«Jetzt sind wir in der Mitte der Fasnacht akzeptiert»

Erstmals werden die Wilden und Freien Schnitzelbänkler*innen bei der offiziellen Medienorientierung des Fasnachts-Comités vertreten sein. Für sie kommt es einer Akzeptanz gleich. Ein Interview von Fasnachts-Newbie David Rutschmann.

Schnitzelbank Wild und Frei
Ein bisschen Altenativkultur unter den Schnitzelbänken: Der Schlussobe der IG WuF vergangene Fasnacht.

Am kommenden Freitag findet die Medienorientierung des Fasnachts-Comités statt, wo quasi der Fahrplan für die Basler Fasnacht 2024 bekannt gegeben wird. Zum ersten Mal ist dort auch die IG WuF dabei, die das Programm der wilden und freien Schnitzelbänke präsentieren wird. Was genau das ist? Das hat sich unser Redaktor David Rutschmann gefragt. Als aus Zugezogener ist er noch immer Newbie, was die Gepflogenheiten der Basler Fasnacht anbelangt. Also hat er sich mit Ober-WuFler Philipp Schopfer getroffen, um zu erfahren, warum die wilden und freien Schnitzelbänke überhaupt so anders sind.

Philipp Schopfer, die wilden und freien Bänke werden am Freitag zum ersten Mal bei der Medienorientierung des Fasnachts-Comités dabei sein. Was sind denn überhaupt die «wilden und freien Bänke»?

Das sind Schnitzelbänkler, die nicht Teil der organisierten Fasnacht sind. Auch wir singen unsere satirischen Verse. Aber wir haben im Gegensatz zu den organisierten Schnitzelbänklern keinen festen Routen- und Zeitplan und ziehen einfach von Beiz zu Beiz und in die Fasnachtskeller. 

Ist das nicht doof für die Beizen, wenn sie gar nicht wissen, wann ihr vorbeikommt?

Die Beizen sind froh, wenn wir vorbeikommen. Denn wir gehen auch in viele, eher kleinere Lokale, in denen sonst keine Schnitzelbänke stattfinden. Vor allem im Kleinbasel steuern wir viel mehr Beizen an. Aber auch die etablierten Beizen freuen sich – gerade erst habe ich dem Hotel Basel zugesagt. Denn die Beizen zahlen uns keine Gagen, wie das bei der organisierten Fasnacht üblich ist.

Seid ihr antikapitalistisch? Oder einfach nicht gut genug, um Geld zu verlangen?

Nein, das gar nicht. Wir sind froh, wenn uns die Getränke gezahlt werden, aber uns geht es nicht ums Geld. Denn wir sind nicht organisiert und haben deshalb nichts zu bezahlen. Jeder von uns schreibt seine Verse selbst, die Unkosten für Zeeddel und Helge trägt jeder selbst.

Bitte was?

Der Zeeddel ist das Papier, das wir nach dem Vorlesen verteilen - im Gegensatz zu den organisierten Bänken tragen wir unsere Verse auswendig vor. Und der Helge ist das selbstgemalte Bild, das wir dazu hochhalten.

Capito. Aber ihr seid trotzdem weniger gut als die «grossen» Schnitzelbänke, oder?

Die Qualität der wilden und freien Bänke hat enorm zugenommen. Ich würde sagen, wir sind mittlerweile ebenbürtig. Bei uns gibt es keine Ghostwriter, aber wir haben zweimal im Jahr eine sogenannte «Väärsschüttlete». Dort kommen wir zusammen, tauschen Verse aus und unterstützen uns gegenseitig. Wenn im Chat jemand schreibt, dass er eine Schreibblockade hat, bekommt er sofort Inputs. So entsteht eine Themenvielfalt, die andere Bänke nicht so haben. Wenn du 20 mal hörst, der FCB ist schlecht, bleibt dir der Schnitzelbänkler, der einen anderen Zugang zum Thema findet.

Philipp Schopfer
Ober-WuFler Philipp Schopfer.

