SVP und Junge Tat: Wenn die braune Linie überschritten ist

Die aktuelle Aufregung um die Strategiechefin der Jungen SVP offenbart das schweizerische Abgrenzungsproblem von extremistischen, antidemokratischen Kreisen. Die junge stürzt damit die alte SVP ins Dilemma – und alle bürgerlichen Parteien.

Sarah Regez
(Bild: KEYSTONE/Georgios Kefalas (Collage: Bajour))

Die SVP Baselland hat sich mit Sarah Regez als «Shooting Star» geschmückt, sich gefreut, über die «intelligente, junge Frau» aus Sissach, die es zu unterstützen lohne. 

Spätestens jetzt, da dank Sonntagsblick-Recherchen bekannt geworden ist, dass Regez im Mai 2023 an einem konspirativen Treffen der rechtsextremen Gruppe mit der Jungen Tat teilgenommen haben soll, dürfte der Schweif des Shooting Stars etwas weniger hell leuchten – auch aus Sicht einiger Parteimitglieder und aus Sicht der Mutterpartei. 

Regez werden die Kontakte zur Jungen Tat schon länger vorgeworfen. Ihre Teilnahme an dem Treffen dürfte also niemanden überraschen, der ihre Wahlkampfslogans, und -kampagnen verfolgt hat. Die jetzige (geforderte) Distanzierung einzelner SVP-Vertreter*innen – so wichtig sie ist – ist deshalb mit Vorsicht zu geniessen, hat sich doch vorher kaum jemand aus der SVP laut über ihre Aussagen empört oder einen Ausschluss ins Spiel gebracht. SVP-Fraktionschef Peter Riebli – politischer Ziehvater von Regez – hat gegenüber Prime News denn auch kein Problem mit dem rechtsextremistischen Begriff «Remigration» gesehen, den Regez inzwischen regelmässig in ihren Tweets verwendet.

Die Baselbieter SVP hat eine rechte Politikerin in ihren Reihen, die nicht nur polarisiert, sondern eindeutig über rote bzw. braune Linien tritt.

Sarah Regez ist Strategiechefin der Jungen SVP, das heisst, sie hat grossen Einfluss auf die Ausrichtung und Wortwahl der Jungpartei. Ihr Auftritt mit Nils Fiechter, Vorstandsmitglied der Schweizer JSVP, beim Wahlkampfauftakt der Mutterpartei Ende August 2023 hat genau gezeigt, in welche Richtung sie gehen will: Angst schüren, übertreiben, Katastrophenszenarien heraufbeschwören. 

Die Baselbieter SVP hat eine rechte Politikerin in ihren Reihen, die nicht nur polarisiert, sondern eindeutig über rote bzw. braune Linien tritt. Das wussten die Baselbieter Parteikolleg*innen, als sie Regez auf die Hauptliste für die Nationalratswahlen geschrieben haben. Sie ist die erste auf der Nachrücker*innen-Liste, könnte theoretisch also bald im Parlament vertreten sein. Man darf davon ausgehen, dass Regez’ Wortwahl, die gern mal verharmlosend als «pointiert» bezeichnet wird, gerade für sie sprach. Sie hat viel Aufmerksamkeit auf sich lenken können und versprach so, viele Wähler*innenstimmen zu gewinnen – was sie einhielt. 

Sechs kantonale JSVP-Sektionen haben sich nach dem Artikel zum Junge-Tat-Treffen von Regez distanziert und fordern, ihre Position im Vorstand der Schweizerischen Jungpartei vorerst zu sistieren, darunter die baselstädtische JSVP. Nur 6 von 26, muss man feststellen. Der JSVP-Chef Fiechter drohte diese Woche seinen Jungparteikolleg*innen: «Wer sich distanziert, verliert.»

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Frage des Tages

Exponent*innen der Jungen SVP sympathisieren (mehr oder weniger) öffentlich mit der rechtsextremen Gruppierung Junge Tat. In der Frage des Tages diskutieren wir, ob sich die Mutterpartei stärker nach rechts aussen abgrenzen muss.

Zur Diskussion

Es gibt auch Gegenstimmen aus der Mutterpartei. Der Präsident der SVP Basel-Stadt, Pascal Messerli, hat sich deutlich von Regez und der rechtsextremen Jungen Tat distanziert, genauso wie der Baselbieter Nationalrat Thomas de Courten, der wohlgemerkt nicht als gemässigter Vertreter seiner Partei gilt.

