Die Kosten des Nichtstuns

Die Umweltverantwortungsinitiative bleibt erwartungsgemäss chancenlos. Wie macht man mehrheitsfähige Klimapolitik, die sich an der Dringlichkeit der Klimakrise entspricht? Umweltforscherin Ruth Delzeit hat Vorschläge

Welt brennt
2024 lag die Erderwärmung erstmals bei über 1,5 Grad. (Bild: Adobe Stock)

2024 lag der durchschnittliche globale Temperaturanstieg seit Beginn der industriellen Revolution erstmals bei 1,5 Grad. Damit ist die Zielmarke überschritten, die vor bald zehn Jahren bei der Klimakonferenz in Paris gesetzt wurde. Zwar ist 2024 eine Momentaufnahme (der Temperaturanstieg ist auch durch das Klimaphänomen El Niño begünstigt) und die Entwicklung des Klimas muss dauerhaft beobachtet werden. Aber Klimaoptimismus hat die Meldung, begleitet von den Bildern der Waldbrände in LA, nicht gerade ausgelöst.

Vielleicht ist es also auch ein gewisses Gefühl der Resignation, das die Umweltverantwortungsinitiative (UVI) der jungen Grünen so chancenlos gemacht hat. Sie forderte einen radikalen Umbau des Wirtschaftssystems in der Schweiz. Es sollen nur noch so wenig Ressourcen verbraucht werden, wie die Erde selbst wieder regenerieren kann. Und es sollen nur noch so wenig Schadstoffe ausgestossen werden, wie die Erde selbst wieder abbauen kann. Und das bis in zehn Jahren.

«Eine wortgetreue Umsetzung der Initiative innerhalb von zehn Jahren wäre fraglich gewesen», sagt Ruth Delzeit, Professorin am Departement Umweltwissenschaften der Uni Basel. Ihre Forschung zu Landnutzungsänderungen bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Umwelt. Für die Wissenschaftlerin geht die Initiative, die keine direkten Massnahmen formuliert, eher in eine symbolische Richtung: «Ich verstehe den Appell als Weckruf an die Politik, dass sie sich mehr beeilen muss.»

Ruth Delzeit
«Die Kosten, die durch den Klimawandel entstehen, sind viel höher, wenn wir jetzt zu wenig Klimapolitik machen.»
Ruth Delzeit, Umweltwissenschaftlerin

Nun will sich die Bevölkerung diesem Weckruf allerdings nicht anschliessen. Bundesrat und Parlament haben vor Vorschriften, Verboten, sinkender Wirtschaftsleistung und damit teureren Produkten gewarnt. Und die Jungfreisinnigen machten Stimmung mit einer Aktion, in der sie suggerierten, wir würden wieder wie in der Steinzeit leben müssen, wenn die Initiative angenommen wird.

«Wir haben mit Windkraft, Solarenergie und Negativemissionstechnologie ganz andere Voraussetzungen als früher – nicht nur fossile Energie und Ressourcenverbrauch bringen Wohlstand», sagt Ruth Delzeit. Sie findet, dass die Initiant*innen es aber nicht geschafft hätten, das konsequente Gegenargument zu setzen: «Die volkswirtschaftlichen Kosten, die durch den Klimawandel entstehen, sind viel höher, wenn wir jetzt keine oder zu wenig Klimapolitik machen.»

Diese Logik ist Teil einer Klimakommunikation, die weniger alarmistisch und mehr «benefit-orientiert» auftritt. Sprich: Es ist günstiger für uns, wenn wir jetzt ordentliche Klimapolitik machen – denn die Kosten des Nichtstuns sind höher. Delzeit: «Die individuellen Vorteile von Massnahmen zum Erhalt unserer Umwelt müssen besser aufgezeigt werden. Zum Beispiel, indem man erklärt, dass weniger Fleischkonsum auch gesünder ist.»

Planetare Grenzen sind unsere Lebensgrundlage

Was die UVI aber schon richtig gemacht habe, sei der Fokus auf die sogenannten «planetaren Grenzen», findet Delzeit. Entgegen dem abstrakt wirkenden 1,5-Grad-Ziel macht das Wort klar: Es geht um die Erde als unsere Lebensgrundlage. Das Konzept umfasst neun Kategorien, neben dem Klimawandel auch Artensterben, Wasserverbrauch oder Bodennutzungen. Aktuell werden laut einer Studie die planetaren Grenzen in sechs von neun Kategorien überschritten.

Hier könnte wieder die Resignation einsetzen: Wieso soll die Schweiz sich so rigide Regeln setzen – wenn gleichzeitig die USA alle Klimaziele über Bord wirft und kein anderes Land schon Netto Null vorweisen kann?

«Klimapolitik ist immer eine globale Aufgabe», so Ruth Delzeit. Sie erzählt vom Konzept des Klimaklubs. Einen Zusammenschluss aller Länder, die in der Klimapolitik vorwärts machen wollen, gibt es bereits (inklusive der Schweiz) – allerdings fehlt bisher das Commitment für einen gemeinsamen CO2-Preis. «Wir haben in einer Studie die volkswirtschaftlichen Kosten und nationalen und koordinierten Klimapolitiken vergleichen. Die Kosten sind höher, wenn man alleine Klimapolitik machen will – im Vergleich zu einer kooperativen Politik mit einem gemeinsamen CO2-Preis», erklärt Delzeit.

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Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitik. Way too many Anglizismen.

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