«Der Joint ist mein Feierabendbier»

Timo (25) kifft seit fünf Jahren quasi täglich, also ist er der perfekte Proband für die Basler Weed Care Studie. Er erzählt von positiven Drogentests am Unispital, Cannabisabgabe in der Apotheke und seinen Hoffnungen auf eine Legalisierung (die noch weiter geht als in Deutschland).

Berry Kush Weed
Weed aus der Apotheke. Timo mit einer Packung Berry Kush.

Ich bin in einem klassischen Schweizer Haushalt aufgewachsen: Einfamilienhaus auf dem Land, zwei Autos, regelmässig Ferien, bessere Mittelschicht. Als Jugendlicher war ich noch viel in Vereinen, habe Musik und Sport gemacht. Was will man auf dem Land auch machen? Das Landleben ist nicht so meins, deswegen bin ich auch direkt mit 18 nach Basel gezogen. Hier hat sich mein Sozialleben sowieso schon abgespielt, seit ich 15 oder so war.

Damals habe ich noch eine Lehre bei einer Bank gemacht. Gar nicht meins. Als 15-Jähriger wusste ich nicht richtig, was ich machen soll. In erster Linie hatte ich keine Lust mehr auf die Schule, deshalb bin ich zur Bank gegangen. Die Lehre habe ich durchgezogen, aber die Anzugträger mit ihren sehr ernsten, bürgerlichen Ansichten, da habe ich mich nicht wohl gefühlt. 

Heute arbeite ich als kaufmännischer Sachbearbeiter. 100 Prozent, Grossraumbüro. Am Feierabend rauche ich einen Joint, wie andere ein Feierabendbier trinken. Das bringt mich runter. Farben sehen oder dass es das Bewusstsein erweitert, wie vielleicht als Teenager noch, als wir bei einem Freund auf dem Bauernhof gekifft haben – das gibt es bei mir nicht mehr. Dazu kiffe ich zu regelmässig. Ja, ich würde mich als Kiffer bezeichnen. Seit wahrscheinlich fünf Jahren ist es fast täglich ein Joint.

In meinem Umfeld wissen das alle. Damit habe ich kein Problem, denn es gibt ja auch keins. Meinen Eltern habe ich es gesagt, als ich von zuhause ausgezogen bin und nicht mehr von ihrem Urteil abhängig war. Sie lieben es nicht, aber akzeptieren es. Gut, am Arbeitsplatz hänge ich meinen Konsum nicht an die grosse Glocke. Deshalb will ich hier auch anonym bleiben. Man weiss nie, was die Leute darüber denken.

Eigentlich bin ich für einen offenen Umgang mit Drogenkonsum. Deshalb nehme ich auch an der Uni-Studie zur Cannabisabgabe in Apotheken teil. Mein Appeal ist, dass ich etwas für die Legalisierung machen will, weil ich an die Legalisierung glaube. Ich finde es absurd, dass in einer Welt, in der Alkohol erlaubt ist, Cannabis verboten wird. Konservative behaupten immer, es gebe zu viele Bedenken wegen den Auswirkungen von Gras und dass wir zu wenig darüber wissen. Vielleicht kann die Studie dem entgegenwirken.

Weed-Care-Studie

Noch bis Juli 2025 dauert die Weed-Care-Studie des Basler Gesundheitsdepartements in Zusammenarbeit mit den Universitären Psychiatrischen Kliniken, der Universität Basel und den Psychiatrischen Diensten Aargau. Die Studie will untersuchen, welche gesundheitlichen Auswirkungen eine regulierte Cannabisabgabe im Vergleich zur jetzigen, illegalisierten Situation hätte. Sie soll durch ihre Erkenntnisse einen Baustein für eine künftige verantwortungsvolle Cannabispolitik liefern, heisst es auf der Website. Am 30. Januar 2023 startete die kontrollierte Abgabe von sechs Cannabisprodukten in neun Apotheken. 378 Personen nehmen teil. Da der Besitz von 10 Gramm Cannabis in der Schweiz straffrei ist, dürfen die Teilnehmer*innen pro Einkauf nur zwei Packungen à 5 Gramm kaufen.

