Ach, diese Studi-Sorgen!

Keine Parties, keine Sitznachbarn, keine Freude: Studienbeginn zu Zeiten von Corona ist hart.

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Unsere Maturazeugnisse liegen fein säuberlich in Reihen vor mir auf einem Tisch. Ich nehme mir meines, gehe zur Kamera, der Fotograf macht ein Foto, ich schneide aus einem seltsamen Affekt heraus eine Grimasse, ein verhaltenes Lachen geht durchs Publikum. Ich gehe zurück zu meinem Stuhl, der mit grossem Abstand zu den Stühlen meiner Klassenkamerad*innen aufgestellt wurde und setze mich. Ich schaue auf das Zeugnis und nun, das war's also mit meiner Schulzeit. Kein Rektor, der mir mein Zeugnis in die Hand drückt, keine Zeremonie in der Kirche, kein Maturstreich. Aber so ist das wohl, man kommt zurecht – und für eine Matura ohne Abschlussprüfungen hätten wohl noch einige Jahrgänge über uns dieses Prozedere in Kauf genommen.

Das war vor zwei Monaten (?). Jetzt ist der Corona-Sommer vorbei und am 14. September ist Studienbeginn. La rentrée universitaire, wie das auf Französisch heisst. Ich bin Erstsemestlerin, 18 Jahre alt und habe meine Matura am Gymnasium Leonhard gemacht – ohne mündliche und ohne schriftliche Abschlussprüfungen. Im regulären Präsenz-Unterricht sass ich zum letzten Mal am 13. März.

«La rentrée universitaire», weil ich in Genf Internationale Beziehungen studieren werde, ein Bachelorstudiengang auf Französisch. Ich bin sozusagen eine Röstigraben-Überquererin. Das ist schon anstrengend genug, aber jetzt kommt der Studienbeginn und die Online-Uni dazu – was mir aus verschiedenen Gründen Sorgen macht.

Ohne das Zwischenmenschliche Französisch lernen? Schien mir unmöglich.

Einerseits ist da die Angst, dass ich das Französisch nicht verstehen werde. Ich war überzeugt, dass ich abbrechen und ein Zwischenjahr machen würde, wenn das Studium online stattfände. Ohne das Zwischenmenschliche Französisch lernen? Schien mir unmöglich.

Ausserdem die fehlenden Kontakte: Keine Sitznachbarin, die mir einen Stift ausleiht und mit der ich nachher etwas trinken gehen könnte, keine richtigen Diskussionen in Seminaren.

Und dann die Sorge um den Internetanschluss: Kein WLAN in der WG. Mein leider viel zu Last-Minute abgeschlossenes neues Handy-Abo mit unbegrenzt Internet beginnt erst Mitte Oktober.

Ein sechswöchiger Französisch-Kurs im Sommer und einige neugewonnene Freund*innen später, begann ich umzudenken. Erst mal schauen, vielleicht würde ich es auch online überleben.

Zusammen sind wir weniger allein.

Eigentlich war ich wegen der Genfer Fallzahlen überzeugt, dass mindestens die Hälfte des Studiums online stattfinden würde. Doch dann, Anfang September, kommt eine Info-Mail in mein Postfach: Wir Bachelor-Student*innen sollten so viel wie möglich an der Uni präsent sein, es würde Maskenpflicht in allen Gebäuden geben. Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass Deutschland neu vor Reisen nach Genf warnt, schien mir das eine überraschende Information. Aber natürlich bin ich auch einfach erleichtert. Einzelne Vorlesungen finden trotzdem nur online statt – da läuft es wohl darauf hinaus, dass ich die bis zum neuen Handy-Abo bei Freund*innen verfolgen muss – oder mit Uni-Internet, Maske und Kopfhörer in der Bibliothek.

Seit dieser Info-Mail weiss ich aber auch, dass ich selbst ohne Online-Uni Angst vor dem Französisch habe. Ausserdem Angst, neue Leute zu finden, Freundschaften zu schliessen. Angst, dass ich dann aus lauter Angst im Deutschschweizer Kuchen lande. Angst, dass ich kein neues WG-Zimmer finde, wenn unsere WG im Dezember renoviert wird.

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Bonjour Pauline!

Hilfe, weshalb bin ich nochmal von Basel weg? Ich zähle meine innere Liste herunter: Der Studiengang, die neue Sprache, die neue Stadt. Durchatmen.

Eigentlich ist es simpel: Studienanfang im Jahr 2020, das sind die ganz normalen Sorgen – mit Corona en plus. Überteuerte WG-Zimmer finden, neue Menschen kennenlernen, das Studium selbst, die fremde Sprache – und das mit Maske, eineinhalb Meter Abstand und ohne Kennenlernpartys.

Eigentlich ist es simpel: Studienanfang im Jahr 2020, das sind die ganz normalen Sorgen – mit Corona en plus.

Eine Woche vor Studienbeginn, es sind die sogenannten Welcome-Days. Eine Studentin stellt ihre «Association» vor, eine Studigruppe für verschiedenste Zwecke. Eigentlich gäbe es nachher noch ein Fest, aber in Coronazeiten, nun ja, «ihr wisst schon». Mit den hohen Genfer Coronafällen hofft sie, dass das mit dem Präsenzunterricht mindestens für zwei Wochen noch so gehe, nachher mit der kälteren Jahreszeit – «mais bien, on verra».

Eine Ansammlung zumeist jüngerer Studierender stehen mit Masken herum. Ich schaue um mich, erkenne lächelnde Augen, lächle zurück. Ich höre oft das Wort «normalement» – eigentlich wäre das ja so, aber nun machen wir es halt anders.

Bei der Präsentation einer Association rede ich mit einer Deutschschweizer Studentin, die mit ihrem Bachelor in Internationalen Beziehungen fast fertig ist. Selbst als ich sage, dass ich aus der Deutschschweiz sei, redet sie weiter auf Französisch mit mir. Das beeindruckt mich, so würde ich auch gerne mal sprechen. Wie sie das gelernt habe? Nun ja, sie habe vor allem anfangs einfach durchgezogen und mit allen Französisch gesprochen, selbst mit Deutschsprachigen.

Nach dem Gespräch treffe ich zwei Deutschschweizer Freundinnen aus dem Sprachkurs. Wir beschliessen, von jetzt an auch nur noch Französisch miteinander zu sprechen. Wir sonnen uns den ganzen Nachmittag, irgendwann wird es zu heiss und wir gehen baden. Ich tauche unter in das kühle Wasser der Rhone, die französischen Worte meiner Freundin dringen durch das Wasser leicht verzerrt an mein Ohr. Ich tauche auf, atme tief ein und schaue die Rhone hinauf, hinter den Dächern der Stadt schiesst der Jet d'Eau in die Höhe.

Ach, diese süssen Studi-Sorgen.

Pauline Lutz (18) ist Teil der Klimajugend und ab heute Studentin in Genf.

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