Amtlich bewilligtes Elektrizitäts-Einkaufschaos
Erstmals bringen es die Kantons- und Gemeinderechnungen 2023 zutage: In der Strompreis-Krise 2022 herrschte Elektrizitäts-Einkaufschaos auf den Ämtern. Es sind mutmasslich Zusatzkosten im niedrigen dreistelligen Millionen-Bereich entstanden.
Energiewende vorantreiben und effizient Elektrizität einkaufen? Wie das geht, zeigt die Gemeindeverwaltung von Muttenz. Für die Jahre 2024 und 2025 beschafft sie einen Strommix von neu 40 Prozent Solarstrom und 60 Prozent Strom aus Wasserkraft, der mit dem (teureren) Label «Nature Made Start» des Vereins fürs umweltgerechte Energie (VUE) vergeben wird. Die Strategie wurde von der Gemeindeversammlung, also öffentlich, abgesegnet.
Muttenz kauft bereits seit 2017 zertifizierten Ökostrom ein und sparte dabei 70’000 Franken pro Jahr, dank einem Angebot vom Stadtwerk Winterthur. Die Reaktion der traditionellen Stromlieferanten war heftig. Conrad Ammann, der damalige Chef der Primeo Energie warf der Gemeinde vor, die Baselbieter «Stromnetz-Solidarität» auf Kosten der anderen zu verletzen. Inzwischen hat Primeo ihr Monopolistenkleid erkennbar abgelegt und wurde wettbewerbsfähiger. Für die aktuelle Lieferung gewann sie den Zuschlag. Ihre Motivation für wettbewerbliche Ausschreibungen beschreibt Gemeinderätin Salome Lüdi gegenüber Bajour so: «Wir wollen damit Vorbild sein und unsere Energiestrategie verfolgen».
Ein Pionier ist auch das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL), das seit über zehn Jahren jeweils das beste Angebot shoppt. Nach einer Prüfung durch die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) im Jahr 2014 gab es Lob: «Mit diesen Einsparungen konnten die teils kraftig steigenden Kosten für Netznutzung und Abgaben aufgefangen werden.»
Die Erfahrungen des BBL und Muttenz würden vermuten lassen, dass sich der Strommarkt bei den öffentlichen Einkäufern von Gemeinden und Kantonen auf breiter Front etablierte – tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.
Die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen des Bundes ist ein Paragraphendschungel.»Jörg Kündig, Vizepräsident des Schweizerischen Gemeindeverbandes
2021 wurde es der Eidgenössischen Wettbewerbskommission (WEKO) zu bunt: Sie empfahl, wettbewerbliche Ausschreibungen verpflichtend vorzuschreiben. Die Kantone einigten sich unterdessen darauf, das in der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB 2019) zu regeln. Einen «Paragraphendschungel» nannte das der Vizepräsident des Schweizerischen Gemeindeverbandes, Jörg Kündig an der Beschaffungskonferenz des Bundes 2022. Allmählich kam Bewegung ins Thema, aber zu spät, um für den Strompreisschock von 2022 gewappnet zu sein.
Im Gefolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine explodierten in Europa die Börsenpreise für Strom. Auf dem Höhepunkt, im August 2022, musste für sogenannten Spitzenstrom bis 1000 Euro für 1000 Kilowattstunden (kWh) bezahlt werden, ungefähr das Zehnfache des gewohnten Spitzenstrompreises. Langfristige Lieferungen verteuerten sich bis ums Dreifache. Behörden, und öffentliche Institutionen wie etwa das Basler Unispital, die Basler Verkehrsbetriebe und das Baselbieter Beschaffungsamt, die ihre Lieferverträge erneuern mussten, verloren die Nerven und tätigten Panikeinkäufe.
Erstmals bringen es nun die Kantons- und Gemeinderechnungen 2023 zutage: In der Strompreis-Krise 2022 herrschte Elektrizitäts-Einkaufschaos auf den Ämtern. Es sind hohe Zusatzkosten für die Steuerzahlenden entstanden, wie eine überschlägige Berechnung von Bajour vermuten lässt.
- Basel-Stadt, Baselland, ihre öffentlichen Unternehmen wie Spitäler, Kläranlagen, Pumpwerke, Sportbetriebe, BLT und BVB, sowie die 86 Baselbieter Gemeinden und ihre Endverbrauchsstellen kaufen – vorsichtig geschätzt – 280 bis 330 Millionen kWh pro Jahr.
