«Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind instabil und unzuverlässig»
Julia Baumgartner wurde dieses Jahr Grossrätin und SP-Präsidentin. Im Interview blickt sie zurück auf hitzige Diskussionen über das Standortpaket, auf ihre Nähe zur Juso und prognostiziert, dass der Steuer-Direktabzug ihre Partei im 2026 umtreiben wird. Die Chorleiterin teilt zudem, welches Lied sie mit ihrer Partei einstudieren würde.
Julia Baumgartner, als frisch gewählte Parteipräsidentin sagten Sie im Mai zu Telebasel, es sei Ihnen wichtig, bei den Menschen zu sein. Gelingt Ihnen das neben Ihrem Grossratsmandat?
Ich versuche, möglichst bei der Basisarbeit präsent und im Austausch mit den Mitgliedern zu sein. Es ist natürlich eine Herausforderung, aber ich mache das nicht alleine, sondern mit dem Präsidiumsteam.
Sie haben zwei Vizepräsident*innen, Barbara Heer und Thomas Fastermann. Früher hatte die SP ein Co-Präsidium. Wünschen Sie sich das zurück?
Unsere Teamkonstellation funktioniert sehr gut und es gibt noch viel mehr Leute, die in der Partei Verantwortung mittragen. Ich bin aber nicht per se gegen ein Co-Präsidium.
Eine der wichtigsten Vorlagen dieses Jahr war das Standortpaket. Die SP fasste die Ja-Parole am Schluss deutlich, die Diskussionen im Vorfeld waren aber hitzig. Sind Sie froh, dass das Standortpaket schon beschlossene Sache war, als Sie Präsidentin wurden?
Es wird auch in Zukunft Diskussionen geben, weil wir unterschiedliche Haltungen haben – in der Fraktion, der Partei oder auch als Bewegung. Diese Vielfalt innerhalb der Partei sehe ich als eine grosse Stärke. Es ist wichtig, dass wir gute Diskussionsräume haben, in denen alle ihre Position darlegen dürfen und wir gemeinsam aushandeln, was die beste Position ist für uns als SP Basel-Stadt.
«Dieser Fonds für Innovation war und ist nicht mein Wunschszenario gewesen. Aber so ist Politik.»Julia Baumgartner, Präsidentin SP Basel-Stadt
Hand aufs Herz: Dass Steuergelder zurück an grosse Konzerne fliessen, ist nicht Ihr Verständnis von Umverteilung, oder?
Ja, ich habe das sehr kritisch beurteilt in den Debatten. Auch wenn ich anerkenne, dass die Elternzeit und die Klimaschutzmassnahmen relevante Verbesserungen sind, von denen die Gesellschaft profitieren kann. Man muss jetzt auch schauen, wie sich das Paket in der Praxis bewährt, kritisch begleiten und vielleicht auch wieder anpassen.
Gerade kürzlich hat der Regierungsrat mitgeteilt: 246,5 Millionen Franken werden in der ersten Förderperiode ausgezahlt, davon 6,25 Millionen Franken im Bereich Gesellschaft und Umwelt. 240 Millionen fliessen in die Innovation.
Grundsätzlich möchte ich, dass Konzerne Steuern zahlen und ihren Teil an unsere Gesellschaft beitragen. Geht es nach dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dann ist das sicher nicht ausgeschöpft. Zum Paket: Dieser Fonds für Innovation war und ist nicht mein Wunschszenario gewesen. Aber so ist Politik: Es handelt sich um eine Kompromisslösung, welche sowohl die Partei wie auch die Bevölkerung am Ende mit einer Mehrheit gutgeheissen hat.
Grüne und Basta haben kritisiert, dass die SP den Kompromiss mitträgt. Konnten Sie die Reihen wieder schliessen zu den anderen linken Parteien?
Das gibt es immer wieder innerhalb der Linken, dass wir Sachen unterschiedlich beurteilen und unterschiedliche Mittel zum Zweck nutzen. Diese Pluralität sollten wir wertschätzen. Wir sind jetzt in einem sehr guten Austausch, sowohl mit Basta als auch mit den Grünen.
Und wie steht’s um das Verhältnis von Juso und Mutterpartei in Basel? Als damals die Ja-Parole gefasst wurde, schien der Groll gross.
Ich bin immer noch passives Juso-Mitglied und habe einen sehr engen Austausch. Ich bin froh um ihre kritische Stimme innerhalb der SP und es tut uns auch gut, dass wir regelmässig intern unsere Positionen aushandeln und hinterfragen müssen, ob unser Kurs stimmt.
Seit 2025 ist Julia Baumgartner im Grossen Rat und sitzt dort in der Finanzkommission. Ihre Politikkarriere begann aber vorher: Sie war ab 2017 während zwei Jahren Zentralsekretärin bei der Juso Schweiz und übernahm 2023 das gleiche Amt bei den SP Frauen Schweiz. Im Mai 2025 wurde sie als Nachfolgerin von Lisa Mathys zur Präsidentin der Basler Sozialdemokrat*innen gewählt. Sie ist ausserdem Präsidentin des Schweizer Jugendchors sowie Co-Präsidentin und Co-Dirigentin des Jugendchors beider Basel.
