«Ich bin ein Spezialist für das Tragikomische»

Liebe, Hass, Intrigen, Politik und Verbrechen: Der neue Roman von Robert Menasse «Die Erweiterung» ist ein Feuerwerk an Figuren und Geschichten. Im Fokus: Albanien, das der EU beitreten möchte, aber seit Jahren vertröstet wird. Kulturjournalistin Esther Schneider spricht mit dem österreichischen Autor über die Widersprüchlichkeiten der EU-Politik.

NICHT VERWENDEN!
«Österreich ist nicht meine Heimat. Heimatgefühle habe ich in Wien.» – Schriftsteller Robert Menasse.

Die EU lässt den österreichischen Autor Robert Menasse nicht los. Nach «Die Hauptstadt» legt er mit «Die Erweiterung» den zweiten EU-Roman vor. Wieder ist es ein Feuerwerk an Figuren und Geschichten.

Diesmal geht es um die Osterweiterung der EU und da steht Albanien im Fokus. Ein Land, das der EU beitreten möchte, aber seit Jahren vertröstet wird. Daraus entwickelt Robert Menasse eine turbulente Geschichte, die von der ersten Seite an packt. Da geht es um alles: Liebe, Hass, Intrigen, Politik und Verbrechen.

Robert Menasse nimmt die Widersprüchlichkeiten der EU-Politik auf geistreiche und satirische Art unter die Lupe und bleibt dabei ganz nahe an den Menschen. Kulturjournalistin Esther Schneider hat den Autor Robert Menasse getroffen.

«Symbolpolitik ist eine Krankheit unserer Zeit. Vor allem Machtmenschen arbeiten gern damit.»

von Schriftsteller Robert Menasse

Robert Menasse, der EU-Beitrittskandidat Albanien als Schauplatz für einen Roman. Was ist daran so faszinierend?

Bei der Beschäftigung mit diesem Roman, für den ich auch längere Zeit in Albanien war, habe ich ganz Grundsätzliches gelernt. Nämlich, wie Politik zwischen europäischen Staaten und Nichtmitgliedstaaten funktioniert. Und ich habe gesehen, wie die Menschen in Albanien die Hoffnung auf einen EU-Beitritt mit persönlichen Perspektiven verbinden. Das interessiert mich als Autor.

Im Roman spielt der Helm eines mittelalterlichen albanischen Helden eine wichtige Rolle. Der Präsident Albaniens soll sich symbolisch den Helm des Nationalhelden Skanderbeg aufsetzen, um die EU herauszufordern. Ein Helm als Provokation?

Wenn man mit Realpolitik nicht weiterkommt, muss man Bewegung hineinbringen, zum Beispiel mit Symbolpolitik. Das tut der Ministerpräsident Albaniens in meinem Buch mit dieser Geste. Dieser Helm gehörte einem Helden, der im Mittelalter alle Albaner vereinigt hat. Damit deutet er an: Okay, die EU will uns nicht, also gründen wir ein Grossalbanien. Aber dann wäre am Balkan alles in Frage gestellt, was seit Jahren so mühsam ausbalanciert wird. Dann brennt eine Lunte am Balkan und das ist sehr gefährlich. Das kann die EU nicht wollen. Ich habe das aufgegriffen und fiktionalisiert. Und es ist ja witzig, dass es für eine solche symbolpolitische Signalhandlung tatsächlich ein materielles Symbol gibt, eben diesen Helm des Skanderbeg.

NICHT VERWENDEN!
Zur Person

Robert Menasse ist ein österreichischer Schriftsteller. Er lebt hauptsächlich in Wien und schreibt neben Romanen auch Essays. Seine Texte und Bücher zeichnen sich durch «Witz, Schärfe und Ironie» aus. Das gilt auch für seine beiden EU-Romane «Die Hauptstadt» und die «Erweiterung».

Die Idee, mit dem Helm des Helden Skanderbeg die EU aufzuschrecken, hatte ein Dichter im Beratungsstab des Präsidenten. Albanien hat tatsächlich einen Ministerpräsidenten, der einen Dichter im Beraterstab hat. Bräuchte es mehr Dichter in der Politik?

Ich weiss es nicht. Aber der albanische Ministerpräsident Edi Rama ist ja selber auch ein Künstler. Und er hat mal gesagt, er brauche Dichter und Künstler in seinem Team, weil sie «out of the box» denken können und Phantasie haben. Solche Menschen wissen natürlich, was ein Symbol und was eine Metapher ist. Und das hilft, wenn alles blockiert ist und man mit Realpolitik nicht weiterkommt.