Meine Freundin hat mir damals davon erzählt, dass es diese Studie gibt. Wir haben uns beide beworben und wurden beide genommen. Man musste beim medizinischen Erstgespräch im Unispital eine Urinprobe machen, um mittels THC nachzuweisen, dass man regelmässig kifft. Damit wollen sie ausschliessen, dass Leute, die noch nicht kiffen, dazu verführt werden, glaube ich. Darüber haben wir dann schon unsere Witze gemacht: Man braucht einen positiven Drogentest, um an der Studie teilnehmen zu dürfen. 

Dann haben wir irgendwann einen Studienausweis gekriegt, den braucht man, um sich das Gras kaufen zu können. Ich weiss noch, am ersten Tag, als die Studie es möglich gemacht hat, wollte ich mir etwas in einer Apotheke kaufen und dann hatten sie schon keins mehr. Ich musste in eine zweite Apotheke gehen.

Am Anfang war das exciting: Ich hatte ein bisschen die Vorstellung, dass es ist wie in Kalifornien, wo man legal Gras kaufen kann. Im Endeffekt fühlt es sich aber an, wie wenn man Medikamente kauft: Du gehst in die Apotheke, bestellst ein Produkt und bezahlst. Normaler geht’s nicht. Ich glaube, es wird komisch, wenn ich dann mein Gras wieder illegal kaufen muss.

Ich verstehe, warum die kontrollierte Abgabe in Apotheken stattfindet, gerade in so einem Studien-Setting. Wenn wir Gras legalisieren, fände ich es aber schon besser, wenn es in speziellen Cannabis-Shops verkauft werden würde. Hempstores, wo Vaporizer, Pfeifen, Papes, Filter und CBD verkauft werden, haben es sich eigentlich verdient. Die Apotheken verdienen mit Pharma schon genug Geld. Plus: Ich fände es auch gut, wenn in das Verkaufssysteme die Dealer eingegliedert werden. Aber das ist meine alternative Haltung. 

Ich kann nicht beurteilen, inwiefern eine Legalisierung den Schwarzmarkt zurückdrängen würde. Aber ich glaube, die Leute, die heute auf der Dreirosenanlage Gras verticken, machen das, weil sie keine andere Möglichkeit haben, Geld zu verdienen. Ich persönlich kaufe nicht mehr schwarz, seit ich Teil der Studie bin. Obwohl es nicht wie auf der Strasse Mengenrabatt gibt und der Preis natürlich mit 11 Franken pro Gramm teurer ist als auf dem Schwarzmarkt. Die Qualität ist gleich gut wie auf der Strasse, jedenfalls merke ich als jemand, der regelmässig kifft, keinen Unterschied.

Zwischenergebnisse der Studie

Seit Beginn der Studie haben die Teilnehmer*innen 41 Kilogramm Cannabis gekauft, wie das Gesundheitsdepartement kürzlich bekannt gab. Mit einer Umfrage wurde nach einem Jahr Bilanz gezogen: 49 Prozent der Teilnehmer*innen konsumieren zusätzlich noch Cannabis aus illegalen Quellen. Die Zufriedenheit mit den Apotheken als Bezugsquellen ist zwar hoch (94 Prozent), aber niedriger bei der Produktpalette (57 Prozent) und -qualität (69 Prozent). Viele Teilnehmer*innen wünschten sich vielfältgiere Produkte und solche, die mehr THC haben. Regine Steinauer, Leiterin Abteilung Sucht, räumt ein, dass sich die Produktpalette mehr an den Bedürfnissen der Konsument*innen orientieren muss, um den Schwarzmarkt einzudämmen.

Ich kaufe immer Berry Kush – die Weed Strains der Studie haben ja genau wie in Amsterdam coole amerikanische Namen. Berry Kush hat den höchsten THC-Gehalt. Ich verstehe, dass es Leute gibt, die das Studiengras zu schwach oder auch zu teuer finden. Wegen des Preises haben meine Freundin und ich auch überlegt, wieder schwarz zu kaufen. Aber ganz ehrlich: Es ist mir wert, dass ich das Studiengras genau kenne. Ich kenne den genauen THC- und CBD-Gehalt und weiss, dass es nicht mit irgendwelchen künstlichen Sachen gestreckt ist.

