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Ein Schwein und ein Schaf auf Rettungsmission

Blauer Himmel, graue Berge, grüne Wiesen – ein Wandertag wie aus dem Bilderbuch. Doch bis vor wenigen Jahren war es in den Alpen noch weniger grün. Heute ist das anders. Die Verbuschung durch die schädliche Grünerle nimmt zu. Können ein Schwein und ein Schaf unsere Alpweiden retten?

12/21/22, 11:00 AM

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Schwarze Alpenschweine

Schwarze Alpenschweine (Foto: reatch.ch)

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Die Grünerle lässt sich auch als «grüner Klimakiller» bezeichnen. Die Buschart richtet in den Alpen nämlich ziemlich viel Schaden an. Ein Hektar Grünerle hat denselben Effekt, wie wenn man mit einem Mittelklassewagen die 10’000 Kilometer Luftlinie vom Nordpol zum Äquator fahren würde. Schuld daran sind die sogenannten «Korallen», welche sich an den Wurzeln der Grünerlen bilden. In ihnen befindet sich ein Bakterium, welches eine Symbiose mit der Grünerle bildet und Stickstoff aus der Luft gewinnt. Dieser funktioniert wie künstlicher Dünger: Erst werden die anderen Pflanzen mitgedüngt, doch bald werden sie vertrieben. Ausserdem kann der Stickstoff den Boden versauern und in Form von Lachgas, das Treibhausgas, welches 300-mal schädlicher ist als Kohlenstoffdioxid, in die Luft gelangen. 

Unglücklicherweise ist die Grünerle der mit Abstand häufigste Busch in den Alpen. Durch sie nimmt die sogenannte Verbuschung stark zu, was gravierende Auswirkungen auf die Biodiversität hat. Diese nimmt stark ab. Sobald die Grünerlen die Hälfte einer Fläche bedecken, wird die Pflanzenvielfalt halbiert. Wiederum werden Insekten und Vögel seltener und die Böden versauern.

Früher verbreitet, heute Raritäten

Zwei «ProSpecieRara-Tiere» sollen gegen die Grünerle vorgehen. Wie der Name ProSpecieRara schon verrät, widmet sich diese Schweizerische Stiftung dem Schutz der kulturhistorischen und genetischen Vielfalt von Kulturpflanzen und Nutztieren. Das schwarze Alpenschwein ist eines davon. Seine Vorfahren lebten einst über den gesamten Alpenbogen verteilt. Überlebt haben jedoch nur wenige. Daher startete vor knapp zehn Jahren ein Rettungsprojekt, um verschiedene Typen des schwarzen Alpenschweins zu erhalten und zu züchten. 2018 wurden die Schweine in der Schweiz wieder angesiedelt; ein Jahr darauf gab es den ersten Zuchterfolg.

Alpenschweine sind wie gemacht für ein hartes Leben im Alpenraum. Sie sind robust, geländegängig und erleiden dank ihrer schwarzen Fellfarbe keinen Sonnenbrand. Die Alpenschweine sind im Berggebiet den ganzen Tag auf der Weide und benötigen deshalb keine Stall-Infrastruktur. Sie fressen auch von anderen Tieren verschmähtes Raufutter und tragen so zur Landschaftspflege bei. Unter anderem stehen verschiedene Buscharten auf ihrem Speiseplan - darunter auch die schädliche Grünerle. Im Gegensatz zu den Edel- oder Alpschweinen, die mit Molke gemästet werden, leben die Alpenschweine viel selbständiger. 

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Beim zweiten «Retter der Alpweiden» ist die Situation ähnlich. Das Engadinerschaf wird ebenfalls von ProSpecieRara geschützt und hat viele wichtige Vorteile gegenüber dem weit verbreiteten weissen Alpenschaf. Die alte Rasse starb im vergangenen Jahrhundert in den Alpen fast aus. Ein Grund dafür war, dass sie für Züchter:innen uninteressant waren, wegen des niedrigen Fettgehalts ihres Fleischs. Zurzeit erleben sie jedoch ein Revival - fettarmes Fleisch ist heutzutage gefragt. Ihre Widerstandsfähigkeit, die hohe Fruchtbarkeit und vor allem ihre Fressvorliebe machen sie zu den potenziellen Rettern der Alpen. Im Gegensatz zu ihrem weissen Pendant wagen sie sich in unwegsames Gelände vor und fressen dort Büsche wie die Grünerle.

Indem die Engadinerschafe die Rinde der Grünerle abknabbern, geben sie Pilzen und Bakterien die Chance, die Äste des Busches angreifen zu können. Nach einigen Sommern kann wieder eine Wiese entstehen, durch Aufforstung später vielleicht wieder Wald, der Kohlenstoffdioxid speichert und daraus Sauerstoff produzieren kann. Im Urserntal zeigte sich nach einem Versuch mit den in der Schweiz heimischen Engadinerschafen, dass bereits wieder Orchideen wachsen. Schon nach kurzer Einsatzzeit der Engadinerschafe kann ein Mosaik an artenreicher Vegetation entstehen und Tourist:innen anlocken.

Engadinerschafe

Engadinerschafe (Foto: Ester Unterfinger/swissinfo.ch)

Von der Alp auf den Teller

Wenn Tourist:innen bereit sind, für Produkte aus dem Alpgebiet mehr Geld auszugeben, hilft das dabei, die Weideflächen und die Biodiversität in Berggebieten aktiv zu schützen. Dafür eignet sich auch das Bio-Fleisch der beiden Nutztiere. Dessen Qualität ist sehr hoch und weist einen hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren auf. Genau diese fehlen dem modernen Schweinefleisch. Sie entstehen durch die ständige Bewegung der Tiere und deren langsames Wachstum. Das Fleisch wird kompakter und das Fett verteilt sich besser, was zum beliebten marmorierten Fleisch führt. 

Das Fleisch des Engadinerschafes ist fettarm und feinfaserig, was es zu einer besonderen Delikatesse macht. Es weist einen hohen Anteil an Mineralstoffen und Vitaminen der Gruppen A, B und C auf. Erwähnenswert ist zudem, dass das Fleisch nicht «schäfelet oder böckelet» wie man so schön sagt. Wer während drei Jahren Lammfleisch bekommen will, kann ein Bio-Lamm-Abo kaufen. Für die Landwirt:innen wie auch die lokale Gastronomie könnten dies zukünftig lukrative Einnahmequellen werden, mit denen der Tourismus in den Alpen angekurbelt werden kann. 

Beim Alpenschwein und dem Engadinerschaf ist die Wertschöpfungskette von der Landschaftspflege bis zum eigenen Teller vollständig gegeben. Die Tiere sind eine nachhaltige Lösung gegen die Verbuschung der Alpen, bei der traditionelles Kulturland erhalten oder gar wiederhergestellt wird. Ausserdem profitieren auch die Konsument:innen: Sie können nach einem Wandertag im Alpgebiet qualitativ hochwertiges Fleisch aus natürlicher Haltung geniessen.

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