Inflation trifft Basler Lädeli: «Erdogan macht alles kaputt»

Aufgrund der wirtschaftlichen Lage in der Türkei steigen Lebensmittelpreise drastisch. Wirkt sich das auch auf die türkischen Quartierläden in Basel aus? Wir haben nachgefragt.

Preisaufschlag beim Getreide: Bulgur ist heute teurer als vor der Wirtschaftskrise, zumindest in diesem Laden.
Preisaufschlag beim Getreide: Bulgur ist heute teurer als vor der Wirtschaftskrise, zumindest in diesem Laden. (Bild: Michelle Isler)

«Man sieht es ja im Fernsehen, was in der Türkei passiert.» Ahmet schweigt einen Moment lang. Dann sagt er: «Es ist wegen ihm. Erdogan, ja. Er macht alles kaputt.» 

Ahmet* ist seit 25 Jahren in der Schweiz und arbeitet schon lange in einem grösseren türkischen Laden. Auf einem Rundgang zeigt er auf bestimmte Produkte: «Das ist auch aus der Türkei… das auch… das auch», sagt er im Vorbeigehen. Vor einem grossen Regal mit verschieden Packungen Getreide und Hülsenfrüchte bleibt er stehen.

Hier zeige sich die Preiserhöhung, erklärt er, und macht ein Beispiel: «Ein Kilogramm Bulgur hat früher 1.95 Franken gekostet. Jetzt mit der Krise 2.50 Franken. Unser Einkaufspreis ist um 30 bis 40 Prozent gestiegen.» Er legt den Sack zurück ins Regal und zuckt mit den Schultern.

Steigender Einkaufspreis bei bestimmten Produkten

Kriegte man Anfang 2021 für einen Franken rund acht Türkische Lira, ist es heute fast das doppelte. Heisst: Die Türkische Lira verliert an Wert. Das türkische Statistikamt vermeldete kürzlich eine Inflation von 36 Prozent. Lebensmittelpreise vervielfachen sich. Und in Basel?

Wer heute Schweizer Franken in Türkische Lira wechselt, bekommt mehr Geld als noch vor einem Jahr.
Wer heute Schweizer Franken in Türkische Lira wechselt, bekommt mehr Geld als noch vor einem Jahr. (Bild: Screenshot)

In Basel gibt es viele Menschen, die eine starke Verbindung in die Türkei haben. So bilden zum Beispiel Personen mit türkischer Staatsangehörigkeit laut Statistischem Amt Basel mit einem Anteil von 8 Prozent die drittgrösste Gruppe innerhalb der ausländischen Wohnbevölkerung in Basel-Stadt. Ende 2020 waren das 5'951 Personen.

Wir haben uns deshalb umgehört und waren in sieben Lädeli mit türkischen und kurdischen Inhaber*innen. Mit richtigem Namen wollte niemand hinstehen. Das könne gefährlich werden, bemerkt Ahmet, auch das wegen dem türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdogan. In einem anderen Laden findet einer: «Ich bin ganz ehrlich, ich bin gegen Erdogan. Diese Meinung ist aber nicht nur gefährlich, sondern auch schlecht fürs Geschäft.» Kund*innen könnten ihm seine Haltung übelnehmen.

Die Inflation selbst ist weniger bedrohlich für die Quartierlädeli. Ahmet sagt: «Es ist nicht so schlimm. Zumindest für uns. Weil wir ganze Paletten einkaufen, müssen wir die Sachen nicht so viel teurer machen wie ganz kleine Läden.» Ausserdem hätten die allermeisten Kund*innen Verständnis für die Preiserhöhung. Ein paar hätten ihn deswegen zwar angehauen. «Dann musst du den Leuten das halt erklären und dann schauen sie die News im Fernsehen und verstehen es», so Ahmet. 

Wie das weitergeht, kann er aktuell nicht abschätzen. Es könne aber sein, dass der Einkaufspreis für Bulgur morgen wieder steige und dann werde die Ware auch in seinem Laden teurer. «Aber zum Glück noch nicht bei Obst und Gemüse», erklärt er und geht geschäftig Richtung Kassen, wo ein Kollege gerade frisches Gemüse einräumt.

Coronakrise vs. Wirtschaftskrise

Nicht nur die Inflation in der Türkei macht den Lädeli zu schaffen, sondern auch die Corona-Pandemie. Eine türkische Geschäftsinhaberin im Kleinbasel sagt sogar: «Wir sind finanziell sehr stark von der Coronakrise betroffen, das ist viel schlimmer als die Inflation.»

Das Problem sind die unterbrochenen Lieferketten. Ihre Lieferanten sprechen deshalb von einer Preiserhöhung für bestimmte Produkte. Ein Käse koste zum Beispiel einen Franken mehr als noch letztes Jahr. Das sei aber noch eine Ausnahme. 

Vorausschauend Einkaufen

Solange die Preise nicht in die Höhe schiessen, weiss sich die junge Inhaberin im Kleinbasel zu helfen: «Ich bestelle jetzt einfach ein bisschen mehr von dem, was lange haltbar und beliebt ist.»

Auf die Situation der Menschen in der Türkei angesprochen, wird sie nachdenklich. «Klar sind wir traurig für diese Leute, manche können nur schwer weiterleben.» Dies beschäftigt auch Ahmet: «Wenn man keine Erde [zur Selbstversorgung] oder keinen Job hat in der Türkei, dann braucht man jetzt Hilfe.»

Ein anderer Ladenbesitzer schildert mit besorgtem Blick Szenen, die er im Fernsehen gesehen habe: «Arme Leute kaufen Butter nur noch in kleinen Stückchen, weil sie sich nicht mehr leisten können. Das ist wirklich schlimm!»

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Solch drastische Auswirkungen der Inflation in der Türkei spüren die Lädeli-Besitzer*innen hier nicht. Im Gegenteil: Zwei der Befragten sehen sogar Vorteile für die Türk*innen in der Schweiz. «Mit meinen Franken kann ich mir in der Türkei jetzt mehr leisten, als die Leute vor Ort», sagt die junge Kleinbasler-Verkäuferin, die dieses Jahr in der Türkei heiratet. «Für meine Situation ist es jetzt sogar gut, dass das Schweizer Geld viel mehr wert ist als die türkische Lira.»

Wie so oft ist die Situation also nicht schwarz-weiss. Alle sind sich zwar einig, dass es für ihre Verwandten und Bekannten in der Türkei nicht einfach ist. Hierzulande spüren einige die unsichere Situation der Türkei mehr als andere. Zwei sehen sogar für sich selber Vorteile. Den pandemisch-wirtschaftlichen Krisen-Mix im Auge behalten, das müssen wohl alle.

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* Name geändert

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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