Schnitzelbank-Brainstorming quasi. Aber sollte man nicht die besten Pointen eher für sich behalten?

Ich glaube, in den organisierten Schnitzelbänken gibt es durchaus Neid und Ellbögele. Aber die Väärsschüttlete ermöglicht eine Themenvielfalt, die andere Bänke nicht haben. In gewissen Gesellschaften möchte jeder der Beste sein und hervorstechen, aber für mich ist immer noch das Publikum das Entscheidende. Wir freuen uns für jeden, dessen Pointe ankommt. 

Puh, aber die Schnitzelbank-Szene klingt ein bisschen wie ein Haifischbecken.

Ja, und wir sind da der sanfte Einstieg.

Inwiefern?

Wir haben gar keinen Druck, man muss bei den Wilden und Freien keine Spitzenbank sein. Schnitzelbank ist keine Leistungsschau, das ist Unterhaltung. Bei uns musst du nicht vorsingen, um zu beweisen, dass du gut genug bist, um eine Gesellschaft zu vertreten. Deshalb haben wir auch viel Nachwuchsbänke bei uns, die erst seit einem Jahr singen. Wenn du anfangen willst, fängst du wild an. Deshalb konnten uns die Fasnachtsgesellschaften auch nicht mehr ignorieren: Sie sind zum Teil überaltert und auf den Nachwuchs angewiesen. 

Wieso haben die euch denn bisher ignoriert?

Man hat uns Jahre lang an den Rand gedrängt. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass es Bänke gab, die beim Publikum nicht gut angekommen sind oder uns als Hindernis angeschaut haben. Es hat viel Verständnis von unserer Seite gebraucht. Aber die Akzeptanz ist gewachsen, vor allem im letzten Jahr hat sich viel geändert. Wir haben ein Level erreicht, auf dem wir für die Organisationen interessant werden.

«Wir können es nicht vertreten, wenn man in der Schnitzelbank etwas singt, nur weil man denkt, dass es lustig ist.»

von Philipp Schopfer, Ober-WuFler

Wenn ihr nun beim hochoffiziellen Medienanlass dabei seid, werdet ihr also aufgenommen in die elitären Reigen der Fasnacht?

Nein, wir werden nie elitär werden und wir empfinden eigentlich auch die anderen nicht extrem als elitär. Für uns ist es eine Ehre. Ich glaube, es ist eher so, dass wir nach Jahren am Rand der Fasnacht langsam in der Mitte der Fasnacht ankommen. Das ist für uns ein Qualitätsbeweis. 

Nicht nur die Wilden und Freien werden eingemittet, auch mit dem Codex gegen Diskrimierung wird der Fasnacht Manieren beigebracht, oder?

Für mich ist der Leitfaden schwierig, weil ich denke, dass man noch weiter eingegrenzt wird, als das Gesetz voraussetzt. Wir halten uns sowieso an das Gesetz und ich glaube jeder ist sich bewusst, dass gewisse Dinge nicht lustig sind. Meine Schnitzelbank singt keine Verse unter der Gürtellinie, weil das nicht unser Stil ist. Wir können es nicht vertreten, wenn man in der Schnitzelbank etwas singt, nur weil man denkt, dass es lustig ist. Heikle Themen können auch geschmackvoll zweideutig verpackt werden, das ist ja die hohe Kunst.

So richtig vogelfrei also, wie das Fasnachtsmotto.

Wir wollen frei wie ein Vogel Fasnacht feiern, aber nicht vogelfrei. Man muss nur mal bei Wikipedia schauen, was das Wort bedeutet: Über Vogelfreie wurde die Strafe der Ächtung verhängt. Es bedeutet, dass man zum Abschuss freigegeben wird. Wenn du im Mittelalter als vogelfrei erklärt wurdest, durfte man ungestraft alles mit dir machen. Einige von uns Wilden und Freien haben sich so gefühlt: Von oben herab geächtet. Für uns ist die Zeit jetzt aber vorbei.

