«Der Gentest hat mir das Leben gerettet»

Saskia Meineck wollte nicht mit der Angst leben, eines Tages aufzuwachen und einen Knoten in der Brust zu spüren. Weil sie genetisch ein erhöhtes Krebsrisiko hat, liess sie sich vorsichtshalber Brüste, Gebärmutter und Eierstöcke entfernen.

Saskia Meineck Brustkrebs Aus meiner Sicht
Saskia Meineck mit ihrer Hündin Sheena. (Bild: Ina Bullwinkel)

Wir haben Saskia Meineck mehrmals getroffen, um sie auf ihrem Weg in ein neues Leben zu begleiten. Das erste Mal im Mai 2021, einige Monate nach der Entfernung ihrer Brüste. Ein zweites Mal trafen wir sie im September 2021, nachdem ihre Gebärmutter/ Eierstöcke entfernt wurde. Hier erzählt sie uns ihre Geschichte.

Ich empfinde den positiven Brustkrebs-Gentest als Glücksfall, denn ich konnte handeln. Ich hatte die Wahl, entweder alle drei Monate zur Mammografie zu gehen und mich jeden Tag abzutasten und Angst zu haben, dass ich eventuell vor meinem 50. Lebensjahr an Brustkrebs erkranke. Oder eine beidseitige Mastektomie zu machen, also mir das Brustgewebe vorsichtshalber entfernen zu lassen. Für mich stand fest: Ich mache das. Weil ich nicht mit der Angst leben wollte, eines Tages aufzuwachen und einen Knoten zu spüren. Ich habe die Chemotherapie meiner Mutter und meiner Schwester miterlebt, ich weiss was das bedeutet. 

Meine Mutter hat vor 24 Jahren das erste Mal Brustkrebs bekommen. Damals war ich Teenagerin. Das war traurig für mich, das mitzubekommen, aber ich nahm es hin. Zwei Jahre später bekam sie erneut Brustkrebs. Das hat mich schon härter getroffen als das erste Mal. Ich dachte: Das haben wir doch schon mal durchgemacht. Aber sie hat es zum Glück gut überstanden.

15 Jahre später hat meine Mutter Gebärmutterkrebs bekommen. Gott sei Dank wurde er früh erkannt und wieder ging alles gut. Vor fünf Jahren hat sie Lungenkrebs bekommen. Meine Mutter hat nie geraucht, immer ein gesundes Leben geführt, Sport gemacht und wenig Alkohol getrunken. Nach der Diagnose waren wir nicht mal wütend, wir waren nur noch müde. Wieder hat sie es überstanden, obwohl die Ärzte sie schon totgesagt hatten.

«Weil unsere Mutter Gebärmutterkrebs hatte, wollte ich alles entfernen lassen. Dann ist da auch Ruhe.»
Saskia Meineck

Im Herbst 2020 bekam meine Zwillingsschwester Brustkrebs. Wegen unserer Mutter waren wir vier Schwestern regelmässig zur Vorsorge gegangen: Ab dem 20. Lebensjahr zur jährlichen Krebsvorsorge beim Frauenarzt, seit dem 40. Lebensjahr dann auch zur Mammografie. Vor drei Jahren wachte meine Schwester morgens mit der Hand auf der Brust auf und fühlte einen Knoten. Nur drei Monate zuvor war bei einem Kontrolltermin nichts festgestellt worden. Sie war noch am selben Tag bei der Frauenärztin, diese fand drei Knoten. Es war ein schnell wachsender Tumor. Als meine Schwester drei Wochen später operiert wurde, waren es schon neun Knoten in der Brust und das Schlüsselbein war angefressen. 

Damals sind wir stutzig geworden: Regelmässige Kontrollen und es bringt doch nichts?! So war es ja zumindest in ihrem Fall. Der behandelnde Arzt meiner Schwester empfahl uns einen Gentest. Der kann zeigen, ob man die Veranlagung für unter anderem Brust- oder Gebärmutterkrebs hat. Das überraschte uns, davon hatte uns nach den Erkrankungen unserer Mutter nie jemand etwas gesagt. Auch meine Frauenärztin, die von meiner Familienhistorie wusste, schlug mir nie einen Gentest vor. In den Medien hatten wir davon ebenfalls noch nie etwas gelesen.