- Exklusive die Preissteigerungen der letzten zwei Jahre um 30 bis 50 Prozent, gab die öffentliche Hand für ihre Strombezüge rund 60 bis 120 Millionen Franken aus. Die breite Streuung des Ergebnisses erklärt sich aus dem kompletten Fehlen von Berichten und Analysen in diesem Bereich der staatlichen Wirtschaft.
- Der Strompreis besteht zur rund der Hälfte aus unveränderlichen, separat berechneten Netzkosten des Stromnetzbetreibes, die andere Hälfte sind die vom Börsenpreis abhängigen, schwankenden Stromkosten von also 30 bis 60 Millionen Franken (in diesem Fall).
- In der Schweiz können nur Grossverbraucher*innen mit einem Bedarf von über 100’000 kWh pro Jahr am Strommarkt einkaufen. Dies gilt auch für Staatsbetriebe. Eine durchschnittliche Schätzung geht davon aus, dass die Hälfte des Stromverbrauchs wettbewerblich ist. In diesem Fall resultiert ein am Markt disponibles Einkaufspotential von 15 bis 30 Millionen Franken. Rechnet man die Preissteigerungen der letzten zwei Jahre hinzu, dürfte der Betrag irgendwo bei 22 bis 45 Millionen Franken liegen.
- Angenommen, alle staatlichen Stellen hätten Strom wie Muttenz und das BBL eingekauft, würde man jedes Jahr fünf bis zehn Millionen Franken gespart haben, seit es das Stromversorgungsgesetz (StromVG) seit 2009 ermöglicht.
- Fakt ist, soweit es aus den Fluren der Verwaltung öffentlich bekannt und nachvollziebar wurde, haben Panikeinkäufe der Behörden und öffentlichen Betriebe im Sommer 2022 Extrakosten von rund 64 Millionen Franken für die Steuerzahlenden in beiden Basel verursacht
- Fazit: Jahrelang tätigten in beiden Basler Behörden Stromeinkäufe, die bei wettbewerblichem Einkauf Jahr für Jahr um fünf bis zehn Millionen Franken günstiger hätten sein können. Da den Einkäufer*innen im kritischen Moment das Know-how fehlte, um im Strompreiskrisen-Jahr 2022 cool zu bleiben, wie es das neue IVÖB vorschreibt, entstand ein Zusatzschaden. Insgesamt dürfte die Nicht-Beschäftigung mit dem Strommarkt bis heute den Steuerzahlenden einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag gekostet haben.
Im Grossen Rat in Basel-Stadt und im Baselbieter Landrat gab es über die Jahre immer mal wieder Anfragen zum Thema Elektrizitätsbeschaffung, ohne, dass dies etwas ausgelöst hätte. René Baggenstos von der Beratungsfirma Enerprice (Root/Luzern), die auf eine langjährige Beratungs- und Einkaufspraxis für Grosskund*innen zurückblicken kann, kennt das: «Von aussen gesehen wirkt es, als ob die Verantwortlichen ohne Strombeschaffungs-Strategie in den Markt gegangen sind», sagt er, angesprochen etwa auf den Baselbieter Panikeinkauf.
Die landschaftliche Beschaffung wirft überdies Fragen auf: 2019 hatte der Regierungsrat dazu durchgerungen, sich am Markt zu beteiligen. Aber darüber wurde niemand informiert und die bestehenden Lieferant*innen kamen zum Zuge. was gegen jede Wettbewerbsregel verstösst. Die Medienstelle der Bau- und Umweltschutzdirekton mochte sich dazu nicht äussern. Regierungsrat Isaac Reber klammerte diesen Punkt in seinen bisherigen Erklärungen im Landrat stets aus. 2022 entschied der Regierungsrat, angesichts des Börsenhausse, den bestehenden Vertrag ausnahmsweise zu verlängern – auch dies ohne Publikation.
Was ist es, was Regierungsrätinnen und Gemeinderäte und ihre Chefbeamt*innen wiederkehrend wie im Baselbieter Fall dazu verleitet, Hinterzimmerdeals abzuschliessen? Patrick Dümmler, Stromexperte des wirtschaftsliberalen Thinktanks Avenir Suisse, sieht vor allem ein Problem: Die Stromwirtschaft befindet sich überwiegend in der Hand von Kantonen und Gemeinden und die sind an profitablen Energieunternehmen aus Einnahmegründen interessiert.