Und ich muss mir keine Sorgen machen, in eine Polizeikontrolle zu kommen. Davor hatte ich bisher zwar auch nicht wirklich Angst, denn ich bin noch nie kontrolliert worden. Aber das hängt sicher auch damit zusammen, dass ich ein Weisser Schweizer bin. Meine Freund*innen, die nicht Weiss sind, werden immer wieder kontrolliert. Jedenfalls: Im Hinterkopf gab es trotzdem die Überlegung, dass mich die Polizei kontrollieren könnte. Diese Sorge fällt jetzt weg. Ich würde jetzt trotzdem nicht kiffend durch die Freie Strasse laufen. Wir dürfen für die Studie sowieso nur in der eigenen Wohnung kiffen. 

Alle zwei Monate bekomme ich jetzt eine Mail mit einer Einladung zu einer Umfrage. Die dauert etwa 10 bis 15 Minuten. Es sind Fragen zum Konsumverhalten, aber auch zur mentalen Gesundheit. Man kann zum Beispiel bei einer Liste von unterschiedlichen Emotionen angeben, wie stark man sie in den letzten zwei Monaten gespürt hat. Nach einem Jahr gab es eine grössere Umfrage, rund eine Stunde. Die ist dann detaillierter und geht noch mehr in die Tiefe. 

Meine Angaben in den Umfragen sind ehrlich und ich würde sagen, mein Leben verläuft relativ konsistent. Klar habe ich mal Sorgen und schlechte Phasen, aber das wäre ohne Kiffen nicht anders. Ich habe noch nie schlechte Erfahrungen mit Cannabis gemacht. Mir wurde früher manchmal schlecht. Und klar, ein bisschen faul bin ich auch – aber ich weiss auch nicht, ob das am Kiffen liegt.

Jetzt wird Cannabis ja in Deutschland erlaubt. Aber ich würde sicher nicht extra zum Kiffen über die Grenze fahren. Dazu ist Basel schon heute liberal genug. Interessant wird das für mich, wenn ich mal wieder nach Berlin in die Ferien gehe. Denn das ist immer ein Problem für regelmässige Kiffer wie mich, wenn es vor Ort keine Möglichkeiten zum Kiffen gibt und man niemanden kennt. Ich hoffe jedenfalls, dass die Legalisierung auch in der Schweiz nicht mehr so weit ist. In Deutschland ging es jetzt ja auch relativ schnell. Die Weed Care Studie macht mir Hoffnung.

Cannabis-Legalisierung in Deutschland

Kann ich jetzt einfach zum Kiffen über die Grenze nach Weil fahren? Auf der offenen Strasse darf jede Person, also auch ein*e Schweizer*in, ab jetzt 25 Gramm Cannabis mit sich führen. Allerdings gibt es Schutzzonen, wo das Kiffen nicht erlaubt ist: Im 100-Meter-Umkreis von Schulen, Kindergärten, Spielplätzen, Sportstätten sowie Kinder- und Jugendeinrichtungen. Auch ist in Fussgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr das Kiffen verboten. Wer sichergehen will, sollte vorher im interaktiven Tool der Morgenpost oder auf der bubatzkarte.de nachschauen, wo man besser nicht hingehen sollte. Nicht vergessen: im Strassenverkehr darfst du als Autofahrer*in nicht bekifft sein, weder in Deutschland, noch in der Schweiz.

Und wo kann man in Deutschland ab jetzt Weed kaufen?

Das wird ausserhalb des Schwarzmarkts für Personen ohne deutschen Wohnsitz weiterhin schwierig. Denn Deutschland setzt nicht auf Coffee Shops wie in Amsterdam, sondern auf den privaten Anbau (drei Hanfpflanzen pro Wohnung) sowie auf Anbauvereinigungen. Das sind Cannabis-Clubs, die ihren Mitgliedern jeweils bis zu 50 Gramm monatlich (das sind 100 Joints, rechnet die NZZ vor) abgeben dürfen. Mitglied werden können aber nur Personen, die seit mehr als sechs Monaten in Deutschland wohnen. Tourist*innen werden damit ausgeschlossen.

Easy, dann nehm ich einfach mein eigenes Gras aus der Schweiz mit nach Deutschland, oder?

Lieber nicht. Die deutsche Generalzolldirektion erklärt auf Anfrage: Das neue Konsumcannabisgesetz (KCanG) in Deutschland betrifft nicht die bestehenden Regeln zur Ein-, Aus- und Durchfuhr. Wer also mit Gras an der Grenze erwischt wird, kann noch immer strafrechtlich verfolgt werden.

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Aufgezeichnet von: David Rutschmann

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