«Ich liebe meine Arbeit, aber hasse die Bedingungen»
In einem Schreiben an das Rektorat kritisieren Mitarbeitende des Mittelbaus an der Universität Basel die Arbeitsbedingungen und die ausbleibende Reaktion der Leitung. Bajour hat mit fünf Doktorierenden über ihre Arbeitssituation gesprochen.
An der Universität Basel arbeiten rund 3000 Doktorierende. Sie werden gemeinsam mit den Postdoktorierenden als Mittelbau bezeichnet. Dass die Arbeits- und Forschungsbedingungen nicht tragbar seien, haben Teile von ihnen immer wieder beklagt. Die Basisgruppe Mittelbau der Gewerkschaft für Angestellte im Service Public, VPOD Basel, setzt sich für ihre Anliegen ein. Mit einem Schreiben wendet sie sich nun an das Rektorat. Damit möchte sie ihre Sorgen über die Situation ausdrücken und fordert eine «echte Reform der Anstellungs- und Arbeitsbedingungen».
In dem Brief gibt die Gruppe an, erfreut gewesen zu sein, dass statt der Mittelbaureform für die Philosophisch-Historische Fakultät eine Reform für die gesamte Uni angedacht wurde. Dass diese nun auf die lange Bank geschoben werde, sei hingegen nicht verantwortbar.
Kritisiert werden ausserdem der Mangel an attraktiven wissenschaftlichen Festanstellungen, die persönliche Abhängigkeit von den Professor*innen sowie die hohe Arbeits- und Lehrbelastung des Mittelbaus. Unter diesen Umständen könne die Qualität von Lehre und Forschung nicht garantiert werden, selbst unter grossem Einsatz der Assistierenden und des wissenschaftlichen Personals.
Keine Stellungnahme vom Rektorat
Die Situation müsse ausserdem im Zusammenhang mit den Bestrebungen aus Bern betrachtet werden, heisst es in dem Schreiben. Namentlich der kürzlich veröffentlichten Botschaft «Bildung, Forschung Innovation 2025–2028» im Rahmen derer Gelder für die Nachwuchsförderung gesprochen wurden und des Postulats, das darauf hinweist, dass in diesem Bereich weitere Massnahmen notwendig sind.
Die Basisgruppe bittet das Rektorat, bis Mitte Mai Stellung zum Schreiben zu nehmen.
Gegenüber Bajour möchte sich das Rektorat nicht zu dem Schreiben äussern. Auf Anfrage schreibt Mediensprecher Matthias Geering: «Die Universität Basel ist zu diesem Thema mit den verschiedenen Anspruchsgruppen im Austausch, über diese Gespräche kommunizieren wir aber nicht öffentlich.»
Bajour hat mit fünf Doktorierenden der Universität Basel gesprochen und sie gebeten, ihre Arbeitssituation zu schildern. Alle wollten sich anonym äussern, die Namen sind der Redaktion bekannt.
Ich doktoriere seit ein paar Jahren an der Fakultät für Psychologie. Mir macht vor allem zu schaffen, dass das vom Rektorat gesprochene Budget nicht mehr der wachsenden Studierendenzahl entspricht. Wir haben viel zu wenig Personal, um mit dem hohen Arbeitsaufwand zurechtzukommen. Der Lehraufwand hat sich dadurch enorm erhöht.
In Seminaren, in denen ich in der Vergangenheit 15 Studierende betreute, sind es jetzt 30. Einen ähnlichen Anstieg gibt es bei den zu betreuenden Bachelor- und Masterarbeiten. Das bedeutet, wir müssen in der gleichen Zeit und zum gleichen Lohn doppelt so viele Leistungsnachweise und Arbeiten korrigieren. Die versprochenen Entwicklungsstrukturpläne, die Entlastung bringen sollten, haben nicht gewirkt.
Darunter leidet dann die Qualität der Lehre und der Forschung. Deshalb muss das Budget unbedingt entsprechend den Studierendenzahlen angepasst werden. Wir Doktorierende haben ein Recht auf einen Abschluss, die Studierenden haben ein Recht auf eine qualitativ hochstehende Ausbildung. Beidem kann unter diesen Umständen nicht Rechnung getragen werden.
