«Rechthaberei ist das Ende jedes Gesprächs»
Trotz Digitalisierung führen wir heute bessere Gespräche als frühere Generationen, weil wir gelernt haben, über unsere Gefühle zu sprechen. Manchmal tun wir das aber fast schon obsessiv, findet die Philosophin Barbara Bleisch. Sie ist heute in Basel.
Heute kommt Barbara Bleisch in der Reihe UM Politics Talks ins Unternehmen Mitte. Das Thema des Abends: Gespräche. Das hat uns interssiert, wir baten um ein Gespräch. Bleisch bot uns ein schriftliches Interview an. Doch wir hatten so viele Nachfragen, dass wir am Schluss doch noch am Telefon landeten.
Barbara Bleisch, geboren 1973 in Basel, studierte Philosophie, Germanistik und Religionswissenschaften. Sie arbeitet heute als Journalistin und Moderatorin der Sternstunde Philosophie und als Philosophin in wissenschaftlichen Projekten. Bleisch ist eine präsente Figur in der Schweizer Medienlandschaft. Ihre Bücher sind Bestseller und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Frau Bleisch, nehmen wir an, ich sitze am Küchentisch und merke, dass mein Gegenüber extrem rassistische Sachen sagt. Ich bin überzeugt, dass seine Haltung falsch ist. Können wir dann ein gutes Gespräch führen?
Einfach wird das nicht! Philosophisch verstanden braucht das Gespräch den Selbstzweifel auf beiden Seiten, im Sinne von: Könnte an der anderen Position etwas dran sein?
Heisst das, man kann mit einem Rassisten ein gutes Gespräch führen?
Rassismus ist eine Ideologie, sie kennt keine Offenheit im Denken, sondern wertet Menschen ab aufgrund von Hautfarbe oder Herkunft. Jemand kann sich aber rassistisch äussern, ohne sich dessen bewusst zu sein, und doch ein Interesse daran haben, zu verstehen, was an seinen Aussagen problematisch ist. Dann kann ein Gespräch gelingen. Rechthaberei ist allerdings das Ende jedes Gesprächs.
Wie meinen Sie das?
In seinem Buch «On Liberty» verteidigt John Stuart Mill die Redefreiheit mit folgendem Argument: Entweder hat das Gegenüber einen Punkt, ich kann also von ihm lernen, auch wenn ich anderer Meinung bin; oder es liegt wirklich falsch, dann kann ich meine Argumente wiederum am Widerstand des Gegenübers wetzen. Bei Rechthaberei geht es aber nur darum, als Siegerin aus dem Gespräch herauszugehen. Also ums Recht haben, um des Rechthaben willens. Das hat mit einem Gespräch nichts mehr zu tun. Deshalb lade ich auch niemanden in die Sternstunden ein, von dem oder der ich im Vorhinein weiss, dass er oder sie nicht bereit ist, sich im Gespräch zu hinterfragen.
«Ich lade niemanden in die Sternstunden ein, von dem oder der ich im Vorhinein weiss, dass er oder sie nicht bereit ist, sich im Gespräch zu hinterfragen.»
Gespräche führen ist Ihr Beruf. Haben Sie schon Mal eine Person falsch eingeschätzt und dann in der Sendung gemerkt, dass es so kein Gespräch gibt?
Ja, das gibt es. Selten ist der Grund dafür aber diese Rechthaberei, sondern eher, dass es sehr prominente Leute sind, die eigentlich mit einem Interview rechnen und nicht mit einem Gespräch.
Was ist der Unterschied zwischen einem Interview und einem Gespräch?
Anders als im Interview gelingt ein Gespräch nur, wenn ich nicht berechnend bin, mein Gegenüber also nicht dazu bringen will, etwas Bestimmtes zu erzählen, sondern mich auf den Menschen mir gegenüber einstelle. Wenn meine Gäste mit einem Interview rechnen, legen sie sich ganz viele Antworten bereit, die sie vorgefertigt abfeuern. Sie brauchen dann eine Weile, bis sie merken, dass ich nicht an dieser Art von Antworten interessiert bin.
Und was machen Sie dann?
Nicht alle sind bereit, sich wirklich auf ein Gespräch einzulassen. Aber wir haben ja eine Stunde Zeit. Manchmal ist die erste Viertelstunde etwas ungelenk, dann fliesst's. Vom spätantiken Schriftsteller Plutarch gibt es übrigens den Ausspruch, der gute Zuhörer sei der Mitarbeiter des guten Redners. Ich glaube, das stimmt. Jemand kann nur gut reden, wenn ihm jemand gut zuhört. Ein Gespräch wird also umso besser, je genauer wir zuhören.
Das setzt einen Grundrespekt voraus.
Auf jeden Fall: Wer seinem Gegenüber die Leviten lesen will, führt kein Gespräch. Ebenso wenig sprechen wir aber mit unserem Gegenüber, wenn wir ihm schmeicheln wollen und unterwürfig sind. Gespräche verlangen nach Augenhöhe.
Heute kommt Barbara Bleisch in der Reihe UM Politics Talks. Das Thema des Abends: Gespräche.
Wo: Unternehmen Mitte
Wann: Mittwoch, 25.1. um 20 Uhr
Kulturpessimistisch wird heute oft beklagt, wir würden uns wegen Social Media und Whatsapp-Nachrichten gar nicht mehr richtig miteinander unterhalten. Führen wir heute schlechtere Gespräche als die Generationen unserer Eltern?
Nein, das glaube ich nicht. Frühere Generationen haben teilweise nicht miteinander, sondern leider oft aneinander vorbeigeredet. Miteinander reden heisst ja auch, sich wirklich zu öffnen, Gefühle preiszugeben. Das kann nur, wer überhaupt gelernt hat, die eigenen Gefühle zu reflektieren und zu formulieren.
