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Bolzplatz

Vater interessierte sich nicht für Fussball

Aber für seine Söhne. Didi-Kolumnist Thilo Mangold macht seinen Bolzplatz-Einstand mit einer bittersüssen Erinnerung an ein Spiel – und an seinen Vater.

06/19/20, 05:04 AM

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Thilo Mangold ist freischaffender Soziologe und Projektentwickler. (Bild: zvg)

Thilo Mangold ist freischaffender Soziologe und Projektentwickler. (Bild: zvg)

Wir sind in Brazzos Garten hoch über dem Gundeli. Was für eine Aussicht. Es ist angenehm heiss. Am Westrand der kleinen Stadt ist knapp das Joggeli sichtbar. Es strahlt nicht stärker als die Rochetürme. Es prägt Basels Skyline aus dieser Perspektive weniger als der Güterbahnhof Wolf oder die Pauluskirche. Es sieht von hier sogar aus, als wäre es aus Plastik. Ok, es ist zu einem grossen Teil aus Plastik. Ich muss trotzdem immer wieder hinschauen. Ich möchte hingehen, in ihm sein, lange bleiben, laut und leise sein.

Ich schwitze und rühre im grossen Topf über dem Feuer. Ich koche für Freunde nach einem Rezept meines Vaters. Es gibt Gulasch.

Brazzo kommt etwas später, sogar als Gastgeber. Beim Schutten trägt er die Nummer Sieben (ausschliesslich), scheut Kopfbälle (vielleicht wegen der Frisur), hält sich für einen sicheren Penaltyschützen (Trefferquote circa 40 Prozent) und ist doch unverzichtbar. Mehrmals riss er unserem Trainer während der Garderobenansprache die Hosen runter. Heute holt er noch eine Flasche aus dem Keller seines Gartenhäuschens. Gute Spielmacher sind gute Gastgeber. Jedenfalls der hier, unser Brazzo.

«Das Gulasch schmeckt gut, wenn auch nicht so gut wie das von Vater.»

Ich schwitze und geniesse die Aussicht. Jetzt wäre EM-Eröffnungsspiel. Irgendjemand gegen irgendwen. Ich blicke in Richtung Westen, wo das Joggeli in der Dämmerung nicht leuchtet und probiere das Gulasch. Es schmeckt gut, wenn auch nicht so gut wie das von Vater.

Ich koche für Freunde nach einem Rezept meines Vaters. Es gibt Gulasch.

Ich koche für Freunde nach einem Rezept meines Vaters. Es gibt Gulasch.

Vater interessierte sich nicht besonders für Fussball. Aber er interessierte sich für seine Söhne. Also fuhr er uns am Ende der Sommerferien 1997 wieder mal an ein Spiel. Es war heiss. Wir schwitzten. Alle schwitzten. Auf den vier oder fünf Stufen des Gästesektors im Krienser Kleinfeld gab es keinen Schatten. Der Schweiss rann an uns runter. Andere Väter waren mit ihren Kindern im Freibad oder im Wald. Hinter uns schrien zwei oder drei Typen ständig «Juuuden!», manchmal auch «Ihr Scheissjuden!». Der SC Kriens schoss drei Tore, es wurde immer unangenehmer.

Vater hielt es nicht mehr aus. Er stand vor die Kurve und schrie die grölenden Hohlköpfe an. Ich schwitzte noch mehr und war mir sicher: Das ist das Ende. Aber dann war es still hinter uns. Die Rufe verstummten einfach. Giallanza schoss das Ehrentor zum 1:3. Nach Spielschluss versuchten FCB-Fans aus dem Stadion Kleinfeld Kleinholz zu machen.

Den Platzsturm inklusive Angriff auf den Schiri kenne ich aber nur vom Hörensagen. Wir sassen bereits schwitzend im Auto. Vater begleitete uns nie mehr an ein Auswärtsspiel.

Die Erinnerung an den heissen Nachmittag in Kriens war fast zwanzig Jahre später an seiner Beerdigung Teil meiner Rede. Ich war stolz auf Vater. Auf dem Friedhof war es unangenehm heiss.

Fussball ist wichtig. 

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