Ist Ihre Nähe zur Juso für Ihre Rolle als Parteipräsidentin hilfreich oder erschwerend?
Ich glaube, meine vielen Erfahrungen bei den Jusos helfen mir in der Rolle als Parteipräsidentin.
Können Sie ein Beispiel machen?
Die ganze Mobilisierungs- und Bildungsarbeit, die doch auch ein wichtiger Teil der parteipolitischen Arbeit ist. Sie schärft das Bewusstsein, dass wir an der Zugänglichkeit und Vielfalt der Partei arbeiten müssen. Das ist etwas, was ich von der Juso mitbringe.
Mit Blick auf die letzte Abstimmung sagte Politgeograf Michael Herrmann, heute könnten die Jungparteien die Mutterparteien nicht mehr vor sich hintreiben. Seine Analyse im Fall der Erbschaftssteuer war: Das Ergebnis habe am Schluss den Gegner*innen genützt. Wie ist das in Basel?
Die Juso ist eine eigenständige Organisation, die eigenständige Positionen fasst und Initiativen lanciert. Und das ist für den Gesamtdiskurs extrem wichtig. Die Juso hat mit der Initiative für eine Zukunft die wachsende Ungleichheit wieder zur Diskussion gemacht. Das hilft unseren Anliegen.
«Ich bin froh um die kritische Stimme der Juso innerhalb der SP.»Julia Baumgartner, Präsidentin SP Basel-Stadt
Was hat die SP 2025 in Basel bewegt?
Die finanzielle Sicherheit der Menschen in diesem Kanton beschäftigt uns sehr. Im Sommer haben wir es geschafft, unsere Motion für einen Prämiendeckel ein zweites Mal zu überweisen. Die Lebenshaltungskosten sind hoch und gerade die Krankenkassenprämien belasten die Menschen sehr fest. Dass wir da vorwärts machen, ist sicher ein grosser Erfolg. Ebenfalls beschäftigt hat der Wohnschutz.
Sie können aber nicht zufrieden sein, in welche Richtung sich dieser entwickelt.
Der Regierungsrat hat dieses Jahr die Verordnung angepasst. Die Bürgerlichen wollten aber nicht abwarten, wie sich diese Lockerungen auswirken und haben sich jetzt für eine Schwächung des Wohnschutzes durchgesetzt. Das zeigt, dass die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sehr instabil und unzuverlässig sind. Es kommt wirklich auf jede Stimme an und braucht sehr viel Zusammenarbeit über die Linke hinaus.
Aufgrund der Verhältnisse wurde es auch beim Bebauungsplan von Roche knapp. Stichwort Bau 52, den die Roche jetzt abreissen darf. Die SP wollte auch das nicht.
Spannend fand ich, dass von den Medien und von den Bürgerlichen unsere Position als generelles Misstrauen gegenüber der Pharma ausgelegt worden ist.
Was nicht stimmt?
Nein. Es war eine ganz einfache demokratische Debatte über unser Stadtbild und die architekturhistorische Komponente des Baus 52, aber auch über Klimaanforderungen und Überlegungen, wieso man Gebäude abreisst oder wie man Anwohner*innen mitnimmt. Und vor lauter Bau 52 ist es dann in der Diskussion wenig um Themen wie Klimaschutz und Velowege oder eine Durchwegung gegangen.
Sprechen wir über Klimapolitik. Was will die SP in diesem Bereich anpacken?
Auch wenn der Kanton einen ganzen Massnahmenplan für das Netto-Null-Ziel hat, müssen wir immer wieder daran denken: Das Thema hat absolute Dringlichkeit. Es reicht nicht, ein bisschen darüber zu reden, wo wir in der Stadt mehr Schatten haben könnten. Wir müssen mutiger sein.
Weil Albert Rösti am Rheintunnel festhalten will, haben Linke bereits Widerstand angekündigt, auch die SP. Ist es nicht ein üblicher demokratischer Prozess, dass Themen auch nach einer Abstimmung erneut aufgenommen werden? So wie beim Einwohner*innen-Stimmrecht zum Beispiel.
Spannend ist doch, dass wir erst vor einem Jahr über den Autobahnausbau abgestimmt haben und dieser national abgelehnt wurde. Das war schon ein starkes Zeichen in einem bürgerlichen Land wie der Schweiz. Den Vergleich mit dem Einwohner*innen-Stimmrecht finde ich nicht passend, denn da hat man zuerst 14 Jahre lang am Diskurs gearbeitet, bevor die Bevölkerung erneut darüber abgestimmt hat. Mir fehlt, dass aus Bern zuerst andere Vorschläge kommen, um das Verkehrsproblem zu lösen.
