

Tatsächlich stören die Stimmen der Forscher*innen Gössi eher dabei, wieder an Einfluss auf die Debatte zu gewinnen. Nur darauf zielen die Bürgerlichen, wenn sie verantwortungslos die Öffnung der Gastronomie ins Gesetz schreiben wollen. Nur darum sind die Forderungen in den letzten Tagen so extrem, ist der Ton so schrill geworden. Notorische Lautsprecher wie SVP-Nationalrat Roger Köppel oder Christoph Blocher wirkten die letzten Monate im resonanzlosen Raum. Der politische Gewinn besteht für sie darin, überhaupt wieder einmal Gehör zu finden.

Das Virus tut nämlich noch etwas anderes: Es lässt das ideologische Fundament der politischen Rechten, von SVP und FDP, erodieren. Mit jedem Monat, den die Pandemie andauert, verfestigt sich der Eindruck, dass in den verwaschenen rechten Parolen nichts drinsteckt, was den Menschen irgendwo weiterhilft.

Die Angst der Bürgerlichen

Ob es um den Ansteckungsschutz geht, um den erschöpften Gesundheitsapparat, um die Existenzsicherung von Gastronom*innen, Kulturschaffenden oder Geringverdiener*innen: Die Problemlösungen kamen stets von links. Erst vor wenigen Tagen versuchten FDP- und SVP-Leute in der Finanzkommission des Nationalrats wieder einmal, Hilfezahlungen an gebeutelte Beizer*innen zu verhindern.

Die Angst der Bürgerlichen vor einem starken, handlungsfähigen, dem Wohl aller verpflichteten Staat scheint unüberwindbar. Ihr Endspiel ist, aufzuwiegeln und mit peinlichem Pathos «Diktatur!» zu schreien.

Die aktuelle Erregung ist aber über die gegenwärtige Situation hinaus zu lesen. Sie ist der Beginn der Transformation in die Nach-Corona-Zeit. Der einflussreiche SVP-Nationalrat Thomas Matter spricht offen von seiner Sorge, die gewonnene linke Handlungsstärke werde sich fortsetzen. In der Klimadebatte etwa, wo vielerorts der Notstand ausgerufen wurde, auf die alarmierenden Worte bislang aber kaum Taten folgten. Was, wenn es auch dort gelingt, die zermürbenden, von Lobbyist*innen durchsetzten Machtmühlen in den parlamentarischen Kommissionen zu umgehen?

«Eine überwiegende Mehrheit der Menschen in der Schweiz nimmt sich aus Rücksicht auf ein grösseres, gemeinsames Ziel zurück.»

Matter hat vermutlich recht, wenn er besorgt über diese Entwicklung ist. Denn eine Wahrheit des Virus ist auch, dass es der Einzelne nicht besiegen kann – sondern dass das nur gemeinsam geht. Eine überwiegende Mehrheit der Menschen in der Schweiz, das zeigen regelmässige Befragungen zur Akzeptanz der Massnahmen, hat dieses Prinzip verinnerlicht. Sie nehmen sich aus Rücksicht auf ein grösseres, gemeinsames Ziel zurück. Das ist der Ausgangspunkt für die Überführung der linken Coronapolitik in die kommende Zeit.

Wenn die Rechten jetzt das Ende der Solidarität ausrufen und mit aller Verzweiflung zum vorherigen Zustand zurückdrängen, kann die linke Antwort darauf nur lauten: Die Transformation hat gerade erst begonnen.

Basel Briefing

Das wichtigste für den Tag
Jetzt Abonnieren
Jetzt Member Werden

Das könnte dich auch interessieren

Dominik Straumann Pantheon Muttenz

David Rutschmann am 22. April 2024

«Eine Abspaltung wäre für beide Seiten sehr dumm»

Dominik Straumann gilt als moderater SVPler, den jetzt der extreme Regez-Flügel als Parteichef im Baselbiet zu Fall gebracht hat. Hat er die Hardliner*innen selbst zu lange geduldet? Ein Interview über chaotische Tage in der Kantonalpartei, den Weg aus der Krise und warum es bei der SVP kein Co-Präsidium geben wird.

Weiterlesen
Baselbieter SVP Collage

David Rutschmann am 16. April 2024

Regez, Riebli und Co.: So verteilt sich die Macht

In der Baselbieter SVP brodelt es; in einer Woche kommt es beim Parteitag zur Kampfwahl. Wer geht wem auf den Geist und wessen Finger ziehen beim Putschversuch die Fäden? Eine kleine Übersicht.

Weiterlesen
Wahlplakate fuer Florence Brenzikofer (Gruene), links, und Sarah Regez (SVP), rechts, haengen in Liestal, am Dienstag, 12. September 2023. Am 22. Oktober 2023 finden die Schweizer Parlamentswahlen statt. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Bajour,Lotta Maier* am 11. April 2024

Sarah Regez’ Draht zu Staatsverweigerer*innen

Die Baselbieter SVP-Politikerin Sarah Regez steht wegen eines Treffens mit einer rechtsextremen Gruppierung in der Kritik. Recherchen von Bajour zeigen, dass Regez’ Besuch des Treffens nicht ihr einziger Draht zu extremistischen Kreisen ist.

Weiterlesen
Sarah Regez

Ina Bullwinkel am 05. April 2024

SVP und Junge Tat: Wenn die braune Linie überschritten ist

Die aktuelle Aufregung um die Strategiechefin der Jungen SVP offenbart das schweizerische Abgrenzungsproblem von extremistischen, antidemokratischen Kreisen. Die junge stürzt damit die alte SVP ins Dilemma – und alle bürgerlichen Parteien.

Weiterlesen

Kommentare