Prämienanstieg und Studium: Noch stemmbar?
Nicht nur Mieten, Energie und Lebensmittelpreise werden teurer – oben drauf kommen ab 2024 auch noch höhere Krankenkassenprämien. Ohne Unterstützung wären diese Kosten für viele Studierende nicht bezahlbar.
«Gestern sind meine Mitstudent*innen und ich blass vor dem Bildschirm geklebt und haben gewartet, was Herr Berset jetzt für eine Zahl kommuniziert», erzählt Tijana. Sie verdient etwa 2’100 Franken pro Monat und studiert berufsbegleitend Sozialpädagogik. Mit ihren 40 Jahren entspricht sie nicht dem typischen Bild einer Studierenden, aber sie teilt ihre Sorgen. Jetzt, wo an allen Ecken die Kosten steigen, so auch die Krankenkassenprämien. Der Anstieg ist in Basel-Stadt mit 6,5 Prozent zwar unter dem Durchschnitt von 8,7 Prozent, aber der Kanton gehört nach wie vor zu den teuersten – nur die Genfer*innen zahlen mehr.
Der Anstieg der Krankenkassenprämien belastet nicht nur die Studierenden, sondern auch den in der Regel relativ gut verdienenden Mittelstand, der keine Prämienverbilligungen erhält. Die Bajour-Community diskutiert: Ist es Zeit für den Kanton, zu handeln?
«Weisch, jetzt wirds einfach tricky», erzählt Tijana am Telefon und zählt auf, auf was sie alles verzichtet: «Ich lebe am Limit und kürze zuerst bei mir: Kein Coiffeur, kein Restaurantbesuch. Ferien kann ich für die nächsten zwei Jahre während der Ausbildung vergessen.» Ihre Miete sei bezahlbar, weil sie in einer Genossenschaft wohne. Die Kosten für ihren Hund übernehme jetzt ihr Partner.
«Ich kürze zuerst bei mir: Kein Coiffeur, kein Restaurantbesuch, Ferien kann ich vergessen.»Tijana, 40, studiert berufsbegleitend Sozialpädagogik
«Das Problem ist: Ich erhalte keine Prämienreduktion, weil mein Partner genug verdient, und Stipendien bekomme ich in meinem Alter auch keine. Ich schaffe das nur, weil ich einen Partner habe, der in die Bresche springt, aber es ist mir auch nicht recht, dass er so viel übernimmt. Auch mein unglaublich toller Arbeitgeber hilft mir jetzt mit den Studiengebühren. Ohne diese Unterstützung könnte ich diese Ausbildung eh grad vergessen.» Tijana glaubt, dass gerade Frauen in ihrem Alter, die noch eine neue Ausbildung anfangen, das ohne Unterstützung aus dem Umfeld nicht schaffen. «Dabei wollen wir doch alle unseren Teil zur Gesellschaft beitragen», sagt sie.
Auch bei den jüngeren Studierenden klingt es ähnlich. «Meine finanzielle Situation ist ziemlich prekär, da ich Vollzeit studiere und die Lebenskosten seit meinem Studienbeginn immer weiter steigen», erzählt die 22-jährige Janine Oberli. Sie ist Vorstandsmitglied der Juso Baselland, studiert Pflege an der Fachhochschule und arbeitet nebenbei als Fachfrau Gesundheit – «wodurch mein Lohn ohnehin schon tief ist», ergänzt sie. Trotz ihres Nebenjobs sei ihre finanzielle Situation «sehr knapp, da der Lohn trotz steigender Kosten gleich geblieben ist.» Dass sie deshalb neben dem Studium «viel arbeiten gehen muss» – zeitweise betrage ihr Pensum bis zu 30 Prozent – führe zu körperlichem und psychischem Stress.
Dass die Krankenkassenprämien jetzt steigen, bedeute für sie, «dass ich mich in meinem Alltag einschränke und sehr genau aufs Portemonnaie schauen muss, zum Beispiel beim Einkaufen. Ich muss eventuell noch mehr arbeiten gehen neben dem Studium, wodurch weniger Zeit fürs Lernen und für Erholung bleibt.» Sie empfindet die Situation als eine emotionale Belastung, «da immer unklar ist, ob die Kosten im nächsten Jahr erneut steigen».
Die Jungpolitikerin übersetzt ihre Situation mit Blick auf die Krankenkassenprämien auf die politische Ebene und fordert Prämien, die vom Einkommen abhängen. «So müsste ich entsprechend meinem Lohn weniger bezahlen als beispielsweise eine Person, die nicht mehr in Ausbildung ist und einen hohen Lohn erhält».
