Muttenz will das Windrad jetzt doch
Die Muttenzer*innen stimmen dem dortigen Windradprojekt deutlich zu – anderthalb Jahre, nachdem sie das Projekt knapp ablehnten. Die Wiederholung der Abstimmung zeichnet ein Bild vom Umdenken über Versorgungssicherheit und Strommangel.
Totgesagte leben länger. Das Windrad in Muttenz galt bereits als beerdigt und ist jetzt lebendiger als je zuvor. Zwei Drittel der Muttenzer*innen stimmten bei der Gemeindeversammlung am Dienstagabend dafür, das Projekt wiederaufzunehmen, das noch 2021 bei der damaligen Gemeindeversammlung knapp abgelehnt wurde.
Am Ende war es mit 189 von 282 Stimmen für das Windrad sogar deutlicher, als dessen grösster Fürsprecher Umut Gökbas erwartet hätte. «Ich glaube, wir müssen heute noch Überzeugungsarbeit leisten», sagte der frisch gewählte Präsident der jungen Grünliberalen beider Basel im Vorfeld. Doch die Mobilisierung gerade seiner Mitschüler*innen vom Gymnasium trug Früchte: In der Mittenza, der Gemeindesaal in Muttenz, mussten noch spontan Stühle ergänzt werden, um dem ungewöhnlichen hohen Andrang zu begegnen.
Der 19-Jährige war der Mann des Abends. Seine Rede im Vorfeld der Abstimmung brachte ihm viel Applaus ein und als das Ergebnis bekannt wurde, klatschten ihn seine Kollegen zustimmend ab. Wenige Stunden zuvor war er noch im Talk bei Telebasel zu Gast, sein erster Auftritt in einer Debattensendung. «Lief ganz gut», findet er. Die Medien haben ein reges Interesse an ihm. Klar, es ist ein dankbares Narrativ: Ein 19-jähriger Gym-Schüler, der mit einer Petition die Wiederaufnahme eines Windkraftprojekts erkämpft. Bajour hatte zuerst darüber berichtet. «Reverse Don Quijote» quasi, Kampf nicht gegen, sondern für Windmühlen.
Nüchtern und nicht aus der überinterpretierenden medialen Brille heraus betrachtet, ging es bei der Gemeindeversammlung um gerade mal ein Windrad (ursprünglich waren es zwei, aber das Projekt wurde schon gedownsized) in einer 18'000-Einwohner*innen-Gemeinde. Gerade mal 800 Haushalte könnte es mit Strom versorgen. Aber: Es wäre eben das einzige Windrad im Baselbiet, alle anderen Projekte der vergangenen zehn Jahre gerieten ins Stocken, verliefen im Sand, scheiterten.
So hätte es ursprünglich auch in Muttenz sein sollen. Das Windradprojekt war eigentlich im Juni 2021 am Ende, nachdem die Umzonung der heutigen Mülldeponie auf der Muttenzer Hard – einem Waldabschnitt, eingeklemmt zwischen Autobahn und Güterbahngleisen – zugunsten des Baus eines Windrads knapp abgelehnt wurde. Dank Umut Gökbas und den zahlreichen empörten Schüler*innen des Gymnasiums kam die Abstimmung dann erneut aufs Parkett.
Im Juni 2021 lehnte die Gemeindeversammlung in Muttenz mit 118 zu 96 Stimmen das Windrad ab. Einige Schüler*innen des örtlichen Gymnasiums konnten die Ablehnung nicht fassen und starteten deshalb eine Petition, die das Projekt wieder aufnehmen sollte. 188 Schüler*innen unterschrieben. Umut Gökbas kam dadurch in Kontakt mit glp-Politiker Marc Herb – und der warb Gökbas direkt für seine Partei an. Die glp reichte schliesslich mit Verweis auf die Schüler*innen-Petition gemeinsam mit Grünen, SP und EVP einen Antrag zur Wiederaufnahme des Projekts ein, was zur erneuten Abstimmung führte.