Die Tests von meiner Zwillingsschwester und mir waren positiv. Wir haben das BRCA2-Gen. Das heisst, das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, ist bei uns sehr hoch, bei mehr als 80 Prozent. Auch das Risiko, an Gebärmutterkrebs zu erkranken, ist bei uns erhöht.

Saskia Meineck Aus meiner Sicht
(Bild: Ina Bullwinkel)

Ich entschied mich schnell. Ende Januar 2021 hatte ich die Brust-OP. Gleichzeitig wurde meine Brust mit Silikon aufgefüllt. Mein Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, liegt jetzt bei fast null Prozent. Mit dem Gebärmutterkrebs ist es bei mir genau das Gleiche: Ich hatte ein sehr hohes Risiko, vor meinem 50. Lebensjahr daran zu erkranken. Weil unsere Mutter auch Gebärmutterkrebs hatte, wollte ich alles entfernen lassen. Dann ist da auch Ruhe. Ich hatte sowieso nie ein Verlangen, Kinder zu bekommen, ich bin glücklich mit meinem Hund. Aus meiner Sicht hat mir der Test das Leben gerettet.

Es ist trotzdem keine leichte Entscheidung, es macht etwas mit dir. Willst du wissen, ob du das BRCA-Gen hast? Diese Frage musst du dir vorher beantworten: Kannst du damit umgehen zu wissen, ob du es hast? Wenn ja, musst du handeln. Entweder lässt du dich operieren, gehst häufiger als normal zur Vorsorge oder unternimmst weiterhin nichts, lebst aber mit der ständigen Angst frühzeitig an Brust- und /oder Gebärmutterkrebs zu erkranken. Die Wahl ist deine. 

Wir sind fünf Geschwister, vier Schwestern. Auch meine älteste Schwester hat das Brustkrebs-Gen. Sie ist zehn Jahre älter als wir Zwillinge. Auch sie hat sich das Brustgewebe und die Gebärmutter entfernen lassen. Meine mittlere Schwester ist die Einzige von uns, bei der der Gentest negativ war. Bei ihr wurde aber leider ein Gehirntumor diagnostiziert, der mittlerweile erfolgreich operiert und therapiert worden konnte. Unsere Familie scheint sehr anfällig für Krebserkrankungen zu sein. Für mich bestätigt das, dass meine Entscheidung richtig war. 

«Die Hormone spielen verrückt, es ist eine Riesen-Umstellung für den Körper. Davor habe ich Respekt.»
Saskia Meineck

Ich war zum Zeitpunkt der Operation 43 Jahre alt und bis dahin kam bei mir nie ein Kinderwunsch auf. Aber wer weiss, vielleicht wäre das noch gekommen. Das ist jetzt halt vorbei, und damit muss ich leben. Dass es dann wirklich keine Option mehr ist, von einem Tag auf den anderen, das ist harter Tobak. 

Nach der Entfernung der Gebärmutter und Eierstöcke kommst du von 0 auf 100 in die Wechseljahre. Die Hormone spielen verrückt, es ist eine Riesen-Umstellung für den Körper. Davor habe ich Respekt. 

Das ganze Sexualleben ändert sich jetzt schon, ich hatte Sorgen, dass mein Freund mich nicht mehr so berührt wie vorher oder auch die Lust vergeht. Als ich nach drei Tagen zum ersten Mal den Verband abbekommen habe, guckte ich runter und ich musste weinen. Der Arzt hat gefragt, ob es Freudentränen seien. Ich wusste es nicht, ich war einfach überfordert. Ich habe 42 Jahre runter geguckt und da etwas anderes gesehen. Das bin noch nicht ich. 

Und auch der Gedanke: Ich habe das Gen, aber vielleicht hätte ich nie Brustkrebs bekommen. Da darf man sich nicht reinsteigern, sonst darf man die OP nicht machen.

