Bedroht und beschimpft: Ist der Lehrer*innenberuf noch zumutbar?

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Ina Bullwinkel
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Ueli
17. Januar 2023 um 08:38

Gewalt ist systemimmanent

Schule mag gut gemeint sein. Kollektiv verdrängt, basiert sie aber eigentlich mit Pflicht und Zwang würdelos auf struktureller Gewalt. Schule ist nicht freiwillig. Sie muss sein. Oft verbunden mit einem Unterricht, der im Prinzip und mehr oder weniger wahrnehmbar mit einem Wettbewerb im Gewinner-Verlierer-Muster verbunden ist. Ein solches System kann implizit zu Gewalt motivieren und/oder Menschen traumatisiert zu Opfern und/oder Tätern werden lassen: lebenslang und mit schwierigen und schwer wiegenden Folgen für sich und für andere.

Fleur Weibel

«Verweichlicht» als Ausgangsfrage für eine Diskussion? Welche Art von Debatten wollt ihr eigentlich lancieren mit euren Fragen des Tages, @BajourBasel? Noch bisschen mehr Polemik überall?

Schreyer Caroline

Sehr gut, haben Sie die Frage abgeändert. Sie war wirklich unsachlich!

Ein Blick in die Klassenzimmer würde sich wirklich lohnen. Viele würden sich erschrecken was da so alles los ist. Dies nicht erst in der Oberstufe! Nein, auch bereits in den untersten Stufen! Ich frage mich oft, was mit unserem Bildungssystem falsch läuft.

Viele Lehrer und Mitschüler sind mit der Integrativen Schule überfordert. Wenn es so weitergeht kommt es nicht gut. Ich erlebe dies jeden Tag. Es muss sich etwas ändern und dies auf Allen Ebenen, nicht nur im Klassenzimmer!

Simone
17. Januar 2023 um 05:59

Kleinklassen/Seperative Schule

Ich hab jahrelang in einer seperativen Schule mit Kindern mit Behinderungen gearbeitet. In den letzen 15 Jahren kamen immer mehr Kinder/Jugendliche von öffentlichen Schulen zu uns, die ein wahnsinns Agressionspotential hatten.

Nach mir ist mit Tischen und Stühlen geworfen wurden, ich wurde mehrfach verprügelt und geschlagen, Vorhänge sind runter gerissen und Schranktüren eingetreten worden, oder Lehrer mit Messern bedroht.

Von Beleidigungen spreche ich gar nicht erst.

Ich bin vor 5 Jahren dort weg und arbeite jetzt im Kindergarten.

Sandra Bothe
Sandra Bothe
Grossrätin GLP, angefragt von Bajour

Immer schwierigeres Umfeld

Gewalt gegen Lehrpersonen darf in keiner Form toleriert werden. Tatsächlich kann man feststellen, dass der Umgang rauer und der Respekt geringer geworden sind. Autorität bzw. deren Anerkennung ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. Von einer «Verweichlichung» der Lehrpersonen kann nicht gesprochen werden. Im Gegenteil, die Lehrpersonen tragen immer mehr Verantwortung in einem immer schwierigeren Umfeld. Um der Problematik nachhaltig zu begegnen, muss deshalb die Rolle der Lehrperson gestärkt werden.

Nadine Bühlmann, Primarlehrerin Vogelsang
Nadine Bühlmann
Primarlehrerin, angefragt von Bajour

Beleidigungen haben mit Machtstrukturen zu tun

Was für eine Frage? Ich bin es leid, solche negativen Studien zu lesen. Provokationen und Beleidigungen haben mit Machtstrukturen zu tun.

 «Wer frei von Erziehung ist, ist offen für Beziehungen. Diese Offenheit ermöglicht zwischenmenschlichen Reichtum, keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk.» Reinhold Miller

Dieses Zitat hat mich vor Jahren in einer Weiterbildung beeindruckt und hat meine Arbeit als Lehrerin stark beeinflusst. Der Beruf als Lehrer*in ist sicherlich herausfordernd, aber genau deshalb habe ich ihn vor über 20 Jahren erlernt und liebe ihn immer noch. 