«Es reicht nicht, ein bisschen darüber zu reden, wo wir in der Stadt mehr Schatten haben könnten.»Julia Baumgartner, Präsidentin SP Basel-Stadt
Teil Ihres persönlichen Wahlslogans war: Basel feministisch gestalten. Dieses Jahr ist das neue Gleichstellungsgesetz in Kraft getreten. Worauf fokussiert sich die SP in diesem Bereich als nächstes?
Eine der drängendsten Herausforderungen punkto Gleichstellung – sowohl kantonal als auch national – ist die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer, sexualisierter und häuslicher Gewalt. Im Bereich der Täterarbeit würde ich mir wünschen, dass der Kanton vorwärts macht. Die Prävention muss einen viel höheren Stellenwert haben.
Was braucht es konkret?
Wir haben jetzt zum Beispiel ein Lernprogramm für Tatpersonen von sexualisierter Gewalt. Das muss aber auch umgesetzt werden: Die Gerichte müssen Kenntnis davon haben und anordnen, dass dieses Programm besucht wird. Es gibt auch eine neue Hotline für Betroffene von Gewalt. Sie muss so arbeiten, dass Menschen sich wirklich aus gewaltvollen Beziehungen herauslösen können und Unterstützung erhalten. Für diese Themen müssen genügend Ressourcen gesprochen werden.
Das alles spielt in den Bereich Sicherheit. Die SP arbeitete dazu mal an einem Positionspapier. Steht das auf Ihrer To-Do-Liste?
In unserem Kanton haben wir uns in den letzten Jahren im Bereich Sicherheit immer mit der Polizei oder einzelnen Hotspots beschäftigt. Eigentlich geht es um viel mehr: soziale Gerechtigkeit, die Sicherheit, dass Menschen ihre Rechnungen zahlen und von ihrem Lohn leben können, dass Kinder sichere Schulwege haben, dass wir durch Klimaschutz Zukunftssicherheit haben. Ich glaube, es ist nicht so zentral, hier ein Papier zu verfassen und dann auf der Website zu verlinken. Es ist zentral, dass wir dieses Verständnis von Sicherheit in unserer täglichen Politik mitdenken.
Gibt es etwas, das der SP mit Blick aufs Politjahr 2026 Sorgen macht?
Von bürgerlicher Seite kommen viele Vorschläge, um Steuern zu senken. Sie verkaufen das unter dem Deckmantel der Stärkung der Kaufkraft, aber letztlich führen ihre Vorschläge dazu, dass man über finanziellen Abbau sprechen will.
Wo zum Beispiel?
Es wird immer wieder gesagt, dass wir genauer schauen müssen, wofür der Kanton Geld ausgibt. Das macht mir Bauchweh. Es ist wichtig, dass wir einen starken Service Public haben, dass wir in Bildung, das soziale Netz, Klimaschutz oder Arbeitsbedingungen investieren. Da müssen wir aufzeigen, dass die Investitionen unserer Steuergelder notwendig sind für eine sichere Zukunft.
SP-Finanzdirektorin Tanja Soland sagt aber auch regelmässig, dass nicht immer neue Begehrlichkeiten aus dem Parlament kommen können.
Ja, das ist ihre Rolle als Finanzdirektorin. Aber wenn wir die finanzielle Lage des Kantons anschauen, stehen wir sehr gut da. Auch im Vergleich zu anderen Kantonen. Ich sehe keinen Anlass, den Rotstift anzusetzen.
«Im Bereich der Täterarbeit würde ich mir wünschen, dass der Kanton vorwärts macht.»Julia Baumgartner, Präsidentin SP Basel-Stadt
Gibt es für die SP einen Fokus mit Blick aufs kommende Jahr?
Die bürgerlichen Verbände und Parteien sammeln aktuell Unterschriften gegen den Direktabzug.
Sie haben das Thema in einer Initiative aufgenommen, der Grosse Rat hat einem Gegenvorschlag zugestimmt, der einen pauschalen Lohnabzug von 10 Prozent bei Firmen ab 50 Mitarbeitenden vorsieht. Dieser Abzug würde direkt ans Steueramt gehen.
Falls das Referendum zustande kommt – was ich angesichts der finanziellen Mittel der bürgerlichen Parteien und Verbände nicht für unwahrscheinlich halte – wird uns das Thema nächstes Jahr sicher beschäftigen. Es handelt sich um ein wichtiges Instrument zur Schuldenprävention. Es ist einfach, freiwillig und wirksam.
Sie sind neben Ihrer politischen Arbeit auch Chorleiterin. Wenn Sie mit der SP ein Lied für 2026 einstudieren müssten: Welches wäre es?
(überlegt kurz) Ich glaube: die Internationale. Ich würde auf jeden Fall ein Lied der Arbeiter*innenbewegung einstudieren.