Wow, ein Familienzug mit 170 Menschen!
Die Männerclique Alti Stainlemer wagte ein Experiment: Nach 111 Jahren organisierten sie am Dienstag einen Familienzug. Es kamen fast 170 Menschen. Bajour durfte dabeisein.
Im Januar bekam ich eine Nachricht von einem Freund: «Am Fasnachtszyschdig mache mir Stainlemer e offizielle Familiezuug.» Alle Kinder, Verwandten, Freunde, Bekannten und Fans der Clique seien eingeladen. Eine Premiere für die 111 Jahre alte Männerclique, bei der noch nie eine Frau mitgelaufen ist. Ob ich Lust hätte, im Vortrab dabei zu sein.
Jetzt ist es so, dass ich ein, nennen wir es «scheues», Verhältnis zur Fasnacht habe. Einerseits freue ich mich richtig mit, wenn meine Tochter überglücklich mit ihrem Grossmami im selbstgenähten Blätzlibajass durch die Stadt zieht.
Andererseits habe ich als zugezogene Wahlbaslerin auch immer ein bisschen Angst, etwas falsch zu machen.
Das wusste der besagte Freund. Und das war auch ein Grund, dass er mich einlud. «Die Fasnacht berührt mich so unglaublich, das möchte ich mit anderen Menschen teilen.»
Ich wollte gerne. Aber nicht als Privatperson, sondern als Journalistin.
Am Dienstag Nachmittag um 14.15 Uhr ist Einstehen in der Steinen. Ich bin nicht die einzige, die nervös ist. Denn es haben sich nicht nur, wie die Clique erwartet hatte, 80 Personen angemeldet. Sondern etwa 170! Ein riesiger Zug. Da sind Mütter mit Kinderwagen, Cousinen, Freunde, Regierungsrätin Stephanie Eymann und ihr Partner und Anne Burgmer, Co-Leiterin der Offenen Kirche Elisabethen.
Die Stainlemer sind vorbereitet und spannen zwei Seile zwischen sich auf. «Wir bleiben immer innerhalb dieser zwei Seile, damit die Kinder nicht verloren gehen» sagt Tambourmajor Steve Isler. Dann setzt sich der riesige Zug in Bewegung. Zuvorderst im Vortrab geht eine Gruppe Binggis. Die grösseren nehmen die Kleineren an der Hand und helfen ihnen, wenn sie stolpern.
Der Blick nach hinten ist umwerfend: Der Zug ist so lang, er scheint nicht aufzuhören. «Es ist einfach super», strahlt Stephanie Eymann. Ein Blätzlibajass sagt: «Ich finde es toll, dass ich Dääfi verteilen und Räppli schmeissen kann.»
Ein Stainlemer sagt zum anderen: «Wenn sich die Kinder freuen, dann freut man sich automatisch mit.» Ein kleiner Waggis vor mir verteilt Zeedel mit Einladungen an Knaben im Publikum.
Öffnung für Quereinsteiger?
Die Stainlemer sind, wie so viele Cliquen, auf der Suche nach Nachwuchs, erklärt Präsident Roman Meier. Das ist auch ein Grund für den Familienzug: «Wir möchten mehr Leute auf uns aufmerksam machen.»
Eine Öffnung für Frauen, wie sie andere Cliquen vorgenommen haben, ist für einige vielleicht denkbar, für andere eher nicht, wenn man sich so umhört. «Auch über die Öffnung für Quereinsteiger wird intern diskutiert», erklärt Roman Meier.
Bisher galt bei der Traditionsclique: Nur wer schon als Knabe bei der Jungen Garde einstieg, ist ein Stainlemer. Neu sollen eben auch erwachsene Männer direkt in den Stamm oder die Alte Garde kommen dürfen. 12 Schnupperfasnächtler sind am Dienstag und Mittwoch mit den Stainlemer unterwegs.
Nach einer Pause im schönen Keller der Alten Garde am Nadelberg heisst es wieder Einstehen. Der Zug marschiert los. Und jetzt weiss ich, was die Fasnächtler*innen meinen, wenn sie sagen, unter der Larve sei man allein und trotzdem Teil eines Ganzen.
Wir marschieren im Takt der Trommeln. Nebeneinander, hintereinander. Man hat kein Ziel, muss nichts entscheiden, verschwindet in der Gruppe. Die Zeit ist zeitlos, es gibt nur den Rhythmus und die Fasnacht und die Zufriedenheit der Menschen, die neben dir atmen.
Bei der Hasenburg werden wir langsam. Tut er es wirklich? Der Tambourmajor gibt das Zeichen: nach links auf den Andreasplatz. Der ganze riesige Zug findet den Weg, sicher gelenkt und eingewiesen. Alle 170 stellen sich rund um den Baum auf, ziehen zufrieden die Larve ab. «Mit einem so grossen Zug auf den Andreasplatz, das war mutig», freut sich ein Stainlemer.
Das Nachtessen gibt's im Cliquenkeller des Stammes bei der Heuwaage. Die Laune ist gut, Stainlemer singen Lumpenlieder wie «1,2,3» oder stimmen bei «Scharlachrot» ein. Die Binggis giggeln. Hier endet mein Abend mit den Stainlemer, ich muss ja noch schreiben. Eigentlich wäre ich noch gerne weitergezogen.
Und so sahen die Stainlemer am Cortège aus:
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