Es ist an der Zeit, die Attraktivität dieses Berufs in der Gesellschaft bekannt zu machen, um motivierte Menschen für diesen spannenden, erfüllenden und sinnvollen Beruf zu gewinnen.

Die Kinder sind unsere Zukunft und haben ein Recht auf ein gewaltfreies Aufwachsen. Es ist unsere Verantwortung als Erwachsene, ihnen Vorbilder zu sein und Machtstrukturen zu verhindern.

Barbara Wenk

Für mich geht es nicht um den Lehrberuf als solches, sondern mehr um die allgemeine Stimmung, die an Schulen zum Teil herrscht... der Druck auf mehreren Ebenen, der sowohl für Kinder und als auch Erwachsene da ist... die oft fehlende Zeit für Beziehungsarbeit und für «das, was sonst noch alles da ist und geschieht»... die oft fehlende innere und äussere Ruhe, um in Ruhe lernen zu können... etc. Ist die Situation an unseren Schulen für lehrende und lernende Menschen - für Kinder und Erwachsene - noch zumutbar, wäre für mich daher die passendere Frage....

Lavinia Besuchet
17. Januar 2023 um 08:14

Aus soziokultureller Sicht

Wenn ich solche Berichte und die Fragen an die Leserschaft dazu lese, stelle ich mir als erstes die Frage was uns diejenigen, die sich «unangepasst» verhalten, eigentlich aufzeigen? Kinder und Jugendliche (z.T. auch die Eltern) agieren nicht bewusst schlecht, sondern reagieren auf ihre Realität und lassen ihre Gefühle der Unzufriedenheit und Wut leider unbeherrscht an die Lehrpersonen aus. Das ist nicht akzeptabel, aber leider eine Tatsache. Diese Tendenzen müssen sehr ernst genommen werden und ich plädiere für allgemein mehr soziokulturelle, niederschwellige und partizipative Projekte, die das Zusammenleben und den Respekt fördern. Eine betreute «Schoolbox» (Partizipation und Prävention) auf dem Pausenhof?

Simon Thiriet
Simon Thiriet
Leiter Kommunikation Erziehungsdepartement BS, angefragt von Bajour

Sie verdienen grössten Respekt

Gewalt gegen Lehrpersonen kommt zwar nur in Einzelfällen vor, ist dann aber sehr ernst zu nehmen. Das muss durchaus nicht immer physische Gewalt sein, sondern kann auch verbal passieren. Unsere Lehrpersonen stehen jeden Tag im Klassenzimmer und meistern die verschiedensten Herausforderungen mit sehr viel Motivation und Einsatz. Deshalb verdienen sie grössten Respekt.

bajour
Bajour

Darum geht's

Zwei von drei Lehrpersonen haben in den vergangenen fünf Jahren Gewalt erlebt. Dies zeigt eine neue Studie des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH. Am häufigsten handelt es sich um psychische Gewalt in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen oder Einschüchterungen. Extreme Gewalt wie Körperverletzungen sind selten. In den meisten Fällen geht die Gewalt von den Eltern aus, Druck kommt aber auch von Schüler*innen. Der Dachverband der Lehrer*innen sieht Handlungsbedarf und fordert eine Art Codex, der klarmacht, wo eine rote Linie überschritten wird.

Anmerkung der Redaktion: Die Frage war anfangs unsachlich und zu zugespitzt formuliert. Ursprünglich lautete sie: «Sind Lehrer*innen verweichlicht?» Wir haben sie umformuliert.

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Der Berufseinstieg vor 20 Jahren begann mit einem anonymen Brief und Gegenwind von Eltern aus der «New Economy Blase». Willkommen in der Realität! Ist nicht schön, aber leider Teil des Jobs.

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