Vier Monate später

Wie befürchtet, wurde ich nach der Gebärmutterentfernung von jetzt auf gleich in die Wechseljahre katapultiert. Natürlich konnte ich mich ein wenig vorbereiten, aber ich wusste nicht genau, was passieren würde. Jeder Körper ist anders. Mich hat es voll erwischt mit den Hitzewallungen. Ich wache jede Nacht 10 bis 15 Mal schweissgebadet auf. Ansonsten geht es mir gut, das ist bisher die einzige Nebenwirkung. Meine Brust wurde inzwischen zweimal operiert. Sie ist mittlerweile gut verheilt, aber es gibt leider immer noch kleine Verhärtungen. Eventuell muss ich nochmal operiert werden. Das ist zwar blöd, aber immer noch besser, als irgendwann Krebs zu bekommen. 

Ich lerne aktuell, mit meiner neuen Lebenssituation klarzukommen. Damit geht es mir relativ gut, auch seelisch erhole ich mich. Bei meiner ältesten Schwester, die auch das Brustkrebsgen in sich trägt, wurde inzwischen Brustkrebs diagnostiziert. Sie wollte sich ja auch vorsichtshalber operieren lassen, und bei den Voruntersuchungen haben sie Brustkrebs festgestellt. Auch ihr wurde das Brustgewebe sowie Gebärmutter und Eierstöcke entfernt. Der Krebs ist zwar früh erkannt worden, auch bei ihr ist er bösartig. wird aber gut mit einer Immuntherapie behandelt.

Ich finde gar keine Worte, ich bin einfach extrem dankbar, dass ich das Vorrecht hatte, mich operieren zu lassen. Ich habe wahrscheinlich gerade im richtigen Moment diese Entscheidung getroffen und die OPs über mich ergehen lassen. Der Fall meiner Schwestern ist für mich das Zeichen, dass ich nicht übertrieben habe und nicht zu vorsichtig war.

«Der Fall meiner Schwestern ist für mich das Zeichen, dass ich nicht übertrieben habe und nicht zu vorsichtig war.»
Saskia Meineck

Meine neuen Brüste als einen Teil meines Körpers anzunehmen, ist immer noch ein Prozess. Auch wenn sie schön aussehen und eine Nummer grösser sind als vorher, sind sie mir immer noch fremd. Das ist ganz komisch. Selbst das Gefühl ist noch nicht da und teilweise spüre ich auch nichts. Das ist eben nicht nur einfach ein neuer Haarschnitt, an den man sich gewöhnt. Das braucht Zeit.

Ich war in der psychoonkologischen Betreuung, weil der Gedanke, dass nach den Operationen nichts rückgängig zu machen sein wird, eine Nummer zu gross für mich war. «Auf was lasse ich mich da ein?», fragte ich mich. Das will gut überlegt sein. Die Psychologin war sehr einfühlsam und konnte mir sehr gut helfen.

Manche meiner Freunde waren und sind kritisch wegen meiner Operationen. Aber weil sie sehen, dass ich die richtige Entscheidung für mich getroffen habe und es mir gut geht, sind sie beruhigt. Sie sind teilweise immer noch der Meinung, dass sie es nicht tun würden, und das ist völlig in Ordnung. Ich würde nie einer Frau sagen, sie müsse es genauso tun wie ich. Genauso individuell jede Frau ist, so individuell ist jede Entscheidung, Fakt ist nur, dass man als Frau (wie auch als Mann) nicht wegsehen kann, sondern sich mit dem Thema auseinandersetzen sollte.  

Ich habe definitiv alles getan, was in meiner Macht steht, um gesund zu bleiben. Die Angst ist zwar verflogen, aber das Thema Brustkrebs wird mich mein Leben lang begleiten. Es ist ein Teil von mir und bleibt mein Herzensanliegen. 

Ihre Erfahrungen hält Saskia Meineck auf ihrem Blog UnGENiert fest.

(Aufgezeichnet von Ina Bullwinkel.)

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