Briefkasten voller Spendenaufrufe – muss das sein?
Vor allem zur Weihnachtszeit werden wir mit Charity-Anfragen von Hilfswerken und Non-Profit-Organisationen eingedeckt. Das mag ärgern, aber es steht eine simple Logik dahinter.
Zahllos sind sie, die Briefe mit Spendenaufrufen, die uns in den vergangenen Wochen ins Haus geflattert sind. Aus purer Neugier hat der Schreibende in diesem Jahr sämtliche Briefe mit Spendenaufrufen gesammelt, insgesamt rund 50 an der Zahl, mit einem Gesamtgewicht von 1,2 Kilogramm – nur um zu sehen, wie viel Post da eigentlich zusammenkommt. Und da stellt man sich schon die Frage: Ist das nicht Ressourcenverschwendung, sollte das Geld nicht den Betroffenen zugute kommen statt in Werbung gesteckt zu werden?
Tatsächlich: Das Einsammeln von Spendengeldern ist teuer. 7 Millionen Franken gibt beispielsweise die Hilfsorganisation Caritas für das Beschaffen von Spenden aus – dies bei Einnahmen von 150 Millionen.
Für Georg von Schnurbein, Professor für Stiftungsmanagement an der Uni Basel, ist völlig klar, dass Fundraising aufwändig ist und viel Geld kostet. «Insgesamt funktioniert es aber, denn wenn diese Organisationen Geld verlören, würden sie es nicht machen.»
Von Schnurbein geht sogar noch einen Schritt weiter: Die Werbe- und Verwaltungskosten werden oftmals als problematisch angesehen, auch die Löhne, die für diese Arbeit bezahlt werden. Er sagt: «Wenn ich als Organisation nur damit gemessen werde, wie niedrig meine Verwaltungs- und Werbekosten sind, dann versuche ich diese zu minimieren. Aber dann ist kaum anzunehmen, dass ich überhaupt in der Lage bin, gute Profis anzustellen und eine gute Infrastruktur zu haben. Man kann somit auch nicht erwarten, dass diese Organisation die beste Leistung erbringt.»
Und was rät uns von Schnurbein gegen die Flut von Briefen? «Falls Sie tatsächlich 50 Briefe erhalten haben, dann haben Sie vielleicht in der Vergangenheit zu häufig an verschiedene Non-Profit-Organisationen (NPO) gespendet.» Wer einmal einer NPO spendet, wird mindestens zwei Jahre weiterhin angeschrieben, erst dann wird der Kontakt reduziert. «Ich erhalte weniger als zehn Briefe, weil ich bewusst einzelne Organisationen auswähle und diesen «treu» bleibe. Dann gerate ich gar nicht in die Datenbanken von anderen NPO.» Spender*innen könnten also durch ihr Spendenverhalten mitbeeinflussen, wie aufwändig das Fundraising sei.
Wird 2024 ein gutes Jahr?
Noch liegen von diesem Jahr keine Zahlen zu den Spenden vor, mit Trendschätzungen sind die Hilfswerke vorsichtig. Der umsatzstärkste Monat punkto Spenden ist der Dezember, da ist noch vieles offen. Die Erfahrung früherer Jahre zeigt, dass grosse und dramatische Katastrophen jeweils zu grossen und zahlreichen Spenden führen.
Die mediale Aufmerksamkeit ist hoch, die Bilder von zerstörten Häusern und Landschaften erschüttern die Öffentlichkeit.
«Aktuell ist zwar die Krisenlage in der Welt so virulent wie schon lange nicht mehr», sagt Caritas-Sprecher Niels Jost. Humanitäre Katastrophen wie im Südsudan und in Haiti seien insgesamt zahlreich. Aber die breite Öffentlichkeit habe sie nicht auf dem Radar, und an das Kriegselend in der Ukraine habe man sich gewöhnt. «Im Nahen Osten wie in Gaza und im Libanon ist die Lage politisch sehr aufgeladen.» Auch das hemme die Spendenbereitschaft.
«Es war insgesamt kein einfaches Jahr», sagt Lorenz Kummer, Mediensprecher von Heks, dem Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz. Auch hier hätten sich die Spenden zur Nothilfe bei Katastrophen verlagert, zulasten der allgemeinen Entwicklungsarbeit. «Die freien Beträge nehmen eher ab», sagt er.
Das Jahr 2023 war mit Spenden von gut 2,2 Milliarden eher schwach. Das Resultat relativiert sich aber, weil 2022 ein Rekordjahr war. In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Spenden in der Schweiz laut der Zertifizierungsorganisation Zewo von rund 1,1 auf 2,3 Milliarden Franken mehr als verdoppelt. Punkto Einnahmen gab es Extremjahre: 2004/2005 wegen des Tsunamis (+640 Mio. oder +60 Prozent) in Südostasien und 2021 wegen des Ukrainekriegs (450 Mio. oder +22 Prozent). Danach folgte jeweils ein kräftiger Rückgang.