Es gibt also eine rote Linie in der SVP, die nicht überschritten werden darf. Das ist begrüssenswert. Nur äussern sich längst nicht alle Sektionen kritisch, einige bleiben ruhig. Warum? Auch die SVP Schweiz bleibt stumm. Wo bleibt ihr Machtwort? Während die Baselbieter Nationalrätin Sandra Sollberger gegenüber dem SRF betonte, die Junge SVP sei eine «absolut eigenständige Partei» und ein Einmischen nicht angebracht, dürften das einige ihrer Parteikolleg*innen anders sehen. Könnte das Schweigen doch als stille Zustimmung verstanden werden.

Auf Parteilinie oder nicht?

Sarah Regez gibt nicht direkt zu, an dem Treffen gewesen zu sein, sie verteidigt sich jedoch und meint, man müsse sich mit allen Personen treffen dürfen und sich mit allen Meinungen auseinandersetzen können. Nur damit es keine Missverständnisse gibt: Die Junge Tat ist eine rechtsextreme Gruppierung, die vom Nachrichtendienst beobachtet wird und deren Logo eine Rune zeigt, die in der Hitlerjugend verwendet wurde. Sich mit diesen Menschen auszutauschen, hat herzlich wenig mit Demokratie oder Meinungsfreiheit zu tun, sondern vielmehr mit Strategien zur Abschaffung und Unterdrückung der liberalen Gesellschaft, die Demokratie und Meinungsfreiheit erst ermöglicht.

Wenn die SVP es nicht schafft, sich von zunehmend antidemokratischen Strömungen abzugrenzen, taugt sie irgendwann nicht mehr als Mehrheitsbeschafferin der wirtschaftsliberalen Interessen.

Die SVP-Leitung sollte sich fragen, warum sich Personen mit dem Gedankengut von Regez mit ihrer Partei nicht nur identifizieren, sondern Karriere machen können und ob das gewollt ist. Wenn Regez sagt, sie stehe auf Parteilinie, dann hat sie solange einen Punkt, wie ihr die SVP-Parteileitung nicht widerspricht. 

In einem internen Chat, den die «NZZ am Sonntag» publik gemacht hat, schreibt Ramon Hug, Chef der Jungen SVP Aargau: «Wir müssen ehrlich sein und anerkennen, dass die Junge Tat inhaltlich die exakt gleichen Inhalte anspricht wie wir.» Sich zu distanzieren sei deshalb schwierig. 

Die SVP steht vor einer akuten Abgrenzungs-Aufgabe. Das Ansprechen, Heranzüchten und Motivieren von immer ausländer*innenfeindlicheren, rassistischen Kreisen hat sich lange wähler*innenarithmetisch ausbezahlt. Wenn sie es aber nicht schafft, sich von zunehmend antidemokratischen Strömungen insbesondere in der eigenen Jungpartei abzugrenzen, die anstelle einer liberalen Gesellschaft ein autoritäres Weltbild vertritt, taugt die SVP irgendwann auch nicht mehr als Mehrheitsbeschafferin der wirtschaftsliberalen Interessen. Die FDP, LDP oder wer auch immer mit der SVP kooperiert, müsste sich noch mehr Abgrenzungsvorwürfe gefallen lassen. Gesellschaftsautoritär und wirtschaftsliberal geht auf Dauer nicht zusammen. 

Wer Regez oder andere Vertreter*innen wie Andreas Glarner als Einzelfälle abtut, ignoriert das strukturelle Problem: Es gibt rechtsextreme Strömungen in der Schweiz.

Es wird immer wieder davon gesprochen, dass die Schweiz kein Problem mit Rechtsextremismus habe – im Gegensatz etwa zu Deutschland und der AfD. Die SVP sei ein Filter, fange alle Stimmen auf, rechts neben der SVP gibt es angeblich nichts. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Nach ganz rechts kommt rechtsextremistisch. Rechtsextremismus definiert sich durch ein völkisches Weltbild, das im Widerspruch zu unserer Verfassung steht und etwa (digitale) Gewaltanwendung gegen Einzelne zur Durchsetzung der politischen Forderungen in Kauf nimmt.

Wer Regez oder andere Vertreter*innen wie Andreas Glarner als Einzelfälle abtut, ignoriert das strukturelle Problem: Es gibt rechtsextreme Strömungen in der Schweiz. Dafür sollte die SVP keinen Platz haben – auch nicht in ihrer Jungpartei. Die Partei muss sich als Ganzes stärker und lauter abgrenzen, wenn sie gesamtschweizerisch als bürgerlich wahrgenommen werden will. Einzelne gemässigte kantonale Sektionen wie Basel-Stadt reichen nicht aus. Der Schatten der Mutterpartei fällt auf alle Kantone und auf alle bürgerlichen Parteien, die mit einer Partei zusammenarbeiten, die es nicht schafft, sich von Rechtsextremist*innen abzugrenzen oder sie gar bewusst in wichtigen Ämtern einsetzt.

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