Ein Spiel auf Zeit
Bei der hohen Arbeitslast in der Lehre ist die sogenannte «Protected Research Time», also die Zeit, die wir für die Dissertation aufbringen sollten, immer das erste, was gestrichen wird. Das ganze System basiert auf einem Spiel auf Zeit. Die Strukturen sind so intransparent, dass man am Anfang überhaupt keinen Durchblick hat. Irgendwann verstehst du dann, wie es funktioniert und beginnst dich zu empören. Dann naht aber schon der Abschluss und du denkst: nach mir die Sintflut. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben mir gezeigt, dass ich nach meinem Abschluss unter solchen Umständen nicht weiter in der Forschung arbeiten möchte.
Doktoriert im Departement Gesellschaftswissenschaften, Mitglied beim VPOD
Mein Doktorat wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) bezahlt. Das bedeutet eigentlich, dass ich nicht für administrative Arbeiten und Lehrveranstaltungen an der Uni Basel verantwortlich bin. Erwartet wird es aber trotzdem.
Solange die Anstellungsverhältnisse nicht klar geregelt sind und weiterhin auf mündliche Verhandlungen basieren, herrscht Anarchie und wir sind völlig abhängig von der Gnade der zuständigen Professor*innen. Mir war im Vorfeld klar, dass es eine intensive Zeit wird, aber nicht, wie stark diese Abhängigkeit ist.
Das ganze System an einem Lehrstuhl funktioniert nur, weil sich alle mit den Abhängigkeiten arrangiert haben: Die Profs sind die Sonnengötter und die Doktorierenden die Underdogs, die alles dafür tun, irgendwann auch mal zu den Auserwählten zu zählen. Die Chancen darauf sind aber sehr gering, weil wir hier in der Schweiz wegen den hohen Löhnen mit Bewerber*innen aus Harvard und anderen Elite-Universitäten konkurrieren.
Ein Weg, dieses System zu durchbrechen, wäre, unbefristete Stellen zu schaffen. Kostenneutral könnte sicher schon viel erreicht werden. Ich liebe meine Arbeit, aber hasse die Bedingungen.
Meine Arbeit umfasst neben der Forschung die Lehre, Administration und die Studierendenbetreuung. Die Stundenanzahl, die für diese beiden Bereiche vorgesehen ist, reicht jedoch bei Weitem nicht aus. Wenn ich mich an den vorgegebenen Zeitrahmen halten würde, könnte ich nach einem Viertel der Zeit aufhören zu arbeiten und mich meiner Dissertation widmen. Aber das ist unrealistisch. Stattdessen investiere ich zusätzliche Zeit, um den Studierenden gerecht zu werden und eine fundierte Rückmeldung zu geben. Das wird aber nicht honoriert.
Die Studierenden bewerten meine Lehrveranstaltungen, und diese Bewertungen werden bei uniinternen Bewerbungen nach dem Doktorat verlangt. Es ist also wichtig, Zeit und Mühe in die Lehre zu investieren.
Man ist auch inoffiziell dafür verantwortlich, dass in der Fakultät etwas läuft, dass es mal eine Tagung gibt, eine Podiumsdiskussion und so weiter. Es gibt einerseits den Druck zu netzwerken, sich akademisch gut aufzustellen, das Profil zu stärken und die Fakultät gut dastehen zu lassen. Es wird auf beiden Gleisen viel Druck aufgebaut und du kannst es eigentlich nur falsch machen.
Alleine gelassen
Entweder du machst die ganze Zeit viel Freiwilligenarbeit und kommst dann nicht zu deiner Dissertation oder du machst nur deine eigene Forschung und denkst dann die ganze Zeit, dass du eine schlechte Assistentin bist. Wir sind alle für 60 Prozent angestellt. Aber irgendwie ist allen klar: Du arbeitest 60 Prozent, damit du im Rest der Zeit deine Dissertation schreiben kannst. Effektiv arbeite ich also 100 Prozent.
Bevor ich angefangen habe, hatte ich eher Respekt vor der Dissertation. Dass sich alles darum herum zu so einem grossen Verantwortungsbereich zusammenrechnet, habe ich nicht gedacht. Und vor allem nicht, dass man damit so alleine gelassen wird. Ich überlege es mir noch, ob ich nach der Dissertation an der Uni arbeiten will. Aber wenn alles so bleibt wie bisher, möchte ich mich nicht weiter ausbeuten lassen.
