Telefonat mit Anna Aaron: Sie macht Schluss mit Romantik und Religion
Basels bekannteste Songwriterin erzählt Bajour, wie sie erfolgreich durch die Dunkelheit manövrierte – und darum längst woanders steht als man meint. Wie die neusten Songs von Anna Aaron klingen, präsentiert sie heute solo und live bei Gärngscheekultur.
Es brauchte ein paar Telefon-Anläufe, bis Anna Aaron endlich die Konzertanfrage für GärngscheeKultur entgegennahm. Aaron entschuldigt sich: Sie sei nun mal in Mels, beschäftigt, habe sich mit neuen Synthies ins Sarganserland verzogen. «Die Isolation ist doch gar nicht so schlecht», meint die 35-Jährige zur Corona-Situation: «Es ist doch gut, mal mit sich selber konfrontiert zu sein.»
Ausnahmesituationen, Wandel, Krise – das waren in den letzten zehn Jahren fruchtbare Themen bei Anna Aaron.
Also frage ich gleich, ob denn die erzwungene Corona-Isolation ihre Kreativität in der Klause beflügelt? «Olivier, so ist es nicht», holt Aaron ruhig den Journalisten zurück auf den Boden der Realität: «Das stellst du dir zu romantisch vor.» Die Reise nach Mels, das sei keine Weltenflucht, damit das Genie besser gedeihe. Sie komme immer wieder zum Musizieren in die Ferienwohnung von Freund*innen. Die zwei Wochen jetzt waren schon lange geplant und alleine sei sie auch nicht. Von wegen Isolation.
Neue Songs mit musikalischer Tiefe
Aber auf den Konzerttermin hin – am Mittwoch, 8. April – sei sie zurück in Basel und sie komme sehr gerne für das zuhause gebliebene Publikum im Livestream bei Bajour spielen! Sogar mit neuen Songs (das schreiben wir Journalist*innen immer gerne: Primeur, exklusiv und so). Die allerneusten Sounds aus den Bergen werde sie allerdings noch nicht spielen. «Wenn man musikalische Tiefe will, braucht es auch Zeit, um das sorgfältig aufzubauen», sagt die Frau, die 2019 gleich zwei Alben veröffentlichte.
Diesen Doppelschlag, zwei Alben innert zwölf Monaten, lässt sich als eine Art Emanzipation der Künstlerin verstehen und hören.
Mit dem technoiden Pop von «Pallas Dreams» verabschiedete sie sich zunächst stilistisch vom organischen Folk Noir, für den sie 2011 den Poppreis Basel erhielt (als bisher einzige Musikerin gar das Double von Jury und Publikum!). Es war zugleich der Abschied vom alten Label, das aus Aaron eine zweite Sophie Hunger hatte formen wollen. Doch Aaron suchte eine andere Richtung – und vor allem musikalische Selbstbestimmung.
«Ich habe damit gelernt, durch die Dunkelheit zu navigieren»Anna Aaron
Der zweite Befreiungsschlag trägt den langen Titel «On the Wings of Supernatural Grace in the Arms of the World». Aaron konstruiert darauf synthetische Klanglandschaften – doch fehlt in diesen ihre Stimme, dieses wunderbar warme Timbre. «Viele Musiker*innen experimentieren mit Klängen, die kein Radio spielen würde», kommentiert Aaron diese andere musikalische Seite von ihr, die gleichzeitig den Grundstein zu einem ganz neuen Projekt legte.
Damit diese Ideen, die unangepassten und wenig radiotauglichen, nicht weiter in der Schublade oder auf Festplatten versauern, gründete Aaron ihr eigenes Label: «Bambient Records».
Aaron baut ihre eigene Welt
Das Label soll auch andern Musiker*innen als Plattform für experimentelle Projekte dienen. Stolz verkündet die Neo-Label-Managerin Aaron: «Ab jetzt ist es offiziell: In zwei Wochen kommt der zweite Label-Release, Lucien Guy Montandon, das neue Projekt von Guy Mandon!» – (Noch mehr als diesen News-Primeur freut den Journalisten, dass Guy Mandon am 22. April seine neues Album ebenfalls im Live-Stream von GärngscheeKultur taufen wird!)
Es klingt viel Zuversicht durch den Hörer. Früher war mehr Zweifel. «Oli, kennst du das Buch «Heart of Darkness» von Joseph Conrad?» Kenne ich nicht. Sie legt es mir ans Herz. «Ich habe damit gelernt, durch die Dunkelheit zu navigieren», so Aaron.
So konnte sie endlich ihre religiöse Erziehung ablegen, ohne die Spiritualität zu verlieren, erklärt sie. Umso lieber schafft sie heute mit Kostüm-Designer Timon Imveldt in ihren Video-Clips mystische Welten voller religiöser Zeichen. «Die Symbole sind Archetypen und an sich leer. Sie wurden von den Religionen besetzt. Ich will diese Formen und Gefässe mit neuen Inhalten besetzen und damit meine eigene Sprache finden.»
Da sind wir wieder am Anfang des Telefongesprächs: Selbstreflexion in der Krise. Neuer Anlauf: So schmerzhaft diese Auseinandersetzung im Augenblick auch sein mag, ist so ein Prozess dennoch positiv für das weitere Schaffen? «Ach», seufzt Aaron am Hörer nochmal: «Das ist ein sehr idealistisches Bild. Wahrscheinlich hat unsere Gesellschaft nicht die Werkzeuge für diese Situation.» Aber das Thema sei sehr komplex: «Da will ich von dir nicht auf ein definitives Zitat reduziert werden. Meine Krise ist längst passé!»
__________
Anna Aaron spielt um 20:15 Uhr bei Gärngscheekultur und hier gehts zum Konzert. Für mehr Texte über radiountaugliche Kunst brauchen wir dich. Wenn du Lust darauf hast, werde hier gerne Mitglied für 40 Franken im Jahr. Danke!