Das können wir heute besser?
Das müsste eine Psychologin beantworten. Ich denke bloss, dass es in früheren Zeiten schneller schambehaftet war, sich seinem Gegenüber wirklich zu öffnen und auch Trauer, Verzweiflung und Kummer zu teilen. Heute tun wir das zuweilen vielleicht fast obsessiv.
Können Sie ein Beispiel machen?
Ein heikles Thema. Ich begrüsse sehr, dass wir gelernt haben, über unsere Gefühle zu reden und auf die Empfindlichkeiten anderer Rücksicht zu nehmen. Das ist ein Fortschritt. Ich finde allerdings, dass es im öffentlichen Raum manchmal zu sehr um Befindlichkeiten geht. Darüber habe ich auch kürzlich mit Hartmut Rosa gesprochen.
«Ich glaube, wir verändern nichts zum Guten, wenn wir uns dauernd fragen: Wie fühle ich mich dabei?»
Wollen Sie sagen, wir reden zu häufig über Gefühle?
Ich glaube, wir verändern nichts zum Guten, wenn wir uns dauernd fragen: Wie fühle ich mich dabei? Passt das für mich? Das hat auch etwas mit Kompromissbereitschaft zu tun: Nicht alles fühlt sich grossartig an. Es stimmt natürlich, dass die Lasten und Verletzlichkeiten in unserer Gesellschaft sehr ungleich verteilt sind. Deshalb braucht es neben dem Artikulieren von Gefühlen zwingend Forderungen nach Gerechtigkeit. Die kommen mir manchmal etwas zu kurz vor lauter Gefühlsäusserungen.
Nehmen wir an, ich bin Studentin und ich muss für ein Seminar einen Text lesen, der mich triggert, weil ich ihn kolonialistisch finde. Dann kann ich doch sagen: «Ich finde den Text furchtbar, er triggert mich. Aber ich lese ihn trotzdem, wenn er zum Unterrichtsstoff gehört.» Oder?
Erst mal: Ja, ruhig lesen, wir sollten uns auch mit diesen Texten befassen, sie wirken ja leider bis heute nach. Zweitens: Wenn Sie das nicht lesen wollen, dann reicht es nicht zu sagen, dass Sie sich getriggert fühlen. Dann müssen Sie argumentieren, warum so ein Text nicht mehr auf eine Leseliste gehört, und vielleicht finden Sie Gleichgesinnte. Das ist dann ein politisches Gespräch, das schwierige Themen argumentativ auf den Tisch bringt. Wir könnten dann, wenn ich den Text vorgeschlagen hätte, zu streiten beginnen, und das könnte lehrreich werden und etwas verändern. Aber was soll Ihr Gegenüber tun, wenn Sie sagen: «Ich fühle mich getriggert oder retraumatisiert.»? Einem Gefühl kann man nicht widersprechen, es ist aber auch kein Argument. Solche Gefühlsäusserungen sind oftmals der Gesprächsabbruch schlechthin. Und ich kann verstehen, dass zuweilen Gespräche abgebrochen werden. Zur Zeit geschieht es aber zu oft.
«Das gute Gespräch braucht vermutlich auch Räume des Schweigens und der Stille.»
Jetzt mal abseits von dieser Argumentation mit Gefühlen: Worüber wird zu viel geredet?
Ich glaube nicht, dass über etwas Bestimmtes zu viel geredet wird – wenn denn miteinander geredet wird. Oft wird aber nur gebrüllt oder vor sich hingebrabbelt. Die Meinungen sind dabei längst gemacht. Wir stehen heute unter einem grossen Meinungsdruck. Wehe, Du hast keine Meinung, keine Position! Dabei ist die Wahrheit selten schwarz-weiss, sondern voller Grautöne und Ambivalenzen. Ich wünschte mir öfters eine Rückfrage statt eine schnell gemachte Meinung.
Sie finden es also okay, wenn jemand mal sagt: Dazu habe ich noch keine Meinung?
Der französische Philosoph Gilles Deleuze sagte einmal, man müsse die Menschen nicht zum Reden bringen, sondern ihnen Räume der Einsamkeit geben, von denen aus sie etwas zu sagen hätten. Die wahre Unterdrückung bestünde also nicht darin, die Menschen am Reden zu hindern, sondern sie zum Reden zu zwingen. Ich finde, das hat was. Das gute Gespräch braucht vermutlich auch Räume des Schweigens und der Stille.
Warum?
Gegenwärtig herrscht ein veritabler Meinungsdruck, man muss zu allem sofort eine Meinung haben, möglichst kompromisslos, zugespitzt, und dann auch noch permanent auf Sendung sein. Das ist ein Problem. Wir sollten uns zurückziehen und nachdenken können.
Und dann vielleicht auch unsere Meinung mal ändern?
Genau. Was mich irritiert, ist die «Talkshowisierung» des öffentlichen Gesprächs: In einer Show führt man Meinungen auf - möglichst kontroverse noch dazu. Es ist nicht möglich, dass in so einer Show jemand sagt: «Aha, so habe ich mir das noch nie überlegt, jetzt komme ich zu einem total anderen Schluss als noch vor einer Woche.» Einsicht ist nicht das Ziel - sondern Konfrontation und Verhärtung.
Es geht also nicht um ein gutes Gespräch?
Nein. In einem guten Gespräch sind Erkenntnisgewinn und Meinungswechsel möglich.
kannst du auch als Bajour-Member. Und keine Meinung ist auch okay. So oder so: Willkommen an Bord!