Doktoriert am Philosophischen Seminar, Mitglied beim VPOD
Ich habe Glück, ich kann fast meine gesamte Zeit für meine Dissertation nutzen. Mein Doktorat wird vom Schweizerischen Nationalfond (SNF) finanziert. Derzeit bin ich mit meiner Professorin im Gespräch, dass ich auch Lehrveranstaltungen übernehme, sie setzt sich dafür ein, dass diese dann separat bezahlt werden. Dass wir Doktorierenden in dieser Hinsicht so sehr vom Goodwill unserer Vorgesetzten abhängig sind, finde ich extrem schwierig.
Sorge bereitet mir der niedrige Lohn. Man hat so kaum eine Möglichkeit, in die Altersvorsorge einzuzahlen, gerade in Bezug auf das hohe Risiko für Altersarmut bei Frauen macht mir dieser Umstand zu schaffen. Ich höre häufig den Einwand, wir seien ja noch in Ausbildung, deshalb sei der Lohn gerechtfertigt, aber ehrlich gesagt wird dieses Argument beliebig in die eine oder andere Richtung verwendet.
Familienplanung einkalkulieren
Entweder wird das Doktorat als Arbeit oder als Ausbildung bezeichnet, je nachdem, wie es gerade passt. Ich wusste nicht, auf was ich mich beim Doktorat einlasse und bin immer noch daran, es herauszufinden. Nicht alle Menschen können die schwere Entscheidung fällen, unter solch prekären Bedingungen zu arbeiten. Es ist ein Luxus, sich auf diese prekären Arbeitsbedingungen einlassen zu können. Mit Kindern wäre das zum Beispiel noch um einiges schwieriger.
Familienplanung ist natürlich etwas, dass man hier unbedingt mit einberechnen muss. Und meistens ist ein Kinderwunsch ja nicht etwas, das verhandelbar ist. Ich mache meine Arbeit gerne und glaube, dass ich gut darin bin. Die Uni ist für mich ein Ort der Inspiration und ich kann mir hier ein gutes Netzwerk aufbauen. Aber die Umstände sind prekär. Für mich ist das Doktorat ein Job: Wenn die Bedingungen nicht stimmen, dann gehe ich.
Ich bin seit rund zwei Jahren im Doktorat. Zur Aufgabe der assistierenden Doktorierenden gehört es, eine Lehrveranstaltung pro Semester zu übernehmen. Dazu kommen administrative Aufgaben, zum Beispiel die Betreuung der Studierenden. Punktuell unterstützen wir die Professor*innen beim Korrigieren der Leistungsnachweise. Es herrscht insgesamt viel Druck und Rivalität, auch über Lehre und Administration hinaus wissenschaftlich tätig zu sein, etwa mit Beteiligung an Herausgeberschaften oder dem Schreiben von Artikeln. Daneben muss dann noch die Doktorarbeit geschrieben werden.
Laut dem Reglement sind für die Lehre fünf Stunden pro Woche berechnet. Das geht in keinem Fall auf. Ausserdem sollen wir für diverse Anliegen der Studierenden erreichbar sein. Und das alles, ohne je in irgendeinem dieser Bereiche ausgebildet worden zu sein.
Es gibt keine Arbeitszeiterfassung, also keine Möglichkeit zu kompensieren. Ich finde die Arbeitsbedingungen sehr happig. Ich würde mir vor allem mehr Anleitung wünschen und mehr Unterstützung dabei, mich in diesem kompetitiven Feld zurechtzufinden. Schwierig finde ich, dass die Person, die mir vorgesetzt ist, auch meine Dissertation bewertet.
Dissertation nicht fertig
Der Gedanke daran, dass ich neben all diesen Pflichten nicht dazu komme, meine Dissertation innerhalb der vier Jahre fertig zu schreiben, stresst mich sehr – das kam bei Kolleg*innen schon vor.
Ich bin nicht sicher, ob ich weiterhin eine Karriere in der Wissenschaft verfolgen will. Implizit besteht die Erwartung, bereit zu sein, ständig umzuziehen. Das ist aber kaum familienfreundlich, womit die Uni Basel ja wirbt. Wir brauchen einen fairen Stundenausgleich, einen 13. Monatslohn, Aussicht auf unbefristete Stellen und die Entkopplung von Vorgesetzten und Bewerter*innen der Dissertation. Im Nachhinein muss ich sagen: Ich bin dieses Doktorat etwas naiv angegangen.
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