Ein Stück Ewigkeit

Die Fasnacht enthält, während sie stattfindet, das ganze Leben und den Tod, ist sie ja selber ein Stück Ewigkeit.

Post Morgenstreich 2024
(Bild: Michelle Isler)

Sie stehen neben mir, am Rand der Freien Strasse, gegen 24 Uhr, vor der ehemaligen Hauptpost, für mich wird sie immer die Hauptpost bleiben, gegenüber steht der Fasnachtstempel Schlüssel. Eine ungeheure Portion Fasnacht marschiert an uns vorbei: Gugge im spätabendlichen Schränzrausch, ultradynamische Trommelgruppen, ultraakademische Piccolotruppen, grosse Cliquen, kleine Ziigli, die ganze geballte Ladung. 

Sie stehen neben mir, trinken Weisswein und Bier, rauchen, machen Sprüche – und etwas im Ryslaifer-Kopf fragt sich plötzlich: «Dürfen die das schon?» Sie stehen jetzt gerade neben mir während unser Schyssdräggziigli jenen traditionellen Halt machen, den wir schon immer einlegt haben, schon lange bevor «sie» auf die Welt gekommen sind. Und ja «sie dürfen», dies nun schon seit einiger Zeit.

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Während der Basler Fasnacht 2024 begleiten uns die Kolumnen vom Ryslaifer. Jeden Tag gibt der Ryslaifer uns Einblick in die Fasnachtsseele.

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Wenn sie gerade mögen

Sie sind aufmüpfig und eigenwillig, haben ihren eigenen Humor und ihre eigenen Codes, gleichzeitig machen sie auch heute noch mit uns Fasnacht, wenn sie gerade mögen oder Zeit haben: Die Kinder die in unserem Schyssdräggziigli aufgewachsen sind, vom Vordraab in allerlei Wäägeli durch die Fasnacht gezogen wurden, dann selber als freche kleine Vordrääbler wacker mitgelaufen sind, bei jedem Halt Zivilisten mir Räppliattacken überfallen haben. Später lernten sie dann trommeln oder pfeifen, waren in jungen Garden aktiv. Nun sind sie die voll ausgewachsene Fasnacht von heute.

Weil sie noch nicht an den Ändstraich durften 

Ich kann mich noch gut an die Tränen und Wutanfälle erinnern, als die Abschiedstrauer diese Kinder am Fasnachtsmittwoch geschüttelt hat, weil sie noch nicht an den Ändstraich durften. Auf irgendeiner mystisch-metaphorischen Ebene vermischten sich ihre Tränen mit meinen, die ich vor 1978 geweint habe, aus dem gleichen Grund. Weil wir noch zu jung für den offiziellen Abschied der Frau Fasnacht am Donnschtig am Vieri, weil wir noch zu klein für die vollen 72 Stunden waren.

«Die Fasnacht enthält, während sie stattfindet, das ganze Leben und den Tod, ist sie ja selber ein Stück Ewigkeit.»

Und die Versprechen, dass sich dies in einigen Jahren ändern würde, die haben überhaupt nicht getröstet, ganz im Gegenteil. Mein Ungglen Otti, quasi ein Berufsfasnächtler, hat damals immer sichtlich Mitleid mit mir gehabt – und viele Jahre später spürte ich genau das gleiche Mitleid, mit all diesen Kindern, die unser Schyssdräggziigli hervorgebracht hat. Ich kannte ihren Schmerz. Das Fasnachtsleid steckt genauso in den Genen wie die Fasnachtsfreude. 

Mögen die Laternen für immer leuchten

Nun stehen sie neben uns, laufen im Fasnachtsschritt mit uns, teilen Wein und Bier und Luz mit uns – und werden wohl bald eine weitere Generation hervorbringen, die unter den Röcken der alten Frau Fasnacht aufwächst. Das alles hat mich gestern für einen Moment beschäftigt, an der Freien Strasse, dem Schlüssel gegenüber, während jene geballte Fasnacht an mir vorbeimarschierte, ich neben einem meiner Gottemaiteli stand. 

Diese Erinnerungsparade erlöste mich übrigens von einem Moment der tiefsten Melancholie. Weil ich gerade an die Leute denken musste, die nicht mehr bei uns sind. Speziell an unsere liebe Pfeiferin K., die erst letztes Jahr viel zu jung in den Fasnachtshimmel gehen musste. Doch plötzlich sehe ich jene liegende Acht am Himmel über Basel, die seit dem 17. Jahrhundert für Unendlichkeit steht. Die Fasnacht enthält, während sie stattfindet, das ganze Leben und den Tod, ist sie ja selber ein Stück Ewigkeit. Et lux perpetua, mögen die Laternen für immer leuchten. E scheene Räschte. Zämme.

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