Das ist ja schon auch Kritik am Comité. Werdet ihr da nicht schnurstracks zurückgepfiffen?

Einer der Obmänner von einer Bankorganisation hat mir gesagt: Als Freier und Wilder Ober-WuFler darfst du so etwas sagen. 

2024-01-30 Frage des Tages Fasnachtsregeln-2
Woke Fasnacht?

Es ist ein Novum: Erstmals gibt das Fasnachts-Comité einen Leitfaden gegen Rassismus heraus. Darin legt es fest, welche Grenzen Fasnächtler*innen einhalten müssen. Das Comité stellt dabei klar: Satire ist erwünscht, rassistische Entgleisungen nicht. Immer wieder gab es Diskussionen um grenzwertige Sujets, Kostüme, Logos oder Cliquennamen. Jetzt will das Comité Klarheit schaffen. Im Leitfaden heisst es: «Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Sexismus, Beschimpfungen und Beleidigungen, Herabwürdigung von Andersdenkenden und Andersfühlenden sowie alle Formen von diskriminierendem Verhalten entsprechen nicht dem Geist der Basler Fasnacht.» Das Comité als Organisatorin des offiziellen Teils der Fasnacht hat aber nur bedingten Handlungsspielraum: «Wir sind keine Zensurbehörde», sagt der Kommunikationsverantwortliche Daniel Hanimann zu SRF. Das Comité könne nichts befehlen, sondern lediglich empfehlen. Es kann aber schlechte Noten verteilen, was für betroffene Cliquen weniger Subventionen bedeutet.

Wir diskutieren bei unserer Frage des Tages über das Thema.

Zur Debatte

Ober-WuFler – das hat vermutlich nichts mit Hunden zu tun?

Die IG WuF ist die Interessensgemeinschaft Wild und Frei. Die beiden Ober-WuFler sind Zeno Strebel und ich – einen Obmann haben wir bewusst nicht. 

Wenn ihr alle wild und frei seid, warum braucht es dann sowas? Das ist ja dann quasi die Organisation der Unorganisierten.

Nein, wir sind ein wilder Haufen, eine Grossfamilie, in der gewisse Strukturen entstanden sind. Das hilft uns, damit die Wilde Fasnacht mehr Sichtbarkeit bekommt. Wir können in mehr Beizen spielen. Wir machen für die Wilden und Freien einen Fernsehabend möglich, unser Bunter Abend im Valhalla wird im regioTVplus übertragen. Und wir gehen in den Altersheimen vorbei, für einen sozialen Fasnachtsnachmittag: Wir bringen den alten Fasnächtlern die Fasnacht ins Altersheim.

Das klingt für mich alles so sozial, antielitär, antikapitalistisch, gemeinnützig. Seid ihr die linke Fasnacht?

Links würde ich nicht sagen. Wir haben Schnitzelbänke aus dem gesamten politischen Spektrum bei uns. Wir haben sehr konservative bis rechtsbürgerliche Leute, aber auch Jusos. Das hat bei uns alles Platz, weil uns in erster Linie der Mit-Schnitzelbänkler im Vordergrund ist. Oder generell: Mit-Fasnächtler. Wir haben in der IG WuF Wagencliquen und eine Gugge. 

Ich dachte Cliquen und Guggen mögen sich nicht so gern?

Andere Fasnachten kennen diese Abgrenzung nicht so wie wir in Basel, da können wir uns noch eine Scheibe davon abschneiden. Aber bei uns Wilden und Freien sind wir eine Familie. 

Seid ihr dann auch so offen, dass ich als Deutscher Umzug und Konfetti sagen darf?

Das ist dein Dialekt, das darfst du so sagen. Natürlich kann es sein, dass jemand dann sagt: «Du, Umzug heisst bei uns, den Stuhl von einem Büro ins andere zu verschieben. Wir nennen das Cortége.» Aber hässig wäre bei uns niemand.

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