Zurück in den Hörsaal

Wie ist es, nach langer Zeit im Berufsleben wieder in den Uni-Alltag einzutauchen? Nur auf den ersten Blick scheint vieles so wie damals, stellt Valerie Wendenburg fest. Ein Selbstversuch.

Uni Basel Vorlesung Nachtwey Amlinger
Bis auf den letzten Platz besetzt: Die Vorlesung von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey. (Bild: Valerie Wendenburg)

Diese Woche geht das Bajour-Team in der Uni ein und aus. Unsere mobile Redaktion steht pünktlich zu Semesterstart in Form der rosa Rakete vorm Kollegienhaus. Von dort aus bekam ich Lust, wieder einmal – nach fast 30 Jahren – Uniluft zu schnuppern und mich in eine Vorlesung zu setzen. Also folgte ich meinem Interesse und Dutzenden Student*innen am Dienstagmorgen in den Hörsaal 001.

Der Saal, in dem 140 Personen Platz finden, füllt sich schnell und der Andrang ist so gross, dass einige Studis auf den Fussboden ausweichen müssen. 

Grosser Andrang in der ersten Uniwoche

Ob es immer so voll sei in den Vorlesungen, will ich von meiner Sitznachbarin Carla wissen, die im Master studiert. «Hier ist schon eher viel los», sagt sie mir, weiss aber auch: «Das legt sich mit der Zeit. Zu Beginn ist das Interesse grösser, aber nächstes Mal werden schon weniger Leute kommen.» Spätestens, wenn es Ernst werde und Arbeiten geschrieben werden müssten, würden sich die Reihen lichten. 

Noch aber füllt sich der Hörsaal im Erdgeschoss des Kollegienhauses immer weiter – auch nachdem Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey mit ihrer Vorlesung «Spätmoderner Autoritarismus. Ursachen, Dynamiken und Varianten» bereits begonnen haben. Das Thema, das mit dem Sturm aufs Capitol in Washington 2021 nach der Abwahl von Donald Trump eingeleitet wird, kommt offenbar gut an, zu spät kommen wenige. Jede Person, die den Saal nach Vorlesungsbeginn um 10.15 Uhr betritt, wird von Amlinger und Nachtwey begrüsst und angesprochen, um sie in Zukunft zu Pünktlichkeit zu ermuntern.

Uni Basel
Nach 30 Jahren zurück in den Hörsaal. (Bild: Valerie Wendenburg)

Mit Anfang 20 schaffte ich es selbst oft nur auf den letzten Drücker (oder verspätet) in die Uni und suchte mir einen freien Platz im Vorlesungssaal – in der Hoffnung, nicht vor allen auf mein Zuspätkommen angesprochen zu werden. Die Atmosphäre ist auf den ersten Blick wie damals, auch wenn heute vor nahezu jedem Platz ein Laptop steht und die meisten Student*innen auf der Tastatur tippen statt, wie zu meiner Zeit, ausschliesslich den Stift zücken. Einige aber haben Papier und Bleistift vor sich, andere lassen den Computer zugeklappt und lauschen den Worten von Amlinger und Nachtwey, denn zu Semesterbeginn gibt es zuerst einmal eine Einführung. 

Aus der Illusion gerissen

Genau wie in den 1990er-Jahren werden Folien gezeigt, heute mit Beamer und nicht mit Projektor – aber eine echte Veränderung ist das nicht. Die Student*innen flüstern teils miteinander, hören gebannt zu und gähnen auch hier und da. Die Szenerie der typischen Vorlesung hat sich in gut 30 Jahren kaum verändert. Ich fühle mich, als befände ich mich auf einer Zeitreise. Auch die Namen, die im Fach Soziologie genannt werden, sind mir aus meinem Studium vertraut: Erich Fromm, Max Horkheimer oder Hannah Arendt. 

Nachdem ich mich rund 30 Minuten in der Sicherheit wiege, es sei vieles beim Alten geblieben, werde ich aus der Illusion gerissen. Nicht etwa, als es um das Thema KI und deren Nutzung geht, sondern als die Frage danach gestellt wird, wo der Rechtspopulismus aufhört und der Faschismus beginnt? 

Während meines Studiums wurde über Faschismus im Zusammenhang mit der Zwischenkriegszeit und in Bezug auf Hitler und Mussolini gesprochen. In dieser Vorlesung aber geht es ums Hier und Jetzt. Und darum, wie sicher unsere Demokratie heute ist. 

Universität Basel
Das Unileben hat diese Woche wieder begonnen. (Bild: Valerie Wendenburg)

Die Frage: «In welcher Welt leben wir eigentlich?» steht im Raum und zieht die Student*innen in den Bann. Denn wir beobachten in vielen liberalen Demokratien aktuell eine autoritäre Wende, wie Amlinger und Nachtwey ausführen. Autoritäre Parteien gewinnen an Einfluss, Teile der Gesellschaft wenden sich von demokratischen Institutionen ab. Was macht das mit uns als Individuum? 

Nüchterne Erkenntnis über die Gegenwart

Mir wird klar, dass entgegen meines ersten Eindrucks gar nichts ist wie damals: Abgesehen von der Sorge um unsere demokratischen Errungenschaften wiegen globale Konflikte, Klimawandel und auch die Veränderungen durch KI schwer. Nachtwey bringt es auf den Punkt, als er sagt: «Wir können heute nicht mehr davon ausgehen, dass die Zukunft besser wird.»

Dieser knallharte Realitätscheck bringt meine Träumereien von meinem damaligen Leben als Studentin zu einem abrupten Ende. Wie leben wir in einer Welt, in der uns die Zukunft immer mehr abhanden kommt? Diese Frage lässt mich und augenscheinlich auch meine Sitznachbar*innen nicht kalt. 

Beim Rausgehen rede ich mit zwei Studentinnen, für die beide klar ist: Sie kommen wieder. Viele Studis diskutieren auf dem Weg aus dem Kollegienhaus darüber, was sie gerade gehört haben. Oder googeln nach den Büchern der beiden Dozent*innen. Schade, dass mein Unitag hier schon wieder endet. Ich brauche eine Weile, um alle alten Erinnerungen abzuschütteln und die nüchterne Erkenntnis über die Gegenwart sacken zu lassen.

Mein kurzer Ausflug in die Uni hat mir Lust darauf gemacht, mich – irgendwann – wieder einzuschreiben. Bis dahin hat mich der Redaktionsalltag wieder.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Strassenumfrage Wohnen Federico

Ambra Bianchi am 16. September 2025

«Im Vergleich zu Zürich ist es hier entspannter»

Neues Semester, neues Zuhause? Wir haben Basler Studierende gefragt, wie sie wohnen und wie sich die Suche nach einer neuen Wohnung gestaltet hat.

Weiterlesen
Ali Koteich Uni Basel

Valerie Wendenburg am 16. September 2025

«Endlich ist hier wieder Leben»

Ali Koteich arbeitet in der Cafeteria im Kollegienhaus der Uni Basel. Zu ihm kommen die Student*innen nicht nur, wenn sie Hunger oder Durst haben, sondern auch, wenn der Schuh drückt oder sie unter Prüfungsangst leiden.

Weiterlesen
Ersti Umfrage Uni Basel

David Rutschmann am 15. September 2025

«Ich freu mich aufs Studileben, Menschen kennenlernen, zusammensein – und hoffentlich etwas lernen»

Wir haben Erstis auf dem Petersplatz abgepasst und sie gefragt, was ihr erster Eindruck von der Uni Basel ist.

Weiterlesen
Valerie Wendenburg

Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazin tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

Kommentare