«Das isch üsen FCSG» – Ausflug zum Feind

Nicole Eberle lebt in Basel, ist aber Fan vom FC St.Gallen. Ins Didi Offensiv darf sie trotzdem. Und jetzt sogar eine Gastkolumne schreiben.

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Lametta im Joggeli! Am 2. Februar 2020 erzielte der FC St. Gallen in der 93. Minute den Treffer zum 2:1-Sieg gegen den FCB .

«Will frau eigentlich unter diesen Umständen Meister werden?»

Diese Frage erreicht mich Mitte Juni per E-Mail von einem meiner Basler Bekannten, seines Zeichens jahrelanger FCB-Fan. Instinktiv beginne ich meine Antwort mit «Ja, natürlich...», halte inne und lösche den begonnenen Satz gleich wieder. Beim zweiten Anlauf versuche ich es mit «Nein, irgendwie...», und lösche auch diesen Satz gleich wieder. Schliesslich schreibe ich zurück: «Für diese hier ist das sehr schwierig zu beantworten.»

Hätte man mich vor einem Jahr gefragt, ob ich jemals eine solche Antwort geben würde, hätte ich gelacht. Und dann vehement verneint. Natürlich will ich eine Saison miterleben, in der der FC St.Gallen konstant gute Leistungen zeigt, Sieg um Sieg holt und auch die (vermeintlich) grossen Teams der Liga schlägt. Bis hin zum Meistertitel.

«Der temporeiche Spielstil, die bissige Zweikampfstärke und der mitreissende Angriffsfussball bescheren uns Fans Spiele, wie wir sie lange nicht mehr gesehen haben.»

Aber nun, in der Rückrunde der Saison 2019/20, ist da dieser Zwiespalt, der mich seit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs nach der Corona-bedingten Pause begleitet.

Der temporeiche Spielstil, die in St.Gallen zur Tugend erklärte bissige Zweikampfstärke und der mitreissende Angriffsfussball, den das junge Team unter Trainer Peter Zeidler zeigt, begeistern und bescheren uns Fans Spiele, wie wir sie lange nicht mehr gesehen haben.

Ungewohntes Terrain

Eines der ersten Spiele und das tatsächlich letzte Spiel der Rückrunde, bei denen ich vor Ort gewesen bin, sind denn auch zwei der besten Spiele, die ich bisher mit dem FC St.Gallen erlebt habe. Was die Espen im Auswärtsspiel gegen den FC Basel und im Heimspiel gegen YB zeigen, lässt sie wachsen: die Überzeugung, dass dieses Team wohl exakt diejenigen Charakteristiken aufweist, die es möglich machen, den Höhenflug bis zum Titel weiterzuführen. Und damit die Hoffnung, dass der unumgängliche Einbruch, an den wir uns nach guten Hinrunden in St.Gallen gewöhnt haben und den alle erwarten, nicht kommen wird. Ungewohntes Terrain.

Balzen statt bolzen💚

Gleichzeitig ist das letzte Heimspiel vor vollen Rängen gegen YB aber auch das erste Heimspiel seit geraumer Zeit, das tatsächlich vor vollen Rängen gespielt wird. Dass die langsam sich zeigenden Auswirkungen der um sich greifenden Euphorie so jäh von einer globalen Pandemie gestoppt werden, nagt an mir: Ich hätte gerne beobachtet, was möglich gewesen wäre, wenn die verbleibenden Spiele vor Publikum hätten ausgetragen werden können. 

Und ich hätte gerne die verbleibenden Spiele so miterlebt, wie wir Fans uns das gewohnt sind. Im Stadion, mit Freund*innen. Denn wer weiss, wann es in St.Gallen die nächste ähnlich erfolgreiche Saison geben wird.

«Es ist nur logisch, dass einige Spieler die Chance, zu grösseren Clubs zu wechseln, packen.»

Mit Ermedin Demirovic und Cedric Itten sind bereits 33 Tore und 12 Assists aus St.Gallen weggezogen. Obwohl die Liste der Torschützen beim FC St.Gallen in der vergangenen Saison so diversifiziert wie selten ausgefallen ist, wird sich erst noch zeigen müssen, inwiefern Alain Sutters Neuzugänge Florian Kamberi, Kwadwo Duah und Boubacar Faye Traorè diese Abgänge kompensieren können. Ausserdem hat mit Silvan Hefti nun auch eine der grössten Identifikationsfiguren, den wir aus dem eigenen Nachwuchs haben «gross werden sehen», den seit längerem erwarteten Schritt zur nächsten Station gemacht und St.Gallen in Richtung Bern verlassen.

Trotzdem bin ich im Hinblick auf die Saison 2020/21 überhaupt nicht besorgt. Zum einen ist es nach einer solch erfolgreichen Saison bei einem so jungen Team nur logisch, dass einige Spieler die Chance, zu grösseren Clubs zu wechseln, packen (auch wenn es nicht gerade YB hätte sein müssen). Die sportliche Führung wird die Abgänge im Rahmen der Möglichkeiten zu ersetzen wissen, um erneut ein möglichst gut funktionierendes Team aufzubauen. 

Situation in St. Gallen hat sich stabilisiert

Zum anderen hat sich die Situation in St.Gallen nach den turbulenten Zeiten der vergangenen Jahre, mit zwei Abstiegen, einigen Führungswechseln (wer kann sich in der Restschweiz noch an den Präsidenten Stefan Hernandez erinnern?) und Unruhe rund um Strukturen im Nachwuchs zum Beispiel, sowohl in sportlicher wie auch struktureller Hinsicht stabilisiert. 

Aktuell herrscht eine erstaunliche Ruhe, auch dank der Clubführung rund um Matthias Hüppi. Dass diese Ruhe und der Wunsch nach weiterer Stabilität denn auch zu aussergewöhnlich langen Vertragsverlängerungen von Sutter und Zeidler geführt haben, ist darum eher bezeichnend als überraschend.

«Kann eine solch aussergewöhnliche Saison wiederholt werden?»

Natürlich würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass sich bei mir keinerlei Zweifel vor dem Start der neuen Saison einschleichen. Passen die Neuzugänge auch tatsächlich ins Mannschaftsgefüge? Bleibt die Ruhe bestehen, auch wenn die typischen Einbrüche und Niederlagenserien wieder eintreten? Kann eine solch aussergewöhnliche Saison wiederholt werden? 

Tatsächlich wartet nun viel Schwierigeres auf den FC St.Gallen. Die Erwartungen sind gestiegen, die grün-weisse Euphorie (der Verkauf von Saisonabonnements wurde bei 8'500 verkauften Abos zwischenzeitlich sistiert, bis klar ist, ob und wie Zuschauer*innen im Stadion zugelassen sind) und die konstant mitreissenden Leistungen wollen aufrechterhalten und bestätigt werden.

Das Gute daran in St.Gallen? Sollte es mit dem Bestätigen nicht klappen, können wir damit umgehen. Gewisse würden sagen, sogar besser. Weil wir es seit Jahren tun. So oder so, «das isch üsen FCSG.»

Die Autorin:

Nicole Eberle ist Sprachwissenschaftlerin und Mitglied des Kollektivs, welches das St.Galler Fussballmagazin SENF herausgibt. Seit 2018 lebt und arbeitet sie in Basel – was bei ihr Ende 2018 zur etwas seltsamen Erkenntnis geführt hat, dass Fussballspiele in Karlsruhe zum Beispiel plötzlich näher liegen als die Spiele ihres Lieblingsclubs, des FC St.Gallen. Das kompensiert sie mit vielen Besuchen im Didi Offensiv.

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