«Meine finanzielle Situation ist ziemlich prekär.»Janine Oberli, 22, studiert Pflege
Ebenfalls knapp ist die Situation für Lukas. Er ist 23 Jahre alt und studiert Jus. Daneben verdient er mit Studentenjobs etwas Geld, erzählt er, aber es gehe alles «drauf für Essen und andere Sachen, die ich machen muss». Am Ende jedes Monats sei er «praktisch auf Null», erzählt er. Das sei für ihn eigentlich okay, im Extremfall, «wenn es wirklich knapp wird», habe er noch Eltern, die ihm aushelfen. In seinem Umfeld ist das allerdings nicht bei allen so, andere müssten das Studium manchmal zugunsten eines Jobs zurückstellen, könnten nicht an die Uni gehen, «einfach, um zu überleben, quasi», sagt Lukas.
Dass es auf die Unterstützung der Eltern ankommt, findet auch Barbara: «Ich habe Glück», schreibt sie uns in der Gärngschee-Facebookgruppe. Sie ist 31 Jahre alt und Medizinstudentin. Während des Studiums haben ihre Eltern die meisten Kosten übernommen. Barbara hat eine chronische Krankheit, deshalb bezahlen ihre Eltern auch die Krankenkassen- und Gesundheitskosten, «bis Studiumsende», so Barbara.
«Früher blieb Ende Monat etwas übrig, womit ich mir ein auswärtiges Nachtessen oder Shopping leisten konnte.»Barbara, 31, Medizinstudentin
«Meine Vermieter haben bisher den Mietzins nicht erhöht, worüber ich ziemlich froh bin. Aber ich merke, dass ich nicht mehr für das gleiche Geld so viel einkaufen kann wie auch schon», so Barbara. Sie erinnert sich, dass früher Ende Monat immer etwas übrig blieb, «womit ich mir ein auswärtiges Nachtessen oder Shopping leisten konnte. Dies ist heute nicht mehr der Fall. Im Gegenteil: Ich muss teilweise auch von meinen Ersparnissen Geld nehmen.» Immerhin ist ihre Perspektive optimistisch: Sie ist gerade im Endspurt ihres Studiums, sobald sie danach eine Stelle antritt, wird sich ihre Situation verbessern.
Beatrice ist 25 und schwankt angesichts des Prämienanstiegs «zwischen Ärger, Dankbarkeit und schlechtem Gewissen», schreibt die 25-jährige Sonderpädagogikstudentin bei Gärngschee. Ärger, weil sie mehr bezahlen muss. «Auf der anderen Seite komme ich trotz hoher Prämien noch sehr gut weg», so Beatrice. Sie ist aktuell auf eine kostspielige medizinische Therapie angewiesen. «Hätte ich keine Krankenkasse, würde ich pro Montat das 1.5-fache nur für die Medikamente zahlen. Dann bin ich wiederum dankbar.» Und dann sei da noch das schlechte Gewissen, sagt sie, «dass andere Leute wegen Fällen wie mir nun die höheren Kosten tragen müssen.»
Teilweise bestätigt werden diese anekdotischen Beobachtungen von Niels Jost, Mitarbeiter Medien- und Öffentlichkeitsarbeit bei Caritas Schweiz. Einen genauen Anteil an jüngeren Personen erfasst die Caritas zwar nicht, aber Jost stellt fest: «In der Tat besuchen aktuell wieder mehr junge Leute unsere Caritas-Märkte als noch vor zwei, drei Jahren.» In diesen Märkten können Personen mit kleinem Budget zu stark vergünstigten Preisen einkaufen.
Auch bei der KulturLegi sei eine steigende Nachfrage zu erkennen: «Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Nachfrage im Jahr 2022 um gut 20 Prozent, von rund 123'000 Besitzerinnen und Besitzer einer KulturLegi auf 150'000», sagt Jost. Mehr als jede dritte KulturLegi-Besitzer*in sei Ende 2022 unter 25 Jahre alt gewesen. Ein Grund für diesen Anstieg sei zum einen die hohe Nachfrage bei geflüchteten Personen aus der Ukraine, zum anderen die wieder geöffneten Kulturangebote nach der Coronapandemie. Ausserdem habe auch die allgemeine Teuerung zu einem kleinen Teil zur höheren Nachfrage beigetragen, sagt Jost.
Angesichts der steigenden Mieten, der hohen Energiepreise und der soeben angekündigten Prämienerhöhung bei den Krankenkassen ist anzunehmen, dass diese Nachfrage in den nächsten Monaten nicht abnimmt. Und manch eine*r wird den Prämienanstieg wohl auch erst dann bemerken, wenn die erste Rechnung im neuen Jahr in den Briefkasten flattert.
(Mitarbeit: Valerie Wendenburg, Fiona Keeling)
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