Glaubst du persönlich, dass Symbolpolitik funktioniert?

Ich weiss nur, dass es übertrieben oft praktiziert wird. Ich würde sogar sagen, es ist eine Krankheit unserer Zeit. Vor allem Machtmenschen arbeiten gern damit. Da sagt ein Politiker zum Beispiel: «Ich schliesse die Balkanroute.» Das ist absurd. Die Balkanroute ist ja keine Autobahn. Also ist es reine Symbolpolitik. Aber damit lassen sich Wahlen gewinnen. Symbolpolitik ist zweischneidig. Man kann damit Menschen blöd machen oder man kann auf kreative, witzige Art Dinge in Bewegung bringen.

«Die Schweiz sollte die EU einladen, in die Schweiz einzutreten.»

von Schriftsteller Robert Menasse

Nicht nur Symbolpolitik ist in deinem Roman ein Thema, auch der Nationalismus und die Gefahr, die von ihm für die Europäische Union ausgeht. Was wäre dein Rat?

Die EU ist der Versuch ein nachnationales Europa herzustellen. Die grossen Fortschritte sind nicht selbstverständlich. Also macht euch bewusst, dass alles in kleinen Schritten erkämpft werden muss und voller Widersprüche ist. Die EU ist noch unvollendet, ein Fragment und sie ist bedroht. Also lasst euch bitte verzaubern vom Glanz der Idee und lasst euch nicht verführen von den Nationalisten.

Die Schweiz liegt mitten in Europa, ist aber nicht in der EU. Was könnte die EU-skeptische Schweiz beitragen?

Mein Rat an die Schweiz ist folgender: Sie sollte die EU einladen, in die Schweiz einzutreten. (lacht)

Im Ernst?

Ja, das ist kein Scherz. Die Schweiz könnte ihre Erfahrungen und all das, was sie im Kern ausmacht, in die EU einbringen. Die Schweiz ist vielsprachig, multikulturell, föderalistisch und radikaldemokratisch. Der Kanton ist wichtiger als die Nation. Also die Schweiz erfüllt schon jetzt im Kleinen, was man sich für die EU wünscht. Das ist doch ein guter Vorschlag.

«Vergiss den Spruch vom Glas, der besagt, für Optimisten ist das Glas halbvoll für Pessimisten halbleer. Das ist Quatsch. Wenn du ein Glas siehst, dann solltest du fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, nachzuschenken.»

von Schriftsteller Robert Menasse

Du lebst in Österreich, einem EU-Land. Wie würdest du dich bezeichnen? Als Wiener, Osterreicher oder Europäer?

Österreich ist nicht meine Heimat. Heimatgefühle habe ich in Wien. Da bin ich aufgewachsen. Da kenne ich mich aus, bin vertraut mit den Mentalitäten, den Gerüchen, der Kultur, auch der Kulturlosigkeit. Da habe ich Erinnerungen. Das ist zum Beispiel im Tirol nicht so. Da fühle ich mich nicht heimisch, obwohl es auch zu Österreich gehört.

In einer Dankesrede für den Max Frisch-Preis, der dir 2014 verliehen wurde, hast du gesagt: Max Frisch bringe die Leser dazu, sich den Fragen zu stellen. Welchen Fragen soll man sich bei deinem Buch «Die Erweiterung» stellen?

Ich wünsche mir, dass sich die Lesenden bei der Lektüre die grundlegenden Fragen unserer Zeit stellen. Also: Was haben wir für Probleme, warum können wir sie nicht lösen? Woran scheitern wir? Was haben wir für Hoffnungen und welche Ängste plagen uns? Und vor allem: Wie wollen wir wirklich leben und was hindert uns daran?

Nun, das sind wirklich die zentralen Fragen des Lebens.

Das sind sie. Und dann möchte ich am Ende des Romans allen noch sagen: «Vergiss den Spruch vom Glas, der besagt, für Optimisten ist das Glas halbvoll für Pessimisten halbleer. Das ist Quatsch. Wenn du ein Glas siehst, dann solltest du fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, nachzuschenken. Das macht doch viel mehr Sinn, oder?

esther_Schneider
Esther Schneider spricht in ihrem Podcast «Literatur Pur» regelmässig mit Autor*innen. Wir von Bajour dürfen die Gespräche als schriftliche Interviews aufbereiten. Weil Literatur es wert ist.

Das ganze Gespräch ist zu hören im Podcast LiteraturPur.

Hier geht es zum Podcast.

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