Und so ist dieser dreieckige Gemeindesaal an diesem verschneiten Dezemberabend auch eine kleine Studie, inwiefern ein Umdenken in der Schweizer Gesellschaft stattgefunden hat: Wird die Dringlichkeit vom Ausbau der erneuerbaren Energien nun stärker anerkannt? Jetzt, wo der Ukrainekrieg die starke Abhängigkeit vom Ausland in Sachen Energieversorgung für die breite Masse deutlich gemacht hat; jetzt, wo die Energiepreise in Anbetracht dessen steigen.
So zumindest deutet Umut Gökbas das Ergebnis, dass die erneute Abstimmung über die tupfengleiche Vorlage anderthalb Jahre später im Gegensatz zu damals deutlich angenommen wurde:
«Es sind eben nicht nur ökologische Argumente, sondern Windkraft ist auch eine Frage der Versorgungssicherheit. Ich denke, die Meinungen haben sich deshalb bei einigen geändert.»
– Umut Gökbas, Schülersprecher Gymnasium Muttenz und Präsident junge Grünliberale beider Basel
Ein kleiner Indikator, der auf diesen Wandel hinweist, war bereits im Vorfeld der Gemeindeversammlung zu erkennen: Die Pro-Windrad-Parteien umfassen im Gegensatz zu 2021 nicht mehr nur Grüne, SP, GLP und EVP, sondern auch die damals noch skeptische Ortsfraktion der Mitte.
Bei der zweiten Abstimmung über das Windrad gab es letztlich auch keine wirklichen Gegenvoten mehr – zugegeben, nach anderthalb Stunden Budgetdiskussion wollten die Anwesenden die Abstimmung nicht noch zusätzlich hinauszögern. Selbst die SVP, die in Form von Gemeindekommissionspräsidentin Anita Biedert im Sommer 2021 stark gegen das Windradprojekt in Muttenz argumentiert hatte, wollte sich bei der Gemeindeversammlung nicht mehr exponieren.
Einzig Serge Carroz führte vor den knapp 300 Anwesenden aus, dass die Meinung seiner FDP sich ebensowenig geändert hätte wie die Ausgangslage. Auch die technischen Voraussetzungen seien die gleichen. Als er dann die Energiemangellage als ein kurzfristiges Problem bezeichnete, wurde er vom Saal regelrecht ausgelacht. Es folgte ein erneutes Einbringen der Gegenargumente: Gigantisches Objekt im Ortsbild, unproduktiver Standort, wenig gewonnene Energie, kurzum ein schlechtes Geschäft für Muttenz, nerviger «Lärm» (auch wenn der laut unabhängigem Gutachten für das Wohngebiet kaum lauter als das Surren eines Kühlschranks ist) – alles schon gehört, alles schon gelesen.
Windrad-Diskussion, die Dritte?
Die Meinungen schienen bereits gemacht, diskutiert man doch schon lange über die Windkraft. Einige im Saal schienen nach der langen Budgetdiskussion endlich abstimmen zu wollen, als der zuständige EVP-Gemeinderat und Regierungsrat Thomi Jourdan in seiner Präsentation ausführlich die Gegenargumente entkräftete. Tenor: Ja, das Windrad ist gross, und ja, das wird man schon von Muttenz aus sehen, und ja, es gibt lukrativere Standorte als hier, aber ja, es braucht eben auch jeden Schritt, um die Stromversorgung im Inland nachhaltig umzubauen.
Direkt nach der Abstimmung kündigte Daniel Schneider von der FDP an, ein Referendum starten zu wollen, damit die Windrad-Frage doch noch in Muttenz an der Urne beantwortet werden muss. Ein drittes Mal also? Die Stimmung im Saal schien zunächst so, als würden sich dafür keinesfalls genug Unterzeichnende finden. Im Tram auf dem Nachhauseweg grummelt ein älterer Mann mit Zustimmung seiner beiden Begleiterinnen doch noch: «Die grünen Moralaposteln sollen sich aber nicht wundern, wenn das hohe Ding am Ende wirklich da steht.» Da ist sie dann doch wieder, die «not-in-my-backyard»-Haltung.
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