Natürlich sagt kein Regierungsrat, dass er lieber Dividenden kassiert, statt die Strompreise tief zu halten, in der Praxis ist es aber genau das: Christoph Brutschin, Basler Regierungsrat von 2009 bis 2021, liess es den Grossrat sogar wissen: «Was allenfalls von Dienststellen oder Beteiligungen des Kantons an Stromkosten durch Marktbeschaffung eingespart wird, bedeutet auf Seiten der IWB, die ebenfalls dem Kanton gehört, den Verlust von Umsatz und Deckungsbeiträgen.»
Basel lieferte denn auch die jüngste Strommarkt-Posse, wie im gerade veröffentlichten, zwar anonymisierten, Entscheid der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom) nachzulesen ist unter Aktenzeichen 233-00096: Demnach wechselte das Unispital 2014 an den Strommarkt, um günstiger Elektrizität zu erhalten. 2015 erliess der Regierungsrat Basel einen (geheim gehaltenen Erlass), dass in Basel nur bei den staatlichen Industriellen Werken Basel (IWB) eingekauft werden dürfe. Damit sollte das Unispital zurückgepfiffen werden. Das Spital vermutete eine Intrige der IWB und des Regierungsrates gegen sich und wähnte sich als «gefangene Kundin». Als sie 2022 zusätzlich 20 Millionen Franken zahlen sollte, klagte sie erfolglos vor der ElCom gegen die IWB mit dem Hauptargument, der Regierungsrat habe das Spital in die monopolistische Grundversorgung gezwungen. Wie und ob der Streit zwischen Unispital und Regierungsrat nun weiter ausgefochten wird, war nicht in Erfahrung zu bringen.
In Baselland ist das Verhältnis der Regierenden von Kanton und Gemeinden mit den privatrechtlichen Genossenschaften Primeo und Elektra Baselland, an denen man auch Eigentümer ist, nicht weniger eng als in Basel zwischen Regierungsrat und IWB. Frühere Ideen etwa, innerhalb des Verbands Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG) oder im Gefolge der mit dem Energiestadt-Label ausgezeichneten Energiestadt-Gemeinden eine Einkaufsgemeinschaft auf die Beine zu stellen, verliefen sich sang- und klanglos. Auch heute sei das kein Thema, sagt VBLG-Geschäftsleiter Matthias Gysin. Anzunehmen ist, dass die Ausgaben für Strom den Gemeinden, anders als etwa der Bereich Bildung und Asylwesen, kaum wehtun. Tatsächlich liegen die Stromkosten für Gemeinden, jede für sich genommen, bei vielleicht einem Prozent am Gesamtbudget, wenn es hoch kommt.
Während die Strompreise 2025 vielerorts weitersteigen werden, verzeichnet die Strombranche «Gewinne in schwindelerregender Höhe», wie die Stiftung Konsumentenschutz beklagt. Dies sei umso gravierender, als die Strompreise eine Preisspirale auslösen. Das führt zu Inflation und Kaufkraftverlust, aktiv gefördert durch passive Kantons- und Gemeinderegierungen. «Ein viel zu wenig beachteter Zusammenhang, von dem man nicht weiss, wieso er nicht diskutiert wird», sagt André Bähler.
Der Widerspruch zwischen der Bonanza bei den Stromfirmen und steigenden Strompreisen belastet zunehmend: Immerhin als einziges der 620 schweizerischen Netzbetreiber entschloss sich die Elektra Baselland (EBL) im Juni angesichts ihres Rekordgewinns von 30 Millionen Franken, zu einer kleinen Geste und will drei Millionen Franken Cash-Back an ihre Genossenschafter zurückverteilen, wie Geschäftsleiter Tobias Andrist an der Delegiertenversammlung bekanntgab. Genossenschafter*innen sind Immobilienbesitzer*innen und Grosskund*innen – ein kleiner Trost für die Mehrheit der Oberbaselbieter Stromverbraucher*innen, die kein Cash-Back erhalten, der Kanton und die Gemeinden erhalten etwas – das dürfte den Staat um ein paar Franken nächstes Jahr entlasten.