«Ich dachte immer, Fussball ist nur etwas für Männer»

Roya flüchtete aus Afghanistan nach Europa. In einem griechischen Geflüchtetencamp lernte sie Fussball spielen. Nun tritt die alleinerziehende Mutter für die Schweiz bei der Streetfootball-EM der Frauen in Basel an.

Surprise Roya Strassenfussball
Roya lebt in Basel – und wird hier bei der Women's Streetfootball Euro antreten. (Bild: Lea Marti/Surprise)

Wenn Roya Fussball spielt, dann ist das Leben in Ordnung. Rennt sie mit dem Ball an der Fussspitze, bekommt sie das Gefühl, dass sie erreichen kann, was sie will – man muss es nur aus eigener Kraft schaffen. «Wenn ich einfach nur rumsitze, gibt mir niemand irgendetwas.» 

Die 34-Jährige tritt in diesem Sommer gleich zweimal als Strassenfussballerin mit dem Schweizer Nationalteam für internationale Turniere an: beim Homeless World Cup in Oslo Ende August und dieses Wochenende bei der Women’s Streetfootball Euro zuhause in Basel.

«Ich dachte immer, Fussball ist nur etwas für die Männer», sagt Roya. In Afghanistan, wo sie geboren wurde, war der Sport für Frauen nicht erlaubt. Mit leiser Stimme erzählt Roya, dass sie früh heiratete und mit 18 mit ihrem Mann aufgrund der politisch instabilen Situation das Land verliess: Zuerst nach Iran, danach in die Türkei und dann nach Griechenland. Auf der mehrjährigen Flucht kamen zwei Söhne zur Welt.

Im Geflüchtetenlager in Griechenland kam Roya erstmals mit Fussball in Berührung. Sie überredete eine Freundin, den Sport auszuprobieren. «Sie fand, dass das doch zu schwer für uns Frauen ist», sagt Roya. «Ich habe ihr gesagt: Schau mal, das machen so viele Frauen – das können wir auch.» Mit einem Schmunzeln fügt sie an: «Als wir gespielt haben, hat sie sich den Fuss umgeknickt.» 

Doch Roya fand schnell Gefallen am Fussball. Ihrem Mann gefiel das gar nicht – er hatte ihr auch verboten, zu arbeiten oder zu lernen. «Das ist nichts für Frauen», sagte er. Doch wenn ihr Mann nicht zu Hause war, ging sie trotzdem mit den anderen Frauen kicken: «Ich habe gemerkt, dass der Fussball mir positive Energie gibt. Ich konnte mich besser konzentrieren und Kontakt zu anderen Menschen aufbauen.»

Roya Surprise Strassenfussball
Fussball hat Roya ermöglicht, in die Schweiz zu kommen. (Bild: Lea Marti)

Schon damals eröffnete ihr der Strassenfussball Möglichkeiten: Durch die Teilnahme an einem Turnier in Genf kam sie zum ersten Mal in die Schweiz. Und sie vertraute sich der Trainerin des Streetfootball-Teams an: «Mein Mann hatte in Griechenland eine neue Frau geheiratet. So wollte ich nicht mehr leben.» Roya wollte weg von ihm. Die Trainerin half ihr, aus Griechenland in die Schweiz zu kommen und die Kinder mitzunehmen. «Mein Mann durfte das nicht erfahren. Er hätte mir das verboten.»

Das war vor fünf Jahren. Anfangs lebte Roya mit ihren Kindern in einer Asylunterkunft in Zürich, bevor sie nach Binningen kamen. Heute gehen ihre 11- und 13-jährigen Söhne in die Schule und Royas Alltag hat Struktur: Vormittags besucht sie einen Intensivdeutschkurs – nachmittags organisiert sie den Haushalt. Sie kann sich vorstellen, irgendwann als Tramfahrerin zu arbeiten. 

«Es gefällt mir, dass wir Strassenfussballerinnen aus verschiedenen Ländern kommen. Obwohl wir keine gemeinsame Sprache sprechen, haben wir schon Kontakt.» 
Roya, Strassenfussballerin

Um Anschluss in der Schweiz zu finden, half ihr anfangs vor allem der Fussball sehr. Denn sie hörte nie damit auf und lernte durch das Strassenfussball-Netzwerk auch Surprise kennen. «Dadurch lerne ich viele neue Frauen kennen. Es gefällt mir, dass wir aus so verschiedenen Ländern kommen. Obwohl wir keine gemeinsame Sprache sprechen, haben wir schon Kontakt.» 

Entsprechend freut sie sich jetzt auch auf die intensive Phase als Strassenfussballerin. Die Regeln des Homeless World Cup besagen, dass jede*r Spieler*in nur einmal im Leben für ein Nationalteam antreten kann – damit eben möglichst viele Menschen von so einer einmaligen Erfahrung profitieren.

Surprise Roya Strassenfussball
Bei Surprise findet man: Strassenfussball kann helfen, Anschluss zu finden, Erfolgserlebnis zu haben – und mit Niederlagen umzugehen. (Bild: Lea Marti/Surprise)

Die Regeln, nach denen Roya als Strassenfussballerin spielt, sind leicht anders als beim Fussball: Das Spielfeld ist kleiner und durch Banden begrenzt – es kann so recht flexibel an verschiedenen Orten installiert werden. Ein Team besteht nur aus vier Spieler*innen, drei davon spielen auf dem Feld, eine*r ist Goalie. Die vier Ersatzspieler*innen kommen im fliegenden Wechsel zum Einsatz, eine Halbzeit geht nur sieben statt 45 Minuten. 

«Die Idee ist, dass es ein schneller Fussball ist und es vor allem viele Tore und damit Erfolgserlebnisse für die Teilnehmer*innen gibt», erklärt Janosch Martens, der bei Surprise den Strassenfussball verantwortet. Dabei ist das Sportliche zweitrangig: «Es geht darum, dass Spielerinnen, die noch nicht viel Erfahrung haben, ganz viele andere Stärken mitbringen, von denen andere im Team profitieren», sagt Martens. 

«Wir halten Fussball für ein geeignetes Mittel, um Menschen am Rand der Gesellschaft in ein Teamgefüge reinzubringen.»
Janosch Martens, Leiter Strassenfussball bei Surprise

Fussball ist grundsätzlich ein Teamsport, gefragt sind Attribute wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Teamgeist. «Wir halten Fussball deshalb für ein geeignetes Mittel, um Menschen, die tendenziell am Rand der Gesellschaft sind, in ein Teamgefüge reinzubringen.» Die Spieler*innen lernen, mit Erfolg umzugehen – aber auch mit Niederlagen. Und, klar, gut für die Gesundheit ist der Sport auch, so Martens: «Wenn man sich fitter fühlt, dann ist man meistens auch leistungsstärker.»

Aber Fussball hat als Sportart auch einen besonderen gesellschaftlichen Stellenwert und findet viel Beachtung. Deshalb sind die Strassenfussball-Turniere immer auch kleine Werbebanner für die Arbeit der sozialen Institutionen, die hinter den Teams stehen – und für die Themen, welche die Teilnehmer*Innen beschäftigen. Weil das Spielfeld so mobil ist, kann es an möglichst öffentlichkeitswirksamen Orten aufgebaut werden. 

Surprise Roya Strassenfussball
Roya ist noch fleissig am trainieren, da sie für zwei internationale Strassenfussballturniere in diesem Jahr antritt. (Bild: Jonas Scheck/Surprise)

Gerade für den Frauenfussball ist das relevant: Das Angebot muss noch bekannter werden. Bis 2021 bestanden in der Schweiz lediglich geschlechtergemischte Strassenfussball-Teams. In den letzten Jahren konnten Surprise und weitere Organisationen schweizweit einen Pool mit 30 bis 40 Frauen für reine Frauen-Teams aufbauen. Aber weil es eben jedes Jahr neue Spielerinnen für die Nationalteams braucht, sind noch mehr Interessierte gefragt.

Auch Roya hat gemerkt, dass es nicht einfach ist, Frauen vom Fussball zu überzeugen. «In meinem Deutschkurs habe ich schon allen empfohlen, es einfach mal auszuprobieren», sagt sie. Sie stösst nicht auf grosses Interesse – und hofft, dass sich das jetzt mit der Heim-EM sowohl der Nati als auch der Strassenfussballerinnen ändert.

__________

Die Women’s Streetfootball Euro findet am Samstag, 21. (Gruppenphase), und Sonntag, 22. Juni (Finalphase), ab 10 Uhr im Leichtathletikstadion St. Jakob statt. Schon am Freitagabend werden die Teilnehmer*innen mit einer Flaggenparade vom Rümelinsplatz (wo Surprise seinen Sitz hat) zum Klara ziehen.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Doris Keller, Stephanie Eymann, Maddie, Mustafa Atici, Stephanie Eymann

David Rutschmann am 02. Juni 2025

Frauen an den Ball!

Basel sieht sich als Hauptaustragungsort der Frauenfussball-EM – und will mit Rahmenprogramm und Public Value erneut unter Beweis stellen, dass man Host-City-tauglich ist. Das erwartet uns zur Women’s Euro.

Weiterlesen
Muttenzerkurve Kolumne Urgese

Luca Urgese am 18. April 2025

Strafen ohne Schuld sind eines Rechtsstaates unwürdig

Eine Zürcher Schlägerei, bei der rund 50 Personen auf Anhänger des FC Zürich losgehen, sorgt für Gesprächsstoff. Auch gegen Personen, die bereits am Boden liegen, wurde getreten und geschlagen. Für dieses Verhalten hat Kolumnist Luca Urgese kein Verständnis. Doch die Reaktion der Behörden sei eines Rechtsstaates unwürdig, schreibt er.

Weiterlesen
Porträt Angela

Thomas Rauch am 15. April 2025

«Ich bin einfach ich»

Nach einem langen Weg und innerer Auseinandersetzung entschloss sich Angela mit 66 Jahren zu einer vollständigen geschlechtsangleichenden Operation. Der Fotograf und Fotojournalist Thomas Rauch hat Angela während einigen Monaten begleitet.

Weiterlesen
David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitik. Way too many